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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1219–1222

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Tetzlaff, Antje-Silja:

Titel/Untertitel:

Führung und Erfolg in Kirche und Gemeinde. Eine empirische Analyse in evangelischen Gemeinden.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. 279 S. m. Abb. 8° = Leiten ­ Lenken ­ Gestalten, 16. Kart. Euro 34,95. ISBN 3-579-05308-6.

Rezensent:

Jan Hermelink

Die Arbeit geht auf eine betriebswirtschaftliche Dissertation an der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar zurück. Sie untersucht, wie evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer ihr Leitungshandeln in der Gemeinde verstehen und in seiner Wirkung einschätzen und wie sie das Verhältnis von bewusster Führung, Mitgliederorientierung und gemeindlichem Erfolg sehen. ­ Die Vfn. stellt den theologischen Diskussionsstand zur kirchlichen Zielorientierung, zur Leitungspraxis und deren Überprüfung (»Controlling«) kenntnisreich und kompetent dar (Kapitel 2), präzisiert auf diesem Hintergrund die einschlägigen Begriffe (Kapitel 3­5) und überprüft diese Konstrukte in einer quantitativen Repräsentativbefragung unter mehr als 400 Pfarrpersonen (Kapitel 6­7). Die Ergebnisse erscheinen für eine praktisch-theologische Theorie kirchlicher Leitung in hohem Maße aufschlussreich, ebenso für Pastoraltheologie und Kirchentheorie im Ganzen.

Nachdem die Einführung ­ wie die gesamte Arbeit sehr klar und dicht formuliert ­ das Ziel einer betriebswirtschaftlichen Untersuchung kirchlichen Leitungshandelns erläutert hat, wird in Kapitel 2 der Gegenstand »Evangelische Kirche« vorgestellt, hier wie im Folgenden konzentriert auf die ortsgemeindlichen Verhältnisse. In bemerkenswerter Präzision skizziert die Vfn. ekklesiologische »Grundüberzeugungen« wie CA 7, die Bedeutung der Leib-Christi-Vorstellung, des allgemeinen Priestertums, der Unterscheidung von verborgener und sichtbarer Kirche und die damit einhergehende Problematik, kirchliche Institutionalität theologisch zu würdigen. Weil die Kirche ihre Ziele ­ »Vermittlung von Glauben und christlicher Lebensführung« (38) ­ aus theologischen Gründen nicht direkt erreichen kann, wird ihr Handeln als »Kontextsteuerung« verstanden: als »Schaffung von Bedingungen, die sich günstig auf das Eintreten bestimmter Zielzustände ... auswirken« (43). Als kirchlichen »Erfolg« versteht die Vfn. daher die Schaffung von Kontaktflächen und Beziehungsnetzen (44); unter Rückgriff auf einschlägige kirchensoziologische Untersuchungen nimmt sie an, »dass sowohl Kirchenmitgliedschaft als auch Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen Indikatoren für erfolgreiche Glaubensvermittlung sind« (48, vgl. 122). Dabei hebt sie die zentrale Bedeutung der Pfarrpersonen hervor; und sie referiert auch die Einwände dagegen, pastorales Handeln überhaupt in Zweck-Mittel-Relationen zu sehen.

Kapitel 3 skizziert den betriebswirtschaftlichen Theorierahmen, der »Führung« als rationale Planung, Informationsbeschaffung und Kontrolle durch einzelne Akteure versteht. Diese sollten die entsprechenden Instrumente kennen und bejahen, also ein angemessenes »mentales Modell« ihrer Leitungsfunktion ausbilden. Im kirchlichen Kontext geht es hier um die Annahme gemeindlicher »Steuerbarkeit« durch detaillierte Zielsetzung und -überprüfung und um die Bereitschaft, die entsprechende Leitungsaufgabe bewusst zu übernehmen (127­130). Damit wird, wie die Vfn. hervorhebt, die in der Kybernetik (vor allem in der Gemeindeberatung) dominante systemtheoretische Perspektive durch einen akteurstheoretischen, auf die Leitungspersonen konzentrierten Ansatz ergänzt.

Praktisch-theologisch weniger ertragreich erscheint die Ergänzung der theoretischen Basis durch einen standardisierten, vor allem im angelsächsischen Raum verbreiteten Persönlichkeitstest (Meyer-Briggs-Typenindikator), der die Typenlehre C. G. Jungs detailliert operationalisiert (64 ff.). Für kirchliche Leserinnen und Leser ebenfalls unergiebig ist die ausführliche Erläuterung der korrelationsstatistischen Methodik (Kapitel 4; 81­103), die für Fachleute Bekanntes referiert, für mathematische Laien aber kaum nachvollziehbar ist.

Höchst anregend ist hingegen das 5. Kapitel, das die Indikatoren, also die Einzelfragen der Repräsentativbefragung vorstellt und begründet, mit denen die »Konstrukte« der Studie ­ wie »Planung«, »Erfolg« oder die gemeindliche »Offenheit und Mitgliederorientierung« ­ erfasst werden sollen (105­130). Die Vfn. nutzt hier treffsicher die praktisch-theologische Diskussion (auch im angelsächsischen Raum), aber auch betriebswirtschaftliche Untersuchungen zu Dienstleistungsunternehmen, dazu Experteninterviews und eine quantitative Pilotstudie.

So schließt sie, um nur Weniges zu nennen, beispielsweise auf »Planung«, wenn die befragten Gemeinden ein Leitbild, mittel- und langfristige Angebotspläne, klare Zielbestimmungen und regelmäßige Analysen von Stärken/Schwächen ihrer Arbeit kennen (106). Bei der »Kontrolle« unterscheidet sie zwischen Fremdkontrolle ­ etwa durch Visitation und andere externe Rückmeldungen, und Selbstkontrolle durch statistische Auswertungen, qualitative Nacharbeit und regelmäßige Rückblicke. Auch nach der »Qualität von Entscheidungsprozessen«, etwa ihrer Dauer, ihrer Konflikthaftigkeit oder dem Grad ihrer Formalisierung wird gefragt. Ebenso werden pastorales »Führungskönnen« und »Führungswollen« einleuchtend konzeptualisiert.

Dass die Qualität von Gemeindearbeit nur an der Angebotsvielfalt für plurale Zielgruppen, vor allem für »Kirchenferne« festgemacht wird (116­118), erscheint unbefriedigend, spiegelt aber das Defizit einer praktisch-theologischen Theorie kirchlicher »Qualitätssicherung«. ­ Wird die Beschreibung des kirchlichen Leitungshandelns durch betriebswirtschaftliche Kategorien nicht gänzlich abgelehnt, so können die hier vorgelegten, weder trivialen noch zu detaillierten Begriffsbestimmungen jedenfalls eine weiterführende Diskussion eröffnen.

Kapitel 6 begründet zunächst Forschungshypothesen zu möglichen Faktoren des Erfolgs sowie zu Korrelationen zwischen der Qualität der Gemeindearbeit, den pastoralen Einstellungen zur Führung und zu der Nutzung entsprechender Instrumente, bevor dann ­ sozialwissenschaftlich korrekt ­ in Kapitel 7 für jede Hypothese die empirisch-statistisch ermittelte Verifikation/Falsifikation ausführlich, auch korrelationsstatistisch dokumentiert und diskutiert wird. Der Lesbarkeit hätte eine thematische Kombination von Hypothesenbegründung und empirischer Überprüfung wohl mehr gedient.

Nur einige bemerkenswerte Ergebnisse seien hervorgehoben: Noch diesseits der Korrelationsuntersuchung ergibt sich zum »Ist-Zustand der Führung in Gemeinden« (181), dass Planung und Informationsbeschaffung im skizzierten, anspruchsvollen Sinn kaum geübt und dass auch Fremdkontrollen als wenig bedeutsam eingeschätzt werden. Dagegen ist eine qualitative, vor allem Misserfolge analysierende Selbstkontrolle durchaus verbreitet. ­ Erstaunlich einhellig vertreten die befragten Pfarrerinnen und Pfarrer die Überzeugung, Gemeindearbeit sei durch Zielklärung und rationale Mittelwahl durchaus steuerbar; weniger als 10 % der Befragten stimmen der einschlägigen theologischen Fundamentalkritik zu. Auch die hohe Bereitschaft, solche Aufgaben selbst zu übernehmen, zeigt, dass es »nur eine sehr kleine Minderheit [ist], die expliziter Führung eher ablehnend gegenüber steht« (188). Die Aus- und Fortbildung in entsprechenden Methoden wird allerdings als unzureichend beurteilt (vgl. 126.189 f.218 u. ö.), jedenfalls auf der Ebene der Ortsgemeinde. Wo man sich dennoch »Führungskönnen« zuschreibt, werden Zielplanung, Informationsmanagement und Kontrolle höher bewertet.

Erfolgreiche Gemeindearbeit im oben genannten Sinn wird vor allem auf Angebotsdifferenzierung, auf Orientierung an distanzierten Mitgliedern, dazu auf systematisches Controlling und auf strukturierte Entscheidungsprozesse zurückgeführt (203 f.).

Was die psychologische Prägung der Pfarrerschaft angeht, so dominieren hier extrovertierte sowie nicht rezeptiv, sondern beurteilend eingestellte und nicht rational, sondern emotional entscheidende Typen. Dass Extroversion ebenso wie die ­ seltene ­ rational orientierte Entscheidungsstruktur das bewusste Führungsverhalten zu fördern scheinen, zeigt nicht zuletzt, dass an die Pfarrpersonen sachlich wie persönlich schwer zu vereinbarende Erwartungen gestellt werden (238 f.).

Das knappe Schlusskapitel (233­245) hebt u. a. hervor, dass durch die positive pastorale Einstellung zu Führungsaufgaben gute Voraussetzungen für ein »Change Management« bestünden, weil Führungswissen leichter zu verbessern sei als (evtl. skeptische) Grundhaltungen. Im Blick auf »Controlling« wird für die Einrichtung entsprechender Stellen in Kirchenkreisen plädiert, obgleich dem das ­ von der Vfn. leise kritisierte ­ mentale Modell eines »autarken Selbstbildes der Pfarrer« entgegenstehe (241 f.).

Ob die Methodik rationaler Zielplanung mit Erwartungs- und Beteiligungsanalysen, mit Zielkontrollen und strukturierter Entscheidungsfindung nun tatsächlich zu einer quantitativ und qualitativ, auch geistlich verbesserten Gemeindearbeit führt, das kann die vorliegende Arbeit, die subjektive Einstellungen erhebt, selbst nicht nachweisen. Wohl aber markiert sie die große pastorale Bereitschaft, sich auf entsprechende Ansätze und Methoden einzulassen. Für eine Theorie der kirchlichen Leitung, die jene Bereitschaft theologisch, kritisch und methodisch-konstruktiv aufzunehmen hätte, liefert diese Untersuchung ­ in empirischer wie in begriffsanalytischer Hinsicht ­ jedenfalls höchst anregendes Material.