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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1210–1212

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Eurich, Johannes:

Titel/Untertitel:

Symbol und Musik. Die religiöse Vermittlungsleistung des Symbolbegriffs in der Postmoderne unter Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher, psychoanalytischer und semiotischer Aspekte, dargestellt am Beispiel der Musik.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2002. XIV, 311 S. m. Tab. gr.8° = Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie, 1. Kart. Euro 25,90. ISBN 3-8258-5698-4.

Rezensent:

Harald Schroeter-Wittke

Diese von Heinz Schmidt betreute Heidelberger Dissertation aus dem Jahr 2000 gliedert sich in zwei große Teile. Der größere 1. Teil beschäftigt sich mit theoretischen Analysen zur Situation christlicher Kommunikation in der Gegenwart, während der 2. Teil eine empirische Untersuchung zur Musikrezeption in zwei evangelikalen bzw. charismatischen Gottesdiensten in Darmstadt und Heidelberg enthält.

Die theoretischen Analysen gliedern sich in vier große Kapitel, denen zwei Exkurse folgen, bevor ein 5. Kapitel die beiden Themenbereiche Symbol und Musik zusammenzubinden versucht. Zunächst zeigt E. mit den Stichworten Pluralisierung und Subjektivierung die Postmoderne als Paradigma für einen radikalen Bewusstseinswandel, wobei er sich dem Postmoderne-Konzept Welschs anschließt in Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von Habermas einerseits und Lyotard andererseits. Dabei macht E. klar, dass Pluralisierung und Individualisierung auch für kirchliche Kommunikationsstrukturen und Lebenswelten das unhintergehbar gelten, was er nicht nur beklagt oder als Gefährdung des Christentums sieht. Gleichzeitig wertet er aber postmoderne Denkweisen ab, wenn er sie mit Stichworten wie »tiefenlose Spielformen« (30) charakterisiert oder die Radikalität Lyotards mit der schlichten Bemerkung unterläuft, dass dessen Prämisse der absoluten Heterogenität in die einer relativen Heterogenität gewandelt werden »muss« (22). Diese Ambivalenz der Postmoderne gegenüber durchzieht die gesamte Arbeit E.s.

Mit Weber, Beck, Luckmann, Berger u. a. beschreibt er sodann die Bricolage-Religiosität als unhintergehbare Konsequenz der Religion unter den Bedingungen von Pluralisierung und Subjektivierung, die den Stellenwert der christlichen Tradition relativiert. Kennzeichen postmoderner Christlichkeit wirken sich daher im Verhältnis zur Kirche als Institution und zum kirchlichen Bekenntnis aus, die außer an den Wendepunkten des Lebens konfessionell nur noch latent präsent sind.

Vor diesem Hintergrund fragt E. nach den Kommunikationsbedingungen von Sinn, die angesichts der Ästhetisierung der Lebenswelt nicht durch den Diskurs lebensweltlich verortet werden können, sondern nur durch »eine affektiv-symbolische Kommunikation« (79). Diese untersucht er in Auseinandersetzung mit Kohut, Bion, Winnicott, Lorenzer und Langer sowie in Abgrenzung von C. G. Jung mit dem Symbolkonzept des Trierer Pastoraltheologen Heribert Wahl, welches bislang in der praktisch-theologischen Symboldiskussion noch wenig Beachtung fand. In zwei Exkursen setzt er sich zum einen sprachphilosophisch mit Jüngel, zum anderen semiotisch mit Meyer-Blanck auseinander, wobei E. bei einem funktionalen Verständnis von Verbalsprachlichkeit hängen bleibt. Die gesamte Diskussion um Sprachlichkeit, wie sie im Gefolge Bruno Liebrucks¹ und Jacques Lacans etwa in den religionspädagogischen Ansätzen Bernd Beuschers, Dietrich Zilleßens, aber auch Hening Schröers diskutiert wurde, kommt nicht zur Sprache. So nimmt es nicht wunder, wenn etwa Zilleßen gegen seine Intentionen zitiert wird (150).

E. plädiert für eine Resymbolisierung von Glaubenssymbolen, bei der beide Pole des Symbolgeschehens zu beachten sind: »der subjektive Vollzug des christlichen Glaubens und die objektive Präsentation des Evangeliums in der christlichen Praxis« (157). Bei Letzterem denkt E. an »das Bereitstellen einer christlichen Lebensform, in der symbolische Erfahrung des Glaubens möglich ist« (158). Mit Turners Konzept liminoider Übergangsphänomene als sozialer Erlebnisformen plädiert E. dafür, »in allem christlichen und kirchlichen Handeln die Atmosphäre eines empathisch geprägten, emotionalen Erfahrungsklimas zu schaffen, in dem die Einzelnen miteinander 'im Gebrauch der überlieferten Symbol-Zeichen deren sinngebende Bedeutung am eigenen Leib zu entdecken vermögen' (Bieritz)« (165). Hier kommt nun als eine unter vielen Gestaltungsmöglichkeiten die Musik mit ihrer »pseudoreligiösen Erlebnisqualität« bzw. »präsentativen Symbolik« (166) zum Zuge. Mit S. K. Langer würdigt E. die Eigenständigkeit der Musik gegenüber anderen kulturellen Ausdrucksformen wie z. B. der Sprache, wobei dem Lied noch einmal eine besondere Verknüpfungsrolle zukommt. Leider kommt die Musik im weiteren Verlauf als eine vornehmlich beruhigende Kunstform zur Geltung und wird dadurch funktionalisiert, so dass ich mich eher an Muzak als an Musik erinnert fühle, wenn es etwa völlig richtig und zugleich völlig problematisch heißt: »Resymbolisierung kann sich ereignen, wenn die Fixierung der Inkongruenz zwischen Symbol-Zeichen und Subjekt durch ein spielerisches Probehandeln im Zwischenraum symbolischer Erfahrung aufgebrochen wird und ein neues Zusammenpassen erfahren wird. Dazu muss dem Selbst ein empathisches Erfahrungsklima gewährt werden, in dem es sich emotional ansprechen lässt und seine Bereitschaft geweckt wird, sich auf ein neues Beziehungsgeschehen einzulassen.« (177) Die Sprache ist hier verräterisch: »Die pseudo-religiöse Dimension des Musikerlebnisses kann nun für ein Resymbolisierungsgeschehen genutzt werden.« (179) E. verschweigt nicht die Gefahr der Manipulation durch Musik, verortet sie aber bei den Sekten (182). Schließlich macht er auf die »fehlende lebensweltliche Verortung von Kirchenmusik« aufmerksam, die »die Popmusik mit ihren quasi-religiösen Funktionen« (186) bislang nicht gebührend zur Kenntnis genommen hat.

Die abschließende empirische Untersuchung besteht in einer im Sommer 1999 durchgeführten qualitativen Befragung von Gottesdienstteilnehmenden eines charismatisch ausgerichteten Lobpreis-Gottesdienstes der Evangelischen Johannesgemeinde in Darmstadt sowie des Jugendgottesdienstes »Inline« der Freien evangelischen Gemeinde Heidelberg. Die Untersuchung bestätigt E.s theoretische Analysen. Sie enthält interessante Einzelheiten, etwa, dass viele der Befragten Gottes Gegenwart im Gottesdienst in der Stille erleben, obwohl es in keinem Gottesdienst eine Sequenz der Stille gegeben hat, vielmehr durch die Musikband und die schnelle Abfolge liturgischer Sequenzen das Gegenteil der Fall war. Ein wesentliches methodisches Problem besteht darin, dass zwar der Fragebogen mit abgedruckt ist, aber die Musik, die dort gespielt wurde, nur rudimentär deutlich wird. Dass die vielen Lieder mit ihren Texten, die unter der Hand doch wichtig sind, nicht belegt sind, ist bedauerlich. So verschwindet ein Hauptgegenstand der Arbeit, die Musik, in der Imagination der Lesenden. Ein weiteres Manko besteht darin, dass die Milieus der beiden untersuchten relativ verwandten Frömmigkeitsstile präziser hätten analysiert werden müssen, um zu aussagefähigen Ergebnissen in der Prozessanalyse von Symbol und Musik zu kommen. Dabei wäre es durchaus reizvoll, diesen Fragebogen auch beim Kirchentag, bei einer Matthäuspassion, einem Jazzgottesdienst oder einem Jugendgottesdienst, z. B. in der Oberhausener TABGHA-Kirche, auszuteilen.

E.s Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Die Herausforderungen durch die Postmoderne werden in aller Klarheit beschrieben. Für den freikirchlichen Hintergrund, aus dem E. stammt, enthält dieses Buch viele weiterführende Einsichten. Wer allerdings nach missionarischen Wegen in der Postmoderne sucht, ist nicht gut beraten, wenn er seine Annahmen durch eine Umfrage unter Gottesdienstbesuchenden bestätigen lässt, bei denen fast 90 % wöchentlich oder 14-tägig ihren Gottesdienst besuchen. So bleiben E.s praktisch-theologischen Überlegungen deutlich hinter seinen systematisch-theologischen Einsichten zurück.