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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1208–1210

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ringleben, Joachim

Titel/Untertitel:

Arbeit am Gottesbegriff. Bd. I: Reformatorische Grundlegung, Gotteslehre, Eschatologie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. VIII, 349 S. 8°. Kart. Euro 49,00. ISBN 3-16-148277-8.

Rezensent:

Dietrich Korsch

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Ringleben, Joachim: Arbeit am Gottesbegriff. Bd. II: Klassiker der Neuzeit. Tübingen: Mohr Siebeck 2005. VIII, 397 S. 8°. Kart. Euro 59,00. ISBN 3-16-148502-5.

Die harte Schale des preußisch-erzprotestantischen Titels der beiden Aufsatzbände des Göttinger Systematikers Joachim Ringleben birgt einen süßen Kern: Wer sich auf die Arbeit am Gottesbegriff einlässt, entdeckt dabei ein sprachliches Gottesverhältnis, weil sich Gott selbst in der Sprache offenbart. Darum ist, was sich hier erschließt, erfreulich und tröstlich; auch wenn es ohne die Anstrengung des Begriffs nicht zu erringen ist. Die Lektüre von Aufsatzbänden wie den beiden vorliegenden, die insgesamt 31 Texte versammeln, verlangt eine Konzentration auf die systematische These, die ihnen zu Grunde liegt, um die Weite des Rahmens und die Zuordnung der Beiträge zu ermessen. Bei R. handelt es sich um eine Doppelthese, die so formuliert werden kann: Gottes Sein ist ein sich selbst vermittelndes, den Menschen zu sich ziehendes Werden zu sich. Und genau das zeigt sich in der metaphorischen Grundgestalt der Sprache selbst, sofern diese verstanden werden kann als die aus sich selbst sich vollziehende Inkorporation des spekulativen Satzes. Was geschieht, wird durch eine dialektische Logik begreiflich; dass es sich vollzieht, ist dabei immer schon in der Sprache vorausgesetzt und grundgelegt. Diese zentrale Einsicht wird in den Texten des 1. Bandes im Zu- und Miteinander von Hegel (der im Wesentlichen auf der Spur Wolfhart Pannenbergs gelesen wird) und Luther entfaltet. Will man sich diese Konzentration verdeutlichen, dann empfehlen sich die Aufsätze »Luther zur Metapher« (I, 59­95) und »Gottes Sein, Handeln und Werden. Ein Beitrag zum Gespräch mit Wolfhart Pannenberg« (I, 203­234). In beiden wird deutlich, dass die Metapher an sich selbst so etwas wie einen eschatologischen Vorgriff repräsentiert (I, 103), der sich durch Gottes »Werden zu sich« (I, 227) ratifiziert.

Die systematische Fruchtbarkeit dieses Konzeptes zeigt sich in den Beiträgen des 1. Bandes, die nichts weniger darstellen als eine Dogmatik in nuce: zur Schöpfung (»Creatio ex nihilo«, I, 235­248) zur Christologie (»Der Gott des Sohnes«, I, 249­261; vgl. aber auch I, 107­111) und zur Eschatologie (»Tod und Auferstehung«, I, 279­294; »Gott und das ewige Leben«, I, 295­340). Der cantus firmus dieser Texte lautet: Gott als »der absolute Anfang von allem«, der »zugleich als die Rückkehr zu sich ist« (I, 247), kommt mir näher, als ich mir selbst kommen kann. Er stellt sich »in Jesus als der zu uns Kommende, sich für unser Menschsein Aufschließende und den Menschen in sein eigenes ewiges Leben Hineinnehmende dar« (I, 254). Und von daher gilt: »schon unser irdisches, dem Tode entgegengehendes Leben ist Zugehen auf unser wahres Leben, d. h. auf das irdische Leben selbst in seiner Wahrheit« (I, 304). Denn es muss »Gottes lebendiges Sein in allem als schöpferisch gedacht werden«: »Indem Er alles in allem ist, ist es so, daß er alles zu dem macht, was es mit ihm, vor ihm und in ihm sein kann; so setzt er sich schöpferisch als die allein bestimmende und alles bestimmende Wirklichkeit« (I, 339). Dieser in sich fortlaufende und schlüssige Gedankengang vermag nicht nur Abgrenzungen und Setzungen dogmatistischer Art aufzusprengen (wie sie sich durch den Bezug auf die Positivität von »Schöpfung«, aber auch durch den Verweis auf »Eschatologie« nahelegen könnten), er entfaltet auch eine geradezu bezwingende religiöse Kraft, indem er dazu einlädt, dass Menschen sich selbst ganz aus Gott verstehen. Dieser systematischen Bewegung müssen (und können) dann auch die sehr stark philologisch orientierten Beiträge des ersten Bandes zugeordnet werden, die zum Teil eine minutiöse Rekonstruktion ausgesuchter knapper Texte vorstellen (z. B. »Die Einheit von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis. Beobachtungen anhand von Luthers Römerbrief-Vorlesung«, I, 18­28; »Wort und Rechtfertigungsglaube. Zur Horizontauffächerung einer Worttheologie in Luthers Disputation 'De fide'«, I, 29­57).

Das dogmatisch-systematische Konzept des ersten Bandes erfährt im zweiten Band eine positionell-systematische Erweiterung und Kontextualisierung an »Klassikern der Neuzeit«. Sich auf »Klassiker« zu berufen, setzt zunächst voraus, sie als solche zu definieren. Das pflegt, wie auch in diesem Falle, dadurch zu geschehen, dass die eigenen leitenden Einsichten von prominenten Anfänger-, Vorbild- und Maßstabgestalten her beleuchtet werden. Als seine Klassiker hat R. Hamann, Kierkegaard, Hegel und Schleiermacher ausgewählt und diesen dann noch je einen Aufsatz über eine sprachlich angelegte Trinitätstheologie sowie über Exegese und Dogmatik bei Schlatter beigefügt. Das Prinzip der Auswahl dürfte in dem jeweilig gesuchten Beitrag zum »Sprachdenken« liegen, wie das Vorwort ausweist. Mit Bedacht stellt R. offenbar Hamann in den Vordergrund. Allerdings kann der, trotz größter Wertschätzung durch R., die ihm zugedachte Last kaum tragen, eine nachvollziehbare und nicht nur idiosynkratische Sprachtheologie zu fundamentieren. Zu groß ist das Missverhältnis von akribischem Aufwand im Einzelnen und systematischem Ertrag (vgl. das schlichte Resümee der »Interpretation einer rätselhaften Stelle in Hamanns 'Aesthetica in nuce'«, II, 85). Das durch und durch affirmative Verhältnis R.s zu seinem Autor lässt sich aus distanzierterer Perspektive nicht gut nachvollziehen. An Kierkegaard wird dessen Verhältnis zu Hamann (das im Wesentlichen in Motivverwandtschaften besteht), sein Beitrag zur Eschatologie (im Begriff der Wiederholung) und sein (im Vergleich zu Hegel unzureichendes) Dialektik-Verständnis vorgestellt. Bei Hegel selbst nun, so scheint es, kommt die Konzeption R.s in ihr eigenes Zentrum.

In einem ­ durchaus werkanalytisch angelegten ­ Umgang mit dem Meisterdenker werden unter anderem (um nur die systematisch wichtigsten Aspekte hervorzuheben) die Hintergründe des Werdens-Themas erhellt (»Die logische Bewegung der Zeit«, II, 211­229), aber auch der Zusammenhang von spekulativem Satz und Religion geklärt (»Sätze über Gott und spekulativer Satz«, II, 192­209: »Der spekulative Begriff des religiösen Satzes bei Hegel ist das Denken von Gottes Selbstherablassung in die Sprache, in der deren Urteilsform dialektisch aufgehoben und zu ihrer lebendigen Wahrheit gebracht wird«, II, 207). Zu dieser Sonderstellung Hegels gehört es, dass Schleiermacher ­ trotz aller Bewunderung ­ entschieden von Hegel aus gelesen wird; das gilt paradigmatisch für Schleiermachers Begriff des Unendlichen, der dialektisch gefasst werden muss: »würde Schleiermacher auch noch das Sichunterscheiden des Unendlichen vom Endlichen selber als dessen Identität mit dem Endlichen denken können?« (II, 324) Gegenüber diesen am Maß Hegels gewonnen Einsichten bringen die anschließenden Aufsätze über »Trinität und Ich-Du-Verhältnis« sowie über »Exegese und Dogmatik bei Adolf Schlatter« keine weitere systematische Plausibilisierung des Programms.

R.s Aufsatzbände führen eine interessante spekulativ-theologische Konzeption vor Augen, die von einer starken theologischen Grundeinsicht Gebrauch macht, nämlich dem Werden Gottes zu sich. Aus diesem Gedanken ergeben sich religiös eindrucksvolle Konsequenzen. Besonders die Ausführungen zum ewigen Leben erscheinen mir vorbildlich. In einem gewissen Spannungsverhältnis zu dieser spekulativen Anlage folgen die einzelnen Aufsätze fast durchweg einem sehr eng interpretierenden Verfahren selektiver Texte der »Klassiker«. Das ist gewiss der Versuch, das Programm einer »Offenbarung in der Sprache« en détail durchzuführen. Doch ist mir der Erfolg fraglich, und das nicht nur aus Gründen der Durchführung, sondern in konzeptionellem Sinn. Denn R.s Systematik verzichtet dezidiert auf alle erkenntnistheoretischen Überlegungen zu Gunsten einer Argumentation »vom Absoluten her«, die sich dem Mitdenkenden im Vollzug erschließen soll ­ und zwar durch die inszenierte und reflektierte Sprachtheorie hindurch, die theologisch und christologisch aufgeladen wird, ja, die sich häufig auch der religiösen Appellfunktion biblischer Texte bedient, die im Zuge ihrer spekulativen Verwendung einer historisch-kritischen Exegese gar nicht erst unterworfen werden. Mit all dem verabschiedet sich der Hegelianismus R.s zwar einerseits von Falk Wagners angestrengt-aporetischen Reflexionen auf den Status des Gottesbegriffs, kann aber durch seine auffällige Distanz gegenüber allem Historischen die gegenwartserschließende Konkretion nicht erringen, wie sie derzeit im ­ ebenfalls an Hegel anschließenden ­ Werk Jörg Dierkens aufscheint. Insofern scheint mir R.s sprachzugewandte Theologie selbst in gewisser Weise unkommunikativ. Es könnte sein, dass sie ihre überzeugendste Kraft auch gar nicht in sprachtheoretischen Erörterungen findet, die als Reflex des Absoluten an die Stelle von Erkenntnistheorie treten sollen, sondern in geformter religiöser Sprache. Zu solchem Sprechen anzuleiten, dürfte nicht das geringste Verdienst der gesammelten Aufsätze R.s sein.