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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1206–1208

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Matosevic, Lidija:

Titel/Untertitel:

Lieber katholisch als neuprotestantisch Karl Barths Rezeption der katholischen Theologie 1921­1930.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 2005. X, 234 S. 8°. Kart. Euro 44,00. ISBN 3-7887-2075-1.

Rezensent:

Matthias Gockel

Das Buch, ursprünglich eine Heidelberger Dissertation, untersucht Karl Barths Verhältnis zum römischen Katholizismus im Kontext seiner Suche nach dem Ausweg »aus den Aporien des modernen Protestantismus und dem Gewinn einer neuen theologischen Perspektive« (3). Der erste Teil umfasst Barths Göttinger Zeit (1921­25), der zweite Teil die Jahre in Münster (1925­30), hinzu kommen einige Zitate aus Kirchliche Dogmatik I/1 (1932) und II/1 (1940). Barths frühere Texte wurden von bisherigen Interpreten »nicht erschöpfend erforscht« (8), obwohl sie für das Verständnis seiner späteren Äußerungen zum Thema »unerlässlich« (6) sind.

Barths wichtigster Gesprächspartner in Göttingen ist die reformatorische Theologie, speziell die reformierte Tradition. Dabei erwachte sein Interesse an der mittelalterlichen Theologie, deren Merkmale er nicht nur im Katholizismus, sondern auch im modernen Protestantismus entdeckte.

Dieser habe »ein stilles Heimweh ... nach den 'schönen Gottesdiensten' ... des Katholizismus« (K. Barth, Die Theologie Calvins, 79) und sei empfänglich für eine theologia gloriae, d. h. eine »mutige, zuversichtliche, siegesbewusste Theologie« (ebd., 40), obwohl er das Mittelalter längst hinter sich gelassen zu haben wähnt. Barth will den Katholizismus ernster nehmen. Er lobt die mittelalterliche Theologie, die »Denkfreudigkeit und Denkfähigkeit, die dialektische Courage und Konsequenz jener alten Theologen, die auf mindestens vier Jahrhunderte einzuschätzende ungebrochene Lebenskraft ihrer wissenschaftlichen Tradition« (ebd., 32).

Diese Begeisterung ist für Barth jedoch kein Grund »katholisch zu werden«, sondern es geht ihm um die Überwindung der katholischen Merkmale und die »Wiedergewinnung der verlorenen Identität des Protestantismus« (29). Eine Antwort auf die Frage, worin das positive Gemeinsame zwischen Katholizismus und Protestantismus liegen könnte, bietet er zunächst nicht.Im Vortrag »Not und Verheißung der christlichen Verkündigung« (1922) konstatiert die Vfn. einen »Dualismus« zwischen der Sicherheit des Katholizismus und der Unsicherheit und »permanenten Krisis« des Protestantismus (56). Sie berücksichtigt aber nicht, dass diese Krisis gerade die Konsequenz der göttlichen Verheißung ist. »Wer sagen kann, da, wo die Bibel uns hinführe, sei schließlich nur ein großes Nein zu hören ... der beweist damit nur, daß er dahin noch nicht geführt worden ist. Dieses Nein ist eben Ja. Dieses Gericht ist Gnade.« (K. Barth, Vorträge und kleinere Arbeiten 1922­19/25, 86) Die Möglichkeit, »daß wir Gottes Wort reden« (ebd., 89), wird in den klassischen Texten der 'dialektischen Theologie' nicht bestritten. Dass sie freilich keine menschliche, sondern eine göttliche Möglichkeit ist, gilt auch noch in der Kirchlichen Dogmatik.

Zu den wichtigsten Entwicklungen Barths in Göttingen zählen die Neuentdeckung des reformierten Schriftprinzips und der Übergang zu einer 'regulären' Dogmatik gemäß der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes als Predigt, Schrift und Offenbarung. Vor diesem Hintergrund werden auch die konfessionellen Differenzen im Gehorsams- und Autoritätsverständnis deutlich.

Der Widerspruch gegen Rom muss »von einer Stelle herkommen, die mit der katholischen Lehre mindestens auf gleicher Höhe steht ­ er muß ferner ihr Zentrum und nicht etwa Äußerlichkeiten und Zufälligkeiten betreffen ... Also die Gleichzeitigkeit der Kirche mit der Offenbarung, die Präsenz des Wortes Gottes auch in der Kirche der Gegenwart behaupten, nein glauben auch wir ... Aber das fragt sich ­ und damit setzt der protestantische Widerspruch ein ­, ob diese Präsenz als durch die geschichtliche Reihe der Kirche als Ganzer gegeben vorausgesetzt werden darf oder ob sie nicht ... für jede Zeit in der Kirche ihrem Begriff nach (weil sie die Präsenz des Wortes Gottes ist!) neu begründet, neu gesucht und gefunden, neu gegeben werden muß.« (K. Barth, 'Unterricht in der christlichen Religion', Bd. 1, 251 f.). Barth besteht auf der »unveräußerlichen Verborgenheit« der Offenbarung und der »notwendigen Distanz, die gerade die Kirche Christi ihrem eigenen erzeugenden und normgebenden geschichtlichen Prinzip gegenüber wahren muß« (ebd., 252).

Die Münsteraner Texte vertiefen das Gespräch mit dem römischen Katholizismus. Dass am Ende dieser Phase die »Entscheidung für eine ausschließlich dogmatische Theologie« (208) stehe, ist dem überkommenen Bild von Barth als neo-orthodoxem Dogmatiker geschuldet und kollidiert mit Aussagen, in denen von der bleibenden »Notwendigkeit ... theologischer Dialektik« (K. Barth, Vorträge und kleinere Arbeiten 1925­30, 388) die Rede ist. Wichtig ist die These, dass die »Unterschiede im Kirchenverständnis« (224) deutlicher werden. In Debatten mit E. Przywara und mit seinen einstigen Mitstreitern E. Brunner, R. Bultmann und F. Gogarten vollzieht Barth eine »Verknüpfung der Kritik an der katholischen analogia entis-Lehre mit der Kritik an der katholischen Gnadenlehre« (192), die für seine Theologie prägend blieb. Leider werden die bisher unveröffentlichten Texte der Dogmatikvorlesungen 1927­28, in denen eine zeitweise erstaunliche Nähe zum Katholizismus sichtbar wird, nicht ausgewertet.

Die unzureichende Betreuung des Buches durch den Verlag ist bedauerlich.