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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1201–1204

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kraus, Georg:

Titel/Untertitel:

Jesus Christus ­ Der Heilsmittler. Lehrbuch zur Christologie.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Freiburg: Knecht (bei Alber) 2005. 630 S. 8° = Grundrisse zur Dogmatik, 3. Kart. Euro 42,00. ISBN 3-7820-0766-2.

Rezensent:

Michael Plathow

1. »Da die Christologie das Spezifikum, die einmalige Besonderheit des christlichen Glaubens zum Ausdruck bringt, wirkt sie als theoretische und existentielle Mitte aller christlichen Dogmatik«, schreibt K. treffend in der Einleitung von diesem »Lehrbuch zur Christologie« (34). Sein Interesse und Ziel ist es, die »drei Grundperspektiven des Menschseins, des Gottseins und der Heilsmittlerschaft Jesu Christi wissenschaftlich zu erörtern und ­ das ist ein Schwerpunkt! ­ ihren existentiellen Lebensbezug herauszuarbeiten« (17). Für die »Praxis der Glaubensweitergabe« erweist sich ihm als »der beste Überzeugungsweg ..., beim historischen Jesus zu beginnen und darauf aufbauend den Christus des Glaubens zu erschließen« (43).

Inhaltlich will K. von der Voraussetzung, dass Person und Werk Jesu Christi und somit Christologie und Soteriologie untrennbar miteinander verbunden sind, die Heilsbedeutung Jesu Christi und die Heilsmacht des Glaubens denkerisch entfalten. Methodisch wählt er den induktiven Weg einer Christologie »von unten«. Schwerpunktmäßig will er den existentiellen Lebensbezug der Heilsmittlerschaft Jesu Christi aufzeigen.

Dieser »Grundriss« der Christologie soll ein »Lehrbuch« sein mit den entsprechenden formalen Anforderungen an verständlichen Stil, klare Gliederung, inhaltliche Elementarisierung, informierende Überblicksschemata und weiterführende Literaturangaben. Gerade hierin ist diesem »Lehrbuch« hoher Respekt zu zollen für seine Verständlichkeit, klare Gliederung, Elementarisierung der Sachprobleme, für die 59 Schemata und Skizzen, für die Literaturangaben von 68 Seiten, die sich untergliedert auf die einzelnen Themenaspekte der Christologie beziehen.

2. Entsprechend dem induktiven methodischen Zugang einer »Christologie von unten« beginnt das »Lehrbuch« mit § 1 »Der historische Jesus des Neuen Testaments«, d. h. mit der Frage nach der Bedeutung des historischen Jesus, mit dem historischen Grundwissen von Jesus und der impliziten Christologie beim vorösterlichen Jesus. Im § 2 »Der kerygmatische Christus des Neuen Testaments« expliziert K. »Die Auferstehung Jesu« und die »Hoheitstitel Jesu«. Im § 3 zeichnet er »Die theologiegeschichtliche Entwicklung der Christologie« nach in der Patristik, im Mittelalter, in der Neuzeit und im 20. Jh. Durch die theologiegeschichtliche Zuordnung und durch die Darstellungsweise der historischen Entwicklungen und der dogmatischen Positionen zeigt K. die gemeinsame Verwurzelung der römisch-katholischen und der evangelischen Christologie in den neutestamentlichen Zeugnissen, in der patristischen Tradition und in der mittelalterlichen Theologie an, aber auch die wechselseitige Bereicherung der christologischen Entwürfe des 20. Jh.s. Bei der Fülle des exegetischen, dogmen- und theologiegeschichtlichen Stoffes kann eine »Lehrbuch« selbstverständlich nur in elementarisierenden Skizzierungen die Entwicklungen, Positionen und theologischen Auseinandersetzungen beschreiben. Signifikant sind darum die breiten Entfaltungen besonders zu Thomas von Aquin (345 ff.) und Martin Luther (389 ff.). Für die Gegenwart werden als kontextuelle Christologien die lateinamerikanische Befreiungstheologie und die feministische Theologie berücksichtigt; die pluralistische Christologie John Hicks wird kritisch diskutiert (471 f.).

Auf den § 4 »Das Heilswerk Jesu Christi: Soteriologie« ist das »Lehrbuch« intentional ausgerichtet. »Die Heilsbedeutung des ganzen Christus« und »Der christliche Glaube als Heilsmacht« erfahren eine detaillierte Beschreibung.

3. »Christologie, die den Menschen von heute erreichen will«, hat »eine Begrifflichkeit zu verwenden, die die Relevanz des Christusereignisses voll erfasst und zugleich dem gegenwärtigen Sprachempfinden entgegenkommt« (473). Hier ist das besondere Interesse von K. angedeutet, aber auch sein eigener Interpretationsimpuls: Gegenüber dem »traditionellen Begriff der Erlösung« mit seiner angeblichen Fixierung auf den Kreuzestod Jesu, auf das Individuum, auf die Innerlichkeit und die einseitige Vertröstung aufs Jenseits (474 f.) bevorzugt er den Grundbegriff »Heil« als »freies Geschenk der Liebe Gottes zum ganzheitlichen Wohl der Menschen« (475). Aus der Perspektive Gottes meint »Heil« Gnade als unbedingtes freies Liebeshandeln Gottes in geschichtlichen Taten und Gaben zum Wohl der Menschen. Aus der Perspektive der Menschen meint »Heil« »ganzheitliches Wohlergehen« sowohl individuell an Leib, Seele und Geist als auch sozial in den Dimensionen von Liebe, Gerechtigkeit und Frieden, umfassend in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Indem der »ganze Christus« in der Menschheit des Sohnes Gottes, in seiner Botschaft und seinem Verhalten, in seinem Tod und seiner Auferstehung der »Heilsmittler« ist, erweist sich der Glaube an ihn auch als »Heilsmacht« (477.556), eine Heilsmacht, die »Heilskräfte« für den praktischen Lebensvollzug des Menschen als Person und Gemeinschaft erbringt (554). Ein integratives Deutungsmodell von »Heil« erstellt K.

Gegenüber der Heilsbedeutung des Todes Jesu als »Sühnopfer«, die K. als eine »nicht verbindliche« Möglichkeit versteht (512), bevorzugt er die Deutung »als sakramentales Zeichen der Liebe Gottes«; sie stelle einen »sachgemäßen und gleich wertigen Ersatz« dar (527). Gerade wegen der dogmengeschichtlichen Vorbelastung der Deutung als »Sühnopfer«, wegen der philosophischen Kritik an ihm, wegen seines ideologischen Missbrauchs und wegen seiner negativen Besetztheit ist die differenzierte Auseinandersetzung mit und um ihn hilfreich für lernende Leser.

Im Gespräch mit Theologen wie Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar und Jürgen Moltmann entfaltet K. sein integratives Deutungsmodell im Licht der Auferstehung Jesu Christi. Die existentielle Bedeutung erkennt er in der Konformität der Glaubenden mit Christus, in der persönlichen Nachfolge, in der Hilfe bei der Bewältigung von persönlichem Leid und von Grundängsten, in der Selbstannahme der eigenen Grenzen und des eigenen schweren Schicksals (530 ff.). Die Heilswirksamkeit der Auferstehung Jesu erweist sich da als »göttliche Machtfülle« (537) und ­ im Kontrast zur Erfahrung von Gesetz, Sünde und Tod ­ als Geschenk des neuen Lebens, als Leben in der Freiheit der Kinder Gottes und als Leben aus dem Glauben an die Auferstehung.

Es geht K. um die »Wertschätzung des diesseitigen Lebens« (545). Den christlichen Glauben will er als »Religion der Freude, der Kraft, der Menschlichkeit und Humanität« verstehen, als eine »Religion der Zukunft, eine Religion des Optimismus« (547). Christlicher Glaube wird als »Heilsmacht« erfahren, d. h. als leibliches, seelisches und geistiges Wohlergehen in den persönlichen und gesellschaftlichen Lebenswelten, als »Erfahrung der Erfüllung« (552).

K. will die Frage »Was bringt mir der Glaube für mein Leben?« positiv aufnehmen. »Das ist eine sehr legitime pragmatische Frage, die sich die Glaubenden stellen dürfen und sollen« (553). Die Heilsmacht des Glaubens entbirgt durch die personale Beziehung zum dreieinen Gott Heilskräfte für das Leben: Orientierung zum richtigen Leben, Antrieb zum guten Leben, Hilfe zum gemeinschaftlichen Leben, das heißt z. B. auch für das persönliche gesundheitliche Wohlergehen, wie die Forschungsrichtung der »Salutogenese« nachzuweisen versucht (557). Aber auch die Annahme von Leid sowie das gemeinschaftliche Leben mit »erfreulichen Taten«, »solidarischem Helfen«, »Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden« sind Heilskräfte des Glaubens. So endet K. sein »Lehrbuch« mit der Zielsetzung der christlichen Heilskräfte der Liebe: »Das höchst mögliche Glück der größt möglichen Zahl von Menschen« (561). Dieser Satz Benjamin Franklins hat als »persuit of happiness« in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika den »American way of life« geprägt.

»Was bringt mir der Glaube für mein Leben?« Indem K. dies für eine legitime Frage hält, die von der »Heilsmittlerschaft« Jesu Christi her als Heilsmacht des Glaubens mit seinen Heilskräften Antwort erfährt, sollte zugleich dem Missverständnis einer Funktionalisierung und Utilitarisierung des christlichen Glaubens gewehrt werden. Auch sind in einem »Lehrbuch« die Abgrenzungen zur Wohlstands- und Wohlfühlideologie sowie zu populären wellness-Konzepten angebracht. Ein theologisch-philosophischer Diskurs zum Thema »Glück und Segen« und zur Unterscheidung, nicht Trennung, von »Heil« und »Wohl« könnte K.s eigene Deutung der Heilsbedeutung Jesu Christi und des Glaubens an Jesus Christus noch vertiefen.

Es ist ein »Lehrbuch«, das mit seinen Darstellungen, Beschreibungen, Skizzierungen und Schemata Studierenden und interessierten Laien eine Hilfe ist.