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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1197–1199

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Petzoldt, Matthias [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Evangelische Fundamentaltheologie in der Diskussion.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004. 234 S. gr.8°. Geb. Euro 38,00. ISBN 3-374-02227-8.

Rezensent:

Günter Thomas

Fundamentaltheologie ist von Haus aus und in der gegenwärtigen Organisation der theologischen Fakultäten keine Disziplin der evangelischen Theologie. Gleichwohl hat es in den letzten Jahrzehnten immer wieder Versuche gegeben, sie zu etablieren oder zumindest ein Aufgabengebiet mit dem Titel »Fundamentaltheologie« zu umreißen und institutionell zuzuordnen. Um die Möglichkeiten und Perspektiven einer evangelischen Fundamentaltheologie auszuloten, fand am 21. und 22. November 2004 an der Universität Leipzig ein Symposium statt, dessen Beiträge und Diskussionen in dem vorliegenden Band dokumentiert sind.

Der Gastgeber Matthias Petzoldt lässt in seinem erhellenden Eröffnungsbeitrag wichtige Positionen der letzten Jahrzehnte Revue passieren und skizziert neuere Bemühungen um eine institutionelle, literarische und lexikographische Etablierung einer evangelischen Fundamentaltheologie. Der Münchner katholische Theologe Heinrich Döring übernimmt die Aufgabe einer Annäherung an eine ökumenische Fundamentaltheologie. Der Beitrag von Michael Roth bearbeitet das fundamentaltheologisch-enzyklopädische Problem, wie die Einheit der Theologie in der internen Ausdifferenzierung der Disziplinen erfasst werden könne. Der Neutestamentler Hans Hübner entfaltet, von Joh 1 ausgehend, Überlegungen zum Verhältnis kosmophysischen und theologischen Denkens. Unter Rückgriff auf die Phänomenologie Bernhard Waldenfels¹ konzipiert Peter Dabrock die Fundamentaltheologie als 'theologische Schwellenwissenschaft'. Ein zweiter, den Symposiumsbeiträgen hinzugefügter Beitrag von Michael Roth versucht, die Fundamentaltheologie als eine alternative »Sicht[en] der Wirklichkeit im Ganzen« untersuchende Hermeneutik der Gegenwart darzutun. Ingolf Dalferth wendet sich, ausgehend von der Unterscheidung von Religionsphilosophie und Theologie, gegen eine die Glaubwürdigkeit des Glaubens begründende Fundamentaltheologie als theologischer Disziplin. Schließlich erweitert Wolfhart Pannenberg den Horizont einer Fundamentaltheologie zu einer Theologie der Religionen. Mit der überaus instruktiven Wiedergabe einer Podiumsdiskussion schließt der Band.

Überblickt man die im Band versammelten Beiträge, so sind es drei eng miteinander verknüpfte, aber dennoch klar zu unterscheidende Fragestellungen, die die Diskussion prägen:

1. Soll es eine eigenständige Disziplin Fundamentaltheologie geben, und wenn ja, soll sie innerhalb der Systematischen Theologie oder gleichberechtigt neben den klassischen Disziplinen verortet sein?

2. Was sind die Aufgaben, die innerhalb der Evangelischen Theologie mit Recht als fundamentaltheologische bezeichnet werden können?

3. Mit welchen Denkmitteln und Instrumentarien und mit welchen Absichten werden diese Aufgaben angegangen?

Ohne die Klärung der beiden letzten Fragen lässt sich die erste nicht entscheiden. Da diese aber generell und auch in diesem Band sehr unterschiedlich beantwortet werden, kann die von Matthias Petzoldt immer wieder in den Vordergrund gerückte erste Frage auch nicht klar entschieden werden. Am meisten Übereinstimmung dürfte sich in der zweiten Frage feststellen lassen. Ohne Zweifel lässt sich ein (mehr oder weniger offenes) Set von Aufgaben und Perspektivierungen benennen, die im weitesten Sinne als fundamentaltheologisch zu bezeichnen sind: die enzyklopädische Einordnung der theologischen Teildisziplinen, die wissenschaftstheoretische Verortung der Theologie, die differenzmarkierend-polemische Verhältnisbestimmung zu alternativen Religionen und Weltanschauungen, die apologetische Argumentation für die Rationalität des Glaubens.

Offensichtlich manifestiert sich in diesem Problemkatalog eine doppelte Kommunikationsrichtung: Nach 'innen' soll die fundamentaltheologische Bemühung den Zusammenhang der Disziplinen im Haus der Theologie klären, nach 'außen' die vernünftige Rechenschaft des Glaubens befördern. Vergegenwärtigt man sich die sich hieraus ergebende Spannungslage, so dürfte 'Fundamentaltheologie' eher ein Problemindikator als ein handhabbares Projekt sein. Anders formuliert: Im Ruf nach Fundamentaltheologie zeigen sich nicht Problemstellungen an, die durch eine gute Praxis fundamentaltheologischer Reflexion 'gelöst' werden könnten, sondern Fundamentaltheologie zeigt Probleme an, die durch Fundamentaltheologie zugleich verstärkt werden. Dies wird evident in mehreren Dilemmata. So führt z.B. der Nachweis der auch von nicht-religiöser Vernunft einsehbaren Rationalität der theologischen Einzeldisziplinen von der Exegese bis zur Praktischen Theologie faktisch zu einer unverbundenen Vielzahl theoretischer Referenzsysteme, die die innere Einheit der Theologie massiv gefährden, ein Problem, das im Beitrag und in der Diskussion von I. U. Dalferth immer wieder markiert wurde. Je nach Disziplin suchen die Kollegen und Kolleginnen öffentliche Reputation durch methodische Anschlüsse an und inhaltliche Diskussionen mit der Philosophie, der Germanistik, der Geschichtswissenschaft, der Soziologie oder auch nur mit dem Feuilleton ­ ohne zugleich den Beitrag des eigenen Faches zum Gesamtzusammenhang der Theologie zu bearbeiten. Auf die Ausdifferenzierung der Disziplinen mit der Ausdifferenzierung einer 'Schiedsrichterdisziplin' oder 'Fundierungsdiszplin' zu reagieren, dürfte als wenig aussichtsreiche, paradoxe Intervention eingestuft werden. Dieses Problem scheint in den Texten und Diskussionen des Bandes, vor allem im Beitrag von Peter Dabrock, immer wieder auf, wird aber in seiner grundsätzlichen und paradoxen Natur nicht vorstellig gemacht.

Historisiert man in dieser Situation den Vollzug der Fundamentaltheologie deutlich weiträumiger, als dies Matthias Petzoldt in seinem Vortrag anlegt, so werden ihre Notwendigkeiten und Möglichkeiten an spezifische Kontexte rückgebunden. Sie wird dann als Kind der frühen Moderne erkennbar, das mit dieser selbst in eine Krise gerät und heute vielfach nicht den Anschluss an die polykontextual verfasste Gegenwart, sondern an eine imaginierte Vergangenheit sucht ­ etwas, das am Rande des Textes von Michael Roth aufscheint.

Vor diesem Hintergrund wird die Frage wichtig, was hier und heute die Herausforderung einer theologischen Denkbemühung ist, die die Theologie in ihren intellektuellen und institutionellen Umwelten verortet und ihren eigenen Vollzug nach außen transparent macht. Im gegenwärtigen Umbruch der Hochschullandschaft dürfte die vordringlichste Aufgabe sein, deutlich zu machen, was die Theologie zur Theologie macht ­ eine Aufgabe, die alle Autoren des Bandes auch irgendwie im Blick haben, aber doch anders gewichten. Je mehr sich die Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften der Religion zuwenden und je mehr die Religionswissenschaft ausgebaut wird, umso bedeutsamer wird für die theologischen Fakultäten, und d. h. für alle theologischen Disziplinen, mit einem überzeugenden Konzept von Theologie nach außen ein Differenzbewusstsein zu vermitteln. Nur als differenzbewusste, nur als unapologetische und zugleich interdisziplinär gesprächsoffene, nur als theologische Theologie in allen Disziplinen werden die theologischen Fakultäten verhindern, in der Wirklichkeit von eigenen Selbstauflösungstendenzen überholt zu werden.

In den anstehenden universitären 'Reisen nach Jerusalem' wird es darauf ankommen zu vermitteln, dass alle theologischen Disziplinen einzeln und gemeinsam etwas anderes tun als die jeweiligen außertheologischen Referenzfächer. Dieses Anliegen schließt nicht aus, sondern ein, dass die Theologie ihr Wissen entspannt und mit guten Gründen auch in andere Diskurse hinein kommuniziert. Sie wird dies aber durch konkrete Kooperationen mit spezifischen Partnern und ebenso markanten Sachbeiträgen tun. Damit folgt die Theologie dem Grundsatz 'Öffnung durch Schließung' bzw. erkennt an, dass die Standpunkte fundamentaltheologischer Metareflexion letztlich auch nur 'einfache' Reflexion bieten. Statt Evidenzen und Gewissheiten zu formulieren, beschreiben sie als Theologie im Modus 'Anschlüsse suchender Selbstbeschreibung' Unwahrscheinlichkeiten. Dieser aktuelle Problemhorizont taucht in einigen Beiträgen des Bandes auf. Er ist aber weithin unter der Frage nach der Eigenständigkeit der Disziplin 'Fundamentaltheologie' verborgen.

Wer von dem Band definitive Klärungen zur Aufgabe und Kontur einer evangelischen Fundamentaltheologie erwartet, wird enttäuscht sein. Wer sich selbst einer neuzeittheoretischen, liberalen Position zurechnet, wird diese Linie in dem Buch vermissen. Wer jedoch einen instruktiven und materialreichen Überblick über weite Teile der deutschen Diskussion, die ponderablen Optionen und exemplarische Positionen sucht, für den ist dieser von Matthias Petzoldt herausgegebene Band ein großer Gewinn. Wer die Selbstverständigung evangelischer Theologie über Grundlagenfragen verstehen und vorantreiben möchte, der sollte diesen Band unbedingt in die Hand nehmen ­ und lesen.