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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1186–1188

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Mutschler, Hans-Dieter:

Titel/Untertitel:

Physik und Religion. Perspektiven und Grenzen eines Dialogs.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005. 293 S. gr.8°. Geb. Euro 59,90. ISBN 3-534-15735-4.

Rezensent:

Jürgen Audretsch

Endlich wissen wir es. In den USA hat eine große wissenschaftliche Untersuchung an 1802 Beipass-Patienten folgendes Ergebnis gebracht: »Jene, für die Leute beteten, hatten genau so viele Komplikationen wie die ohne Gebete. Tatsächlich ging es einer Gruppe von Patienten, die wussten, dass für sie gebetet wurde, schlechter.« (Washington Post, 30.03.2006) Die Untersuchung kostete 2,4 Millionen Dollar. Wieder einmal ist der Versuch eines empirischen Gottesbeweises negativ ausgegangen. Das ist an sich nicht bemerkenswert. Bemerkenswert ist, dass man für ein solches Unternehmen Fördergelder in dieser Höhe einwerben kann. Intelligent design und seine Rolle im Biologieunterricht wird kontrovers diskutiert. Es kommt Bewegung in den Dialog zwischen Naturwissenschaft und Religion, wenn auch festzustellen ist, dass an ihm bisher nur wenige Naturwissenschaftler teilnehmen. Das hat dann vereinzelt in Gesprächsrunden zur Folge, dass Inhalte und Methoden der Naturwissenschaften selbst gar nicht unmittelbar Gesprächsgegenstand sind. Man hält sich lieber an das, was einige möglichst bekannte Naturwissenschaftler zum Thema gesagt haben. Auf diesem Hintergrund ist es sehr begrüßenswert, dass Hans-Dieter Mutschler sich in seinem Buch den Naturwissenschaftlern zugewandt hat, von denen angeblich vertiefte Einsichten zum Thema »Transzendenz aus Physik« zu erwarten sind: Max Planck, Carl Friedrich von Weizsäcker, Wolfgang Pauli und die Physikalisten aus dem Bereich der Wissenschaftstheorie. In allen Fällen, abgeschwächt bei Pauli, übt M. harte Kritik und kommt zu einem ablehnenden Urteil.

Max Planck liest, wie M. schreibt, »die Gesetze der Physik als Sinnzusammenhänge mit Verweischarakter auf die Transzendenz«. Daraus ergibt sich Gott als unpersonales ordnendes Weltprinzip. Teleologisches, das sich religiös interpretieren lässt, manifestiert sich im Prinzip der kleinsten Wirkung. Allerdings lassen sich dessen Resultate auch lokal-kausal gewinnen. Und die Art von Sinn, von der Planck schreibt, wird heute kein Physiker in der Physik vermuten.

Von Weizsäcker geht davon aus, dass es nicht nur in der Religion, sondern auch in den Wissenschaften ein Transzendenzbestreben gibt, das schließlich in einem gemeinsamen Zielpunkt mündet. Er ist Physikalist. Es gibt nur eine Wissenschaft und das ist die Physik.

Von Weizsäcker will die Physik in idealistischer Weise interpretieren und als Ideenlehre rekonstruieren. Durch diese ideelle Bestimmung soll ein kontinuierlicher Übergang zur Religion geschaffen werden, der schließlich auch Mystik einbindet. Nach M.s Ansicht ist der Entwurf von von Weizsäcker der wohl am besten ausgearbeitete Entwurf mit dem Ziel, Gott aus der Physik zu beweisen. Im Zentrum von M.s Kritik steht die philosophische Interpretation der Quantentheorie als einer Ideenlehre. »Der abstrakte Aufbau der Quantentheorie legt nah, die Information als das Zugrundeliegende und insofern als die Substanz aufzufassen.« (von Weizsäcker zitiert nach M., 37)

M. legt im Einzelnen dar, wie von Weizsäckers Versuch scheitert, den Informationsbegriff als Zentralbegriff der Axiomatik der Physik einzuführen, um so die Physik in einer Letztbegründung als Grundlagenwissenschaft zu vollenden. Nach von Weizsäcker sind die Uralternativen (»Ure«) der Ausgangspunkt einer Quantentheorie der Information. Also: »Im Anfang war die Information« statt »Im Anfang war das Wort«. Es ist eine offenbar für manche Theologen verlockende Vorstellung, dass man durch Zerlegen der Welt beim »Geist« enden kann. Das Problem ist allerdings, dass man mit diesem Informationsbegriff weit über das hinausgeht, was in der Informationstheorie unter Information verstanden wird. Letzten Endes bezieht sich Information auf die Kommunikation zwischen Sendern und Empfängern und kann so nicht zu einem physikalischen Grundbegriff gemacht werden. Von Weizsäckers Theorie der »Ure« hat daher auch so gut wie keine Resonanz unter Physikern gefunden. Der angestrebte Paradigmenwechsel ist nicht eingetreten.

Im folgenden Kapitel wendet sich M. dem negativen Gottesbeweis zu, der sich aus einer physikalistischen Wissenschaftstheorie zu ergeben scheint. Hier steht der »Wiener Kreis« im Mittelpunkt, aber auch Quine wird gewürdigt. M.s Vorwurf besteht darin, dass man durch den Vorrang der Logik vor der Vernunft jenen Horizont zum Verschwinden bringt, vor dem Fragen der Religion überhaupt erst zu sinnvollen Fragen werden. Man kann also durch Wahl einer bestimmten Sprachform und Methode Gott gewissermaßen zum Verschwinden bringen. Den modernen Formalwissenschaften folgt die Nichtexistenz Gottes nur, wenn man eine Zusatzprämisse macht, die die Physik in Physikalismus und die Logik in Logizismus verwandelt. Nach der Verstandesklarheit und vielleicht auch Verstandesborniertheit der Logizisten kommt im Kapitel über die Pauli-Jung-Debatte die Rolle des Mentalen und Psychischen in den Blick. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die Spannung zwischen Physik und Religion zunächst eine existentielle ist, die ihren Ausgleich primär nicht in theoretischen Lehren, sondern in einer bestimmten spirituellen Praxis findet.

Im Kapitel »Wissenschaft und Lebenswelt« ist besonders der Abschnitt über Populärwissenschaft wichtig, weil er einen direkten Bezug zu den einleitend geschilderten Aktivitäten hat. Im Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie ist die elementarisierte Darstellung der Methoden und Ergebnisse der jeweiligen Seite unverzichtbar. Gefährlich wird es, wenn Theologen Spekulationen ernst nehmen, die als Ergebnisse der Physik ausgegeben werden. Übergänge zwischen gesicherten Ergebnissen und physikalischen Spekulationen bis hin zu theologischen Aussagen werden oft bewusst verwaschen gehalten und so erfahren wir denn etwas über »GOTT«, den »Plan Gottes« oder den »Geist der Materie«. Die entsprechenden Bücher und Artikel erfreuen sich beim breiten Publikum deshalb so großer Beliebtheit, weil sie eine kompensatorische Funktion haben. Wenn physikalistisches Denken dominiert, entsteht die Sehnsucht nach Metaphysik und hierfür enthält manche populärwissenschaftliche Darstellung ein noch dazu leicht zu konsumierendes Angebot.Das Buch schließt positiv. M. spricht einige Themen an, die Gegenstand eines Dialogs zwischen Physik und Religion sein können. Eine zentrale Frage ist sicherlich die, ob Gott in der Welt wirken kann. Das ist zugleich die Frage, ob finales Denken widerspruchsfrei neben kausales Denken treten kann. Erfahrung ist ein weiterer Schlüsselbegriff, den es zu analysieren gilt. Auch die religiöse Erfahrung hat einen verstehbaren Aspekt.

Die Reichhaltigkeit des Buches kann hier nicht wiedergegeben werden. Es ist ein in der Darstellung »barockes« Buch entstanden. Das mag für einige Naturwissenschaftler, die mehr mit einer Argumentation in »romanischer Bauweise« vertraut sind, etwas ungewohnt sein. Aber auch diese Leser werden durch das Engagement M.s mitgerissen. Wer am Dialog zwischen Naturwissenschaften und Religion von welchem Ausgangspunkt aus auch immer teilnehmen will, sollte sich von diesem Buch anregen lassen.