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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1185 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Clayton, Philip:

Titel/Untertitel:

Mind and Emergence. From Quantum to Consciousness.

Verlag:

Oxford: Oxford University Press 2004. XI, 236 S. m. Abb. 8°. Lw. £ 37,00. ISBN 0-19-927252-2.

Rezensent:

Hans-Dieter Mutschler

Claytons Buch über 'Emergenz' ist der ehrgeizige Versuch, diesen Begriff von den Atomen über Lebens- und Bewusstseinsphänomene bis hin zu Gott durchzukonjugieren und dies auf gerade mal 200 Seiten. Gemessen daran, dass das eigentlich nicht gelingen kann, ist es eigentlich gut gelungen, wenngleich sich einige Einwände aufdrängen.

C. beschreibt zunächst einmal die Schwächen des Reduktionismus und die Geschichte des Emergenzbegriffs, um dann in einem zweiten Schritt 'Emergenz' systematisch zu behandeln. Es werden verschiedene Konzepte diskutiert. Sein eigenes läuft darauf hinaus, dass 'Emergenz' unvorhersehbare Phänomene, also Neues, bezeichnet, das aus den Subsystemen eines Systems nicht herleitbar, aber gleichwohl kausal wirksam ist. Es gibt also nicht nur die herkömmliche 'bottom-up'-, sondern auch eine 'top-down'-Kausalität. Mit diesem Konzept will C. die unfruchtbare Alternative zwischen materialistischem Monismus und Substanzendualismus unterlaufen, wobei die 'downward causation' nicht auf mentale Verursachung hin eingeschränkt werden darf, vielmehr soll Freiheitsgeschehen organisch in den Naturzusammenhang eingegliedert werden. Daher beschreibt C. in einem dritten Schritt emergente Phänomene in den Naturwissenschaften, beginnend bei der Physik, Chemie, Biologie, aber auch in der Informationstheorie, der 'Artificial-Life'-Programmiertechnik, den 'Zellulären Automaten' usw.

In einem vierten Schritt versucht er, seine Emergenztheorie als überlegene Metatheorie in der Leib-Seele-Debatte stark zu machen, indem er sie auf die gängigen Topoi, wie z. B. die Qualia-Debatte, verschiedene Supervenienz- oder Identitätstheorien, aber auch den Indeterminismus der Quantentheorie usw. bezieht. Hier wird deutlich, dass er die 'kausale Geschlossenheit der Welt' zurückweisen muss, nicht aber zugleich annimmt, dass die 'downward causation' den Energiesatz verletze.

In einem fünften Kapitel über »Emergence and Transcendence« benutzt C. einen voll bestimmten Begriff des 'Mentalen', um Transzendenz plausibel zu machen. Dies ist vor allem deshalb ein Kunststück, weil die ersten vier Kapitel immer davon ausgingen, dass Physisches und Mentales nur verschränkt vorkommen, während die Transzendenz Gottes einen ontologischen Dualismus impliziert. Aber C. ist der Meinung, dass die unbeantwortbaren Fragen, die der Naturalismus übrig lässt, eine größere Last sind als die mangelnde empirische Plausibilität des Theismus, der sie beantwortet.

Es ist immer lästig, ein reichhaltiges Buch mit so dürren Worten zu paraphrasieren. Tatsächlich bemerkt man auf Schritt und Tritt die enorme Arbeit, die C. in sein Unternehmen hineingesteckt hat. Man hätte sich gewünscht, dass ihm der Verlag den doppelten Umfang zugestanden hätte, wodurch das Buch immer noch nicht redundant geworden wäre. Vermutlich wird es wenige Autoren geben, die über ein so breites Wissen verfügen wie C. und die im Stande sind, es in so vielfältiger Weise kohärent zusammenzufassen.

Wenn im Folgenden einige Kritikpunkte namhaft gemacht werden, dann mit der Versicherung, dass dadurch keinesfalls das Gewicht des Werkes in Frage gestellt werden sollte: Es scheint z. B. nicht ganz klar, was 'downward causation' eigentlich meint. Wenn die Welt nicht kausal geschlossen ist und wenn diese 'causation' den Energieerhaltungssatz nicht aufheben kann, dann muss sie also wirksam sein, ohne Energie zu kanalisieren. Wie soll man sich das vorstellen, wenn spezifische Wirkungen dabei herauskommen sollen und nicht nur Zufallsschwankungen?

Es ist auch nicht klar, ob es Emergenz im physikalischen Bereich geben kann. Es ist doch wohl kein Zufall, dass praktisch alle Physikalisten gegen die Emergenz sind. Tatsächlich kann man in der Physik nur das erklären, was aus Formeln ableitbar ist, und das kann daher auch nichts »Neues« sein, und das, was nicht ableitbar ist, kann auch nicht als qualitativ neu, sondern nur als 'zufällig' charakterisiert werden.

Weiter: Welcher Naturbegriff wird hier vorausgesetzt? Wenn Natur die Fähigkeit hat, Unableitbares zu produzieren, haben wir es dann nicht mit einer Art Schellingscher 'natura naturans' zu tun und würde das nicht dazu führen müssen, das Metaphysikproblem deutlicher zu machen?

Am problematischsten erscheint die Einführung eines transzendenten Gottes am Schluss des Buches, wo man einen immanenten Gott erwartet hätte. Es wirkt wie aufgesetzt.

All dies kann jedoch nicht den positiven Gesamteindruck des Buches schmälern. In einer Zeit, wo Philosophen nur noch an Detailproblemen herumlaborieren, hat einer den Mut zu einer philosophischen Großerzählung. Angesichts dessen wiegen solche Kritikpunkte leicht.