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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1165–1167

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Krauter-Dierolf, Heike:

Titel/Untertitel:

Die Eschatologie Philipp Jakob Speners. Der Streit mit der lutherischen Orthodoxie um die »Hoffnung besserer Zeiten«.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XIV, 376 S. gr.8° = Beiträge zur historischen Theologie, 131. Lw. Euro 89,00. ISBN 3-16-148577-7.

Rezensent:

Dietrich Blaufuß

Martin Schmidt, der bedeutendste Pietismusforscher im 20. Jh., steht ­ auch 'wörtlich'! ­ hinter dieser Arbeit: »Speners Zukunftshoffnung [ist] ... als eigentliches Movens des Spenerschen Reformprogramms zu betrachten.« (340) Krauter-Dierolfs zusammenfassende Arbeit über den Streit um Speners Eschatologie integriert sich gut in ein seit langem entstehendes Ensemble von Promotionsschriften zu Speners Theologie an vielen Theologischen Fakultäten, durchaus nicht immer von Pietismusforschern angeregt (z. B. G. Maron, W. Maurer).

K.-D.s von J. Wallmann betreute, von D. Wendebourg mitbetreute und von C. Markschies zweitbegutachtete Dissertation (Sommersemester 2004) an der Humboldt-Universität Berlin lag pünktlich zum 5.2.2005, dem 300. Todestag Speners, vor. Den »Streit [Speners] mit der lutherischen Orthodoxie um die 'Hoffnung besserer Zeiten'« darstellen bedeutet, ein immenses Quellenmaterial auf diese Fragestellung hin durchmustern (s. nur 343!), ordnen, gliedern und darstellen. Ergibt sich Speners Eschatologie als ein tragendes Wesenselement des von ihm ausgehenden Pietismus?

Die im Aufbau gut zu überblickende Arbeit hat ihren Schwerpunkt in Teil III, der von Spener gesuchten (!) Auseinandersetzung um die »Hoffnung besserer Zeiten für die Kirche« (145­286). Dem gehen im Teil I die um die »Pia Desideria« herum sich artikulierende Hoffnung Speners von 1674 bis in die 80er Jahre (9­81) voraus und der Teil II zu den ersten geäußerten Klärungswünschen hinsichtlich der Chiliasmusfrage ­ endend mit einem »Ausblick: Spener und [die beiden! ­ D. B.] Petersen in den 1690er Jahren« (83­144). Konsequent folgt dem Hauptabschnitt der 'praktische' Teil IV zu den Auseinandersetzungen um die Kirchlichkeit des Pietismus.

Die den Teilen jeweils vorangehenden Zielbeschreibungen und die jeweiligen Zusammenfassungen erübrigen hier lange Inhaltsschilderungen. Ein Dickicht von Diskussionen wird deutlich. Mit den immer und immer wieder nötigen Sachklärungen zu Chiliasmus/biblische Begründung/CA 17/ekklesiale Folgen strotzen sie nicht gerade vor Transparenz. Paul Grünberg (dem nach über 100 Jahren noch nicht überholten Spener-Forscher) und seiner Geringachtung des ganzen Problems wird man nach der Lektüre K.-D.s nicht geradehin jedes Wahrnehmungsvermögen absprechen wollen. Speners Aussagen zur Sache sind uneinheitlich. Die jeweilige historisch-politische Lage änderte z. B. seine Aussage zum Fall Roms (»Babel«). »Streittaktische« Gesichtspunkte ­ nur solche? ­ ließen nicht selten den ganzen Fragenbereich bei den Gegnern für gewichtiger erscheinen als bei Spener. Der Wunsch nach gezielter Einzelprüfung von K. R. Baxters in Kürze veröffentlichter Dissertation mit der Sicht einer »Evolution [!] in Spener¹s Zukunftshoffnung on his Expectations« (s. DAI.A 53 [1993], 1912­13­A) wird stark, auch wenn K.-D. hier klar ablehnend votiert (81, Anm. 14, ergänze 71, Anm. 131). Die Gesprächspartner waren doch sehr unterschiedlich (Valentin Alberti, August Pfeiffer ...). Bis in das Schlusswort hinein bleibt K.-D. bei ihrer These, Spener modifiziere über 30 Jahre hin nur »leicht« seine »Hoffnung besserer Zeiten« ­ fernab eines von der CA gemeinten Chiliasmus. Aber: Durchgehend »zurückhaltend[e]« Äußerungen dazu bleiben zugleich ein »gewisse(r) Widerspruch« (340).

Gegenüber Walch, Grünberg, Gierl und D. Meyer (in Ph. J. Spener: Schriften 5. 2005) grenzt K.-D. natürlich die Thematik ein. Neue Spener-Texte gibt es nicht. Bei den zeitgenössischen Werken zu Spener kann K.-D. einige neue Quellen heranziehen. (Grünberg stütze sich vor über 100 Jahren auf die reichen Göttinger Bestände.) Genaue Ermittlung zeitlicher Aufeinanderfolge vieler auch kleiner (Flug-)Schriften ist K.-D. wichtig. Ano-/Brachy-/Pseudonyma sind selten aufgelöst. Allerdings: »D. S. D.« ist Paul Astmann, Speners Diakon; »Liebhaber der Wahrheit« dürfte Justus Lüders sein; »Freund der Wahrheit« und »Martinus Wahrmund« ist Heinrich Georg Neuß (213.99.195.188, zu Neuß s. jetzt www.bautz/BBKL s.v., Lit. ergänzt!).

Dubia/Errata/Desideria sind anzumelden. Speners Vernachlässigung der Türkenkrieges hätte man gern an seinen zwei einschlägigen Predigten 1683, 1685 aufgewiesen (58). Zur Rede von Rom als »Babel« wäre auch auf die strikte Verneinung dieser Rede für die lutherische Kirche (Spener Bd. 4. 1984) und auf seine Reformationsfestpredigten hinzuweisen (59 f.). Die Auflistung der Spener-Schilter-Korrespondenz ist fehlerhaft, unvollständig und ungenau (154), hierzu einschlägig Veröffentlichtes fehlt bei K.-D. (D. B.: Spener-Arbeiten. 21980, Reg.! Spener Bd. 16/1. 1989, 53* u. ö.). Vorhandene Drucke sollten Nachweisen aus Handschriften zugefügt werden (155, Anm. 80 s. Spener Bd. 16/2, 618a; fünf Mal aus drei Kißner-Berliner Briefen, 131­134). Empfänger sollten bei Briefzitaten genannt sein, besonders bei den noch nicht kritisch edierten Schreiben (314, Anm. 29, an das Regierungsmitglied H. E. v. Knoch; Spener Bd. 15/1, 66*). Lexikon-Nachweise in den Fußnoten könnten die Verfasser von ADB etc. gleich nennen. Kleinere Versehen wie »2.«4.1692 für richtig 25.4. bzw. (LBed2 eindeutig:) 27.4. (140, Anm. 127) oder »Spenner« (!) (72) mögen auf sich beruhen. Und auch Speners »feierliche(s) Bekenntnis vom 11.6.1705 [!]« hat zu einer Offenlegung seines 1719 durch von Canstein »mit ins Grab genommen[en]« Geheimnisses leider nicht geholfen ... (341).

Die gründliche, ohne Schuld K.-D.s nicht immer gleichmäßig 'spannend' zu lesende Arbeit hilft in der Diskussion um die 'notae pietismi' weiter. Mehr und mehr wird die theologische und spirituelle Nähe des Pietismus zur lutherischen Orthodoxie offengelegt ­ s. schon H. Reiners Diss. 1969, 117 u. ö.; G. Bogner, in »Passion, Affekt ...«, 2005. Das stellt die Belastbarkeit einer auf Eschatologie und collegium pietatis ruhenden Pietismus-Charakteristik durchaus auf eine Probe.