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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1163–1165

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Jacobi, Friedrich Heinrich:

Titel/Untertitel:

Briefwechsel 1786. Nr. 1307­1608.

Verlag:

Hrsg. v. W. Jaeschke u. R. Paimann. Unter Mitarbeit v. A. Mues, G. Schury u. J. Torbi. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2005. XXV, 463 S. m. 2 Abb. gr.8° = Friedrich Heinrich Jacobi Briefwechsel. Reihe I, 5. Lw. Euro 287,00. ISBN 3-7728-2269-X

Rezensent:

Wolfgang Sommer

Mit diesem Band ist die Projektleitung der großen Edition des Briefwechsels von Friedrich Heinrich Jacobi an Walter Jaeschke von der Ruhr-Universität Bochum übergegangen, die von Michael Brüggen und Siegfried Sudhofft seit 1981 als Gesamtausgabe bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften begründet wurde. Zusammen mit Rebecca Paimann hat er den Briefwechsel des Jahres 1786 fertiggestellt, der von Albert Mues, Gudrun Schury und Jutta Torbi in der Jacobi-Forschungsstelle der Universität Bamberg (Leitung: Prof. Dr. Heinz Gockel) vorbereitet wurde.

Mit dem Jahr 1786 erreicht der umfangreiche Briefwechsel J.s seinen Höhepunkt, nachdem er schon 1785 beträchtlich anstieg (vgl. zuletzt meine Rezension in der ThLZ 129 [2004], 1320­1322). Neben privaten Sorgen vor allem um den zweiten Sohn J.s, Georg Arnold, der J. viel Kummer macht, stehen die verschiedenen philosophischen Auseinandersetzungen der Zeit im Mittelpunkt dieses für J. so ereignisreichen Jahres. Die Spinoza-Debatte hatte schon die Briefe des Jahres 1785 wesentlich bestimmt, nun geht der Streit um J.s Schrift: »Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn« und um Mendelssohns: »Morgenstunden oder Vorlesungen über das Daseyn Gottes« verschärft weiter. Auf der Seite J.s steht vor allem Johann Georg Hamann, der Hauptbriefpartner dieses Jahres. Über die Metaphysik des Spinoza hatte er geurteilt: »Eine Welt ohne Gott ist ein Mensch ohne Kopf ­ ohne Herz, ohne Eingeweide ­ ohne pudenda« (Brief Nr. 1115 im Briefwechsel 1785). Aber auch der junge Theologe Thomas Wizenmann, Johann Kaspar Lavater und Matthias Claudius sind die Mitstreiter J.s gegen die Berliner Aufklärer Christoph Friedrich Nicolai, Johann Jakob Engel, Karl Philipp Moritz und den Kreis um die »Berlinische Monatsschrift«. Am 4. Januar 1786 starb Moses Mendelssohn. Sein Tod wurde in einem Zeitungsartikel mit J.s Angriffen auf Mendelssohn in Verbindung gebracht, was von seinen Freunden empört zurückgewiesen wurde. An Hamann schreibt J.: »Daß Mendelssohn um meinetwillen sich so sehr erhitzt u wieder erkältet hat, daß er davon gestorben ist, thut mir herzlich leid: aber die lange Predigt davon, u der heilige Eifer des seligen Mannes selbst, hat mir lachen machen« (43). Doch Herders Warnung: »Mit Todten zu streiten, ist immer unangenehm« (24), sollte sich noch bewahrheiten. J. erhält Mendelssohns postume Schrift »An die Freunde Lessings«; gegenüber Hamann bezeichnet er sie als eine Schmähschrift, die er gebührend zurückweisen will, dass sich Hamann wundern wird (73 ). Der Streit geht also weiter, und am 18. März bietet J. dem Leipziger Verleger Georg Joachim Göschen seine Schrift: »F. H. Jacobi wider Mendelssohns Beschuldigungen, betreffend die Briefe über Leßing u Spinoza« an. Die Schrift findet im Freundeskreis von J. allerdings ein geteiltes Echo. Goethe ist abgeneigt gegen solche Art Streitschrift, aber er schreibt J., dass er ein guter Mensch sei, »daß man dein Freund seyn kann ohne deiner Meynung zu seyn, denn wie wir von einander abstehn hab ich erst recht wieder aus dem Büchlein selbst gesehn ... Wenn du sagst, man könne an Gott nur glauben, so sage ich dir, ich halte viel aufs schauen ...« (196). Auch Hamann hält mit Kritik nicht zurück, und Gleim nennt den Streit ein Stiergefecht (198). An Christian Garve schreibt J. am 27. April von dem Märchen des »Crypto-Jesuitismus«, den die Berliner Aufklärer als Vorwurf gegen J. erhoben haben. Ein gewisser Franz Michael Leuchsenring habe es aufgebracht (169 ff.).

Aus dem Briefwechsel J.s im Jahr 1786 sind nicht nur diese Streitschriftenfehden zwischen den bekannten Gestalten der deutschen Geistesgeschichte des späten 18. Jh.s ersichtlich, sondern auch die enge Zusammenarbeit zwischen J. und Hamann an dessen »Fliegendem Brief«, dessen detaillierte Entstehung aus dem Briefwechsel erkennbar wird. Hamann teilt J. seine fortwährenden körperlichen und seelischen Nöte mit, die ihn an seiner geistigen Produktivität hindern: »Mir ist so übel und weh, alles so eckel, daß ich nichts hören noch sehen mag ... Ach lieber J. wenn es Ihnen nur mit dem Publico geht wie mit deßelben Hohenpriester Moses Mendelssohn. Je mehr man schreibt und redet; desto mehr giebt es Misverständniße, und Nebenumstände, um die Sache selbst an seinem Ort gestellt zu seyn laßen, und die man sich zu Nuze macht zur Chikane ­ und davon lebt man« (103).

Vom 13. Juni bis zum 10. August befindet sich J. in England. Die näheren Umstände dieses Aufenthaltes gehen aus vielen Briefen hervor: An die Zurückgebliebenen in Pempelfort, besonders an Johann Heinrich Schenk, schildert er seine Reiseeindrücke und die wohltuende Atmosphäre im Hause des Grafen Friedrich von Reventlow und seiner Frau Friederike Juliane (277).Nach Pempelfort zurückgekehrt, gehen die literarischen Kämpfe weiter, nun verstärkt durch die Diskussion um Kants Abhandlung: »Was heißt: Sich im Denken orientiren?« J. muss sich von Kants Begriff des moralischen Glaubens absetzen, was ihm eine erneute Auseinandersetzung mit Kants Philosophie aufnötigt. An Hamann kündigt er seine Gedanken über »David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch« an; die Schrift erscheint 1787.

Der Theologe Thomas Wizenmann, der schon länger ein Vertrauter von J. ist und zu dieser Zeit in dessen Haus wohnt, hatte die philosophischen Streitpunkte zwischen J. und Mendelssohn in einer eigenen Schrift zusammengefasst und J. überreicht, der sie bei Göschen in Leipzig 1786 drucken ließ. Durch den Briefwechsel 1786 zieht sich die große Sorge von J. über die schwere Erkrankung von Wizenmann, dem er verschiedene ärztliche Hilfe zukommen lässt, die aber doch nichts mehr ausrichten konnte. Im Februar 1787 stirbt er.

Ein ausführliches Personen-Verzeichnis beschließt den Band, dem zwei Abbildungen von J. und Hamann beigegeben sind, beide aus späterer Zeit: das Porträt von J. um 1842 von Laurentius Schäfer im Besitz des Goethe-Museums in Düsseldorf und der Stich von Hamann von J. A. Weger, Eigentum des Westfälischen Landesmuseums in Münster.