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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1152–1154

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gundry, Robert H.:

Titel/Untertitel:

The Old is Better. New Testament Essays in Support of Traditional Interpretations.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XIII, 454 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 178. Lw. Euro 109,00. ISBN 3-16-148551-3.

Rezensent:

Marius Reiser

Robert Gundry, Professor emeritus für Neues Testament und Griechisch am Westmont College Santa Barbara (California), hat in diesem Band 20 Aufsätze gesammelt, vier davon bisher unpubliziert, die meisten übrigen revidiert. Das Themenspektrum ist weit: ein hermeneutischer Beitrag zur theologischen Verschiedenheit im neutestamentlichen Kanon, ein Beitrag zur Frage der Gattung der Evangelien, einer zum Sitz im Leben des Matthäusevangeliums (»jüdisch-christlich oder christlich-jüdisch?«), einer zur Papiastradition, zum »Geheimen Markusevangelium«, zu Q 12,22b­31 und P. Oxy. 655, zum Bergpredigt-Kommentar von H. D. Betz, zum Prozess Jesu, zur Leiblichkeit der Auferstehung Jesu. Dann einige Beiträge zu Paulus: die Schwächen der New Perspective, die Anrechnung der Gerechtigkeit Christi, Röm 7, Phil 2,6­11. Schließlich noch drei Beiträge zum Johannesevangelium, vor allem zur Frage des Logos außerhalb des Prologs, und zwei Beiträge zur Apokalypse (Engelchristologie und Neues Jerusalem).

Die Beiträge sind lesbar und straightforward geschrieben. G. argumentiert klar, sachlich und engagiert. Am Schluss jedes Aufsatzes steht ein klares, begründetes Ergebnis. Seine faire und unparteiische Art bewährt sich vor allem dort, wo er sich mit bestimmten Exegeten und ihren Thesen auseinandersetzt. So mit N. Thomas Wrights Jesusbuch (42­48). Wrights vernichtende Kritik des Jesus-Seminars und seines »blutlosen Jesus« findet G.s Zustimmung. Er meint aber, man solle es sich gut überlegen, bevor man Wrights rekonstruierten Jesus als Alternative annehme. Die »kanonischen Jesuse« seien höher zu stellen als irgendein »mutmaßlich historischer Jesus« irgendeines modernen Gelehrten (48). Auch hinter den Quellenhypothesen zur Bergpredigt von H. D. Betz sieht G. ein fragwürdiges Jesus-Bild, nämlich den »jüdischen Liberalen« (148). Gegen A. J. Saldarini (»Matthew¹s Christian-Jewish Community«, 1994) verteidigt G. die traditionelle Sicht, dass die Gemeinde des Matthäus sich nicht als Teil der Synagoge verstand, sondern sich von dieser bereits getrennt hat (111­119). Gegen James M. Robinson und Christoph Heil argumentiert G., dass der Text des P. Oxy. 655 gegenüber Q 12,22b­31 sekundär ist (149­170). Gegen H. Köster und J. O. Crossan betrachtet er das sog. »Geheime Markusevangelium« als sekundär gegenüber dem kanonischen Markus (74­97). Gegen E. P. Sanders »New Perspective on Paul« verteidigt er die »Old Perspective« und meint: Das Hineinkommen in den Neuen Bund wie das Bleiben in ihm erfolgen für Paulus sola fide (195­224). In all diesen Punkten stellt sich der Rezensent gerne auf die Seite G.s.

Mit Recht betont G., dass die jüdische Literatur bessere Parallelen zur Gattung der Evangelien liefert als die pagane (41). Und er stellt in diesem Zusammenhang fest: »Miracle stories in the Gospels still present the biggest bugaboo« (36). »Angesichts des Befunds jedoch würden wir gut daran tun, W. Pannenbergs Einschränkung des Analogieprinzips in unserem Nachdenken über das Wunderbare ganz ernst zu nehmen« (37). Wie lange es wohl noch dauert, bis wir Exegeten gewisse Dogmen der Aufklärung hinter uns lassen?

Eine besondere Stärke G.s ist das Stellen kritischer Fragen, die er immer wieder in Serien präsentiert (z. B. 13 f.15.47 f.347). Auch der Beitrag über den Prozess Jesu vor dem Hohen Rat (98­110) beginnt mit einer solchen Frageserie. G. greift dann nur eine auf: Für welche Blasphemie wurde Jesus eigentlich zum Tod verurteilt? Da die Mischna (Sanh 7,5) ein Todesurteil nur zulässt, wenn der Angeklagte den heiligen Namen Gottes ausspricht, nimmt G. an, dass Jesus dies tatsächlich getan hat, und zwar an der Stelle, wo die Zeugen mit einer Umschreibung des Gottesnamens vom Sitzen zur Rechten »der Macht« reden (Mk 14,62) (103). Diese Hypothese, die Jesus ohne Not eine Ungeheuerlichkeit begehen lässt, ist m. E. mit der historischen Besonnenheit, die G. doch selbst fordert, nicht vereinbar, zumal nicht einmal sicher ist, dass die entsprechende Mischna-Vorschrift vor 70 n. Chr. schon galt. Übrigens wäre es auch für christliche Theologen kein Fehler, sie würden sich in diesem Punkt der jüdischen Scheu wieder anschließen, die auch für das Christentum bis zur Aufklärung selbstverständlich war. Die alte Praxis war besser.

Im Beitrag zum sog. »Philipper-Hymnus« ­ G. hält ihn zu Recht für »Paul¹s own exalted prose« (286) ­ möchte er einen konzentrischen Aufbau in fünf Teilen herausarbeiten. Dazu muss er allerdings für den zweiten Teil (»er entäußerte sich selbst und nahm Sklavengestalt an«) Christi Tod als Referenten annehmen (274­279). Auch in diesem Fall ist freilich, ganz im Sinne des Buchtitels, die alte Deutung, die diese Aussagen auf die Inkarnation bezieht, die bessere.

In seinem Beitrag zu Joh 3,14­17 (363­376) möchte G. begründen, dass das hutos oste in Joh 3,16 nicht mit »so sehr daß« zu übersetzen ist, sondern mit »in dieser Weise ... und so«, und dass das Satzglied »in dieser Weise hat Gott die Welt geliebt« den vorhergehenden Satzteil abschließt und mit »und so gab Gott seinen einzigen Sohn« der nächste Satzteil beginnt. Auch in diesem Fall dürfte die alte Deutung, die wir schon in der Vulgata haben, die bessere sein: »So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn dahingegeben hat ...«. Das ergibt einen klareren Aufbau des johanneischen Textes. Die vielen Beispiele aus der antiken Literatur für die Bedeutung »auf diese Weise ... und so«, die G. gesammelt hat, sind weder notwendig noch immer überzeugend.

An der Deutung von Röm 7 kann man bis heute erkennen, ob ein Exeget reformiert ist oder nicht. Die Frage nämlich, ob sich die Ausführungen des Paulus über den »fleischlichen, unter die Sünde verkauften« Menschen, der das Gegenteil von dem tut, was er eigentlich will, auf den Bekehrten oder den Unbekehrten beziehen, entscheidet allein die Konfession. G. meint: »Augustinus von Hippo hat einen Fehler gemacht, als er seine Meinung zur Bedeutung von Röm 7,7­25 geändert hat. Seine ältere Sicht war die bessere« (271). Einem Calvinisten erscheinen alle Gründe, die für die spätere Sicht des Augustinus sprechen, schwach. Einem Katholiken erscheint die frühere Sicht des Augustinus wirklichkeitsfremd. Man zeige mir den Bekehrten, der von all dem, was Paulus hier beschreibt, frei ist!

Der letzte Beitrag des Sammelbands hat die These im Titel: »The New Jerusalem: People as Place, Not Place for People« (399­411). Da sehe ich die Alternative nicht. Ein Volk braucht einen Ort. Und wenn es im himmlischen Paradies eine Stadt gibt, dann kann das nur das Neue Jerusalem sein.

Der erste Beitrag zählt viele Beispiele für die unterschiedlichen Christologien des Neuen Testaments auf. Er schließt mit einem etwas änigmatischen Hinweis auf den Mythos von Proteus (14 f.), fügt aber noch ein Postskriptum hinzu. Darin erklärt G. seine Meinung ganz unmythisch: Der Kanon des Neuen Testaments beschränkt das Spektrum der autoritativen Christologien, aber lädt zur Entwicklung neuer ein. »Doch die Entwicklung neuer Christologien verlangt ihre ständige Überprüfung nicht nur negativ, um ihre Nichtwidersprüchlichkeit zu kanonischen Christologien sicherzustellen, sondern auch positiv, um sicherzustellen, daß sie etwas von dem fortführen, was wir in den kanonischen Deutungen Jesu finden. Dann, aber nur dann, wird sich das Alte als besser erweisen« (17)