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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1144–1146

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Breytenbach, Cilliers, and Laurence L. Welborn [Eds.]:

Titel/Untertitel:

Encounters with Hellenism. Studies on the First Letter of Clement.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2004. XII, 231 S. gr.8° = Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums, 53. Geb. Euro 85,00. ISBN 90-04-12526-4.

Rezensent:

Hermut Löhr

Der Band bietet den Wiederabdruck von drei »Klassikern« der historischen Arbeit an 1Clem und zweier jüngerer Beiträge der Herausgeber selbst. Die Leitidee der Zusammenstellung will der Titel ausdrücken: Die Studien suchen einen wichtigen Aspekt der Exegese von 1Clem, die Interpretation von einzelnen Textpassagen oder des Briefes insgesamt durch den Vergleich mit pagan-antiken Texten, zu fördern. Demgegenüber tritt die Suche nach Analogien und Einflüssen in zeitgenössischer jüdischer Literatur deutlich in den Hintergrund.

Besonders dankbar wird man für den Wiederabdruck von Adolf von Harnacks letzter Arbeit aus dem Jahr 1929 sowie für die von Welborn besorgte englische Übersetzung der bisher nur auf Niederländisch zugänglichen Studie von Willem Cornelis van Unnik von 1970 sein. Von Harnacks »Einführung in die Alte Kirchengeschichte«, eine veritable Einleitung in 1Clem samt Übersetzung, kurzer Kommentierung und einer Anzeige von zum Teil bis heute nicht eingeholten Forschungsdesideraten, hat nichts von ihrer Souveränität, Klarheit und Frische verloren (vgl. die ausführliche Besprechung durch Hugo Koch in ThLZ 55 [1930], 250­253). Sie macht Lust auf die Beschäftigung mit dem oft unterschätzten oder abgewerteten Schreiben, das in Wahrheit in mancher Hinsicht die Brücke zwischen dem Neuen Testament und der Geschichte und dem Denken der Alten Kirche bildet. Von Harnacks Wunsch, »daß jeder Student der Theologie sich durch den I. Clemensbrief in die älteste Kirchengeschichte einführen lässt« (2), wird zum Schaden der Sache noch viel zu wenig entsprochen.

Van Unniks »Studies over de zogenaamde eerste brief van Clemens« gehören, obwohl Fragment geblieben, zu den wichtigsten Beiträgen des 20. Jh.s zur Erforschung des römischen Schreibens. Ihre Übertragung ins Englische dürfte ihnen eine breitere Leserschaft als bisher erschließen. Sie widmen sich der Frage nach Gattung und rhetorischer Disposition des Textes und bestimmen ihn als symboulê zu Eintracht und Frieden. Die reiche Berücksichtigung von Autoren wie Isokrates, Dion von Prusa, Quintilian oder Aelius Aristides belegt, dass »rhetorical criticism« auch vor der Erfindung dieser Methoden-Bezeichnung im Bereich frühchristlicher Literatur fruchtbar angewendet wurde.

Der Beitrag von Werner Jaeger ist ein Ausschnitt (Kapitel 2) seiner 1961 veröffentlichten Carl Newell Jackson-Vorlesungen (dt. Übersetzung: Berlin 1963; vgl. die Besprechung von Hans-Joachim Diesner in ThLZ 89 [1964], 923­925) über »Early Christianity and Greek Paideia«. Lesenswert sind insbesondere seine Ausführungen zum griechischen politischen Konzept der krasis und ihrem Widerhall in 1Clem, vor allem in Kapitel 37.

Die Studie von Cilliers Breytenbach, ursprünglich in der Festschrift für Abraham J. Malherbe von 2003 veröffentlicht, nimmt das Untersuchungsinteresse Jaegers auf und führt es weiter zur Frage nach der Herkunft des Motivs von »cosmic concord« (im Unterschied zu kosmischer Harmonie u. a.) in 1Clem 20,3. Das Ergebnis, das unter anderem durch den Vergleich mit Aelius Aristides, Oratio 23 gewonnen wird, lautet: »... he [= Clement; H. L.] draws upon the tradition of political rhetoric and he uses the notion of omonoia in describing the cosmic order« (194), was freilich ansonsten stoische Einflüsse wie eine Fundamentierung von 1Clem 20 im biblisch-jüdischen Schöpferglauben nicht ausschließt. Die Studie entfaltet und präzisiert damit Einsichten, die auch andernorts, z. B. in Odd Magne Bakkes Untersuchung zu »Concord and Peace« (Tübingen 2001, bes. 165 f.; vgl. die Rezension in ThLZ 130 [2005], 265­268), angedeutet sind.

Die Studie von Laurence L. Welborn, erstmals 1985 in »Biblical Research« veröffentlicht, versucht, in zum Teil recht kritischer Auseinandersetzung mit der älteren Forschung seit J. B. Lightfoot, die in 1Clem 1,1 begegnende Rede von symforai und periptoseis als bloß rhetorisch zu erweisen und damit ihren Bezug auf eine Verfolgung der christlichen Gemeinde unter Domitian zu falsifizieren. Wird man die Argumentation, auch wegen anderer m. E. wahrscheinlicher Anspielungen auf gegenwärtige Verfolgungen in 1Clem (7,1; 59,4; 60,3) nicht für ganz zwingend halten, wird man ferner zu berücksichtigen haben, dass auch unabhängig von der Frage einer domitianischen Christenverfolgung eine Datierung des Schreibens in die Zeit des Flaviers auf Grund von Angaben bei Euseb möglich ist, so erweist dieser abschließende Beitrag einmal mehr die Bedeutsamkeit einer die antike rhetorische Praxis berücksichtigenden Interpretation von 1Clem.

Eine zusammenhängende Lektüre des Bandes ermöglicht es, große Linien der Erforschung von 1Clem und die Entstehung gegenwärtig noch aktueller Fragehinsichten mit zu vollziehen. Zugleich lässt sie aber einsehen, dass eine Forschungsgeschichte zu 1Clem seit dem Ende des 19. Jh.s ohne Berücksichtigung der Stimmen etwa von Rudolf Knopf, William Wrede oder Karlmann Beyschlag nicht gelingen könnte.

Eine kurze Einführung der Herausgeber, Nachweise der Erstveröffentlichungen, ein reiches Stellenregister sowie englische und deutsche Sachregister ergänzen die gelungene Sammlung.