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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1140–1144

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Waltke, Bruce K.

Titel/Untertitel:

The Book of Proverbs. Chapter 1­15.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2004. XXXVI, 693 S. gr.8° = The New International Commentary on the Old Testament. Lw. US$ 50,00. ISBN 0-8028-2545-1.

Rezensent:

Jutta Krispenz

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Waltke, Bruce K.: The Book of Proverbs. Chapter 15­31. Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2005. XXXIV, 589 S. gr.8° = The New International Commentary on the Old Testament. Lw. US$ 50,00. ISBN 0-8028-2776-4.

Mit dem Kommentar des Emeritus des Regent College in Vancouver/British Columbia Bruce K. Waltke liegt in der Reihe NICOT eine umfassende ­ möglicherweise die bis dato umfangreichste ­ Erklärung des Buches der Sprüche vor. Auf mehr als 1200 Seiten kann der Leser und Benutzer dieses Kommentars reiche Information zu jedem Vers des biblischen Buches erwarten und finden. Nach Auskunft des Klappentextes hat der besonders durch seine Arbeiten zur hebräischen Grammatik hervorgetretene Autor etwa ein Vierteljahrhundert an diesem Kommentar gearbeitet.

Dem eigentlichen Kommentar stellt W. die bei Kommentaren übliche allgemeine Einleitung voran, in der das ganze Buch betreffende Informationen gegeben werden, sowie buchübergreifende Darstellungen, die das Profil dieses alttestamentlichen Buches herausarbeiten wollen und die zugleich dem Leser auch Hinweise geben über die speziellen Voraussetzungen, unter denen die gelehrte Erläuterung des Sprüchebuches durch W. stattfindet. Die folgende Besprechung wird sich darum dieser Einführung zuerst und vorrangig zuwenden und auf den eigentlichen Kommentarteil summarisch eingehen.

In sieben Hauptabschnitten präsentiert W., ehe er zur eigentlichen Kommentierung des Buches der Sprüche übergeht, grundlegende Informationen zu diesem biblischen Buch, Einsichten, die für sein Verständnis dieser Schrift die Richtung vorgeben. In welche Richtung sich dieses Verständnis orientiert, wird deutlich, wenn man das Ziel der Einleitung ansieht: Der siebte und längste Abschnitt der Einleitung widmet sich der Theologie des Buches der Sprüche (»Theology«). Die sechs verbleibenden Hauptabschnitte sind von sehr unterschiedlicher Länge. Der erste mit »Title« überschriebene Abschnitt erläutert eben den Titel des biblischen Buches auf wenigen Zeilen, mehr wäre dazu auch kaum zu sagen. Im folgenden Abschnitt wendet W. sich den verschiedenen antiken Textformen zu (»Text and Versions«). Hier kommt dem griechischen Text die vergleichsweise größte Bedeutung zu, denn der Text der Septuaginta (LXX) bringt den Text des Sprüchebuches in eine andere Reihenfolge, als der masoretische Text (MT) sie bietet. Die Umstellungen betreffen dabei aber nicht einzelne Sprüche, sondern Textblöcke. Die anderen Übersetzungen folgen teils dem MT, teils der LXX. W. zieht aus dem Überblick über die unterschiedlichen Textversionen den Schluss, dass der MT eine verlässliche Textform bietet und dass dies für das hohe Ansehen der Dichter des Sprüchebuches spricht, was jedoch nicht verhindert hat, dass einige Änderungen auch in späterer Zeit noch möglich waren.

Der folgende Abschnitt »Structure« behandelt ein Thema, das für Untersuchungen zum Buch der Sprüche in den vergangenen Jahren von großer Bedeutung war: die Frage, ob und inwieweit die Sprüche in den Sentenzensammlungen bewusst angeordnet wurden, ob ihrer Abfolge eine eigene Bedeutung zukommt. W. bejaht diese Frage grundsätzlich, lehnt aber den von Skehan in die Diskussion eingebrachten Vorschlag einer gematrischen Deutung der Spruchkomposition ab ­ diese kann ja auch lediglich die Zahl der Sprüche erklären, misst aber ihrer Anordnung keinen Sinn bei. Der in der Einleitung gebotene Überblick unterteilt den Text des Sprüchebuches in sieben Sammlungen (1­9; 10­22,16; 22,17­24,22; 24,23­34; 25­29; 30; 31), die W. jeweils einzeln in ihrer Struktur beschreibt. Diese Beschreibung ist für die erste Sammlung (1­9) sehr konkret und detailliert, auch für die (kurzen) Sammlungen 24,23­34; 30,1­33 und 31,1­33 kann er recht griffige Gliederungen bieten (W. unterscheidet bei den beiden letzten Sammlungen nicht, wie sonst üblich, die Agursprüche 30,1­14 von den Zahlensprüchen 30,15­33 und auch nicht die Lemuelsprüche 31,1­9 von dem gerne als »Lob der tüchtigen Hausfrau« bezeichneten Alphabetakrostichon in 31,10­33, darum differiert seine Zählung der Sammlungen von der gebräuchlichen). Für die beiden hinsichtlich der Struktur schwierigsten Teile des Buches, die Sammlungen 10­22,16 und 25­29 mit ihrem anscheinend anthologischen Charakter bietet W. keine Gliederung, sondern eine Darstellung der bisherigen Bemühungen, in diesen Bereichen sinnvolle Strukturen zu finden. Seine Einschätzung der verschiedenen Positionen folgt keiner Systematik, gerät dabei aber gelegentlich in Schieflagen:

So etwa, wenn er Boström nachsagt, er habe das Arrangement der Sprüche in Sammlung II besonders untersucht ­ tatsächlich findet sich bei Boström zwar eine Liste der Stichwörter in Prov 10­22,16, die Anordnung der Sprüche mit Hilfe von Paronomasien (nach W.: »their common aural links, such as consonance, assonance, and alliteration«, 17) untersucht Boström besonders für Prov 25­29. Und wenn W. ­ hierin Whybray und einigen anderen beipflichtend ­ zur Einschätzung von Lautanklängen feststellt: »With regard to sound, the possibility of coincidence is enormous ...« (21), so folgt er darin einem verbreiteten Vorurteil, das nichtsdestoweniger unberechtigt ist: Der Zufall spielt bei der Entstehung von Alliterationen im Hebräischen eine genauso große Rolle wie in europäischen Sprachen, denn das hebräische Alphabet enthält in etwa ebenso viele Konsonanten wie das englische oder deutsche Alphabet. Die Frage ist auch nicht, welche Alliterationen usw. der Autor gewollt hat, sondern vielmehr, welche Anklänge wahrnehmbar sind und für die ersten Leser wahrnehmbar waren.

W. schließt an die Betrachtung der Struktur der Sammlungen einen knappen Abschnitt über die Weisheitsliteratur des alten Orient an. Die Proverbien wurden schon seit langer Zeit in einen Zusammenhang gestellt mit Weisheitsschriften des alten Orient ­ wobei darunter eine mehr oder weniger »säkulare« Tradition der Schule in den Kulturen des alten Orient gesehen wurde. Als Beispiele dieser internationalen Tradition nennt W. eblaitische Texte, deren Erforschung freilich ins Stocken geraten sei, sowie sumerische Sprichwörter mit akkadischen Übersetzungen, die »Instructions of Shuruppak« und die »Counsels of Wisdom«. Aus der ägyptischen Tradition listet W. neun Lebenslehren auf, unter denen die des Amenemope als Parallele zu Prov 22,17­24,23 seit langem diskutiert wird.

Der folgende Abschnitt zur Frage der Autorenschaft zeigt recht deutlich die Tendenz des Kommentars. W.s Standpunkt ist der eines konservativen Christen. Darum stellt die Frage nach dem Autor der Sprüche einen wichtigen Punkt dar, dem W. mehr Raum widmet als der Darstellung der altorientalischen Parallelen. Das Ergebnis ist, dass Salomo nach W.s Ansicht der einzig sinnvolle Kandidat für die Autorschaft der ihm zugeschriebenen Sammlungen ist, denn die altorientalischen Gepflogenheiten fordern derartige internationale Beschlagenheit von einem Herrscher. Außerdem fänden sich im Sprüchebuch zahlreiche Kanaanismen und die Zuschreibung zu einem königlichen Autor sei eine wohlbelegte Tradition z. B. in Ägypten. W. belegt dies anhand der ägyptischen Lebenslehren. Deren Autorenzuschreibungen gelten freilich fast durchwegs als fiktional. Dies zeigt in exemplarischer Deutlichkeit die (ebenfalls von W. als Beleg verwendete) Lehre des Königs Amenemhet, der in der Lehre bereits als gestorben vorausgesetzt wird (der historische König Amenemhet fiel einer Haremsverschwörung zum Opfer) und aus dem Jenseits die Umstände seiner Ermordung schildert. Als realen Autor der genannten Lehre kann man ihn darum ausschließen, insofern kann W. auch wieder zu Recht behaupten: »The genuineness of the attribution of the Instruction of Amenemhet from the Middle Kingdom is not disputed« (35). Analog sind dann nach W. als Autoren noch Agur und Lemuel zu nennen sowie die Männer Hiskias, die die Hiskianische Sammlung zusammengestellt hätten. Das Ganze erfordert dann nur noch einen inspirierten Redaktor, der die Sammlung an eine allgemeine Hörerschaft vermittelte und so aus ihrem ursprünglichen Kontext löste, »... and the Holy Spirit sanctioned the work as canonical« (37).

Der an diese exemplarische Weichenstellung anschließende Abschnitt »Forms of Proverbs« zeigt sowohl die Stärke von W.s Interpretationen als auch deren nach Ansicht der Rezensentin eher problematische Seiten. W. unterteilt diesen Abschnitt in Unterabschnitte zu den Themen »Poetry«, »Poetics«, »Wisdom Genre«, »Genres in the Book of Proverbs« und »Setting«. Bereits die Auswahl an Themen zeigt, wie W. einerseits sehr wohl bereit ist, die Komplexität sprachlicher Formung zu reflektieren, dabei zugleich allerdings den Rahmen exegetisch-alttestamentlicher Konvention und antiker Rhetorik in keiner Weise überschreitet, wenngleich seine Ausführungen immer wieder um Systematisierung des rhetorischen Materials ringen. So mündet seine Darstellung der poetischen Gestaltungen ein in eine Auflistung wichtiger Stilfiguren: Einzelne Exemplare aus einem potentiell unerschöpflichen Katalog erhalten einen Namen, werden aber nicht systematisiert, nicht in ein Raster eingeordnet, dafür bedürfte es der Referenz auf eine Texttheorie, die W. aber offenbar für entbehrlich hält. So darf der Leser zwar staunen über die Fülle an Figuren, die anzuwenden die Verfasser des Sprüche und die zu entdecken ihr Interpret in der Lage sind, ihre Bedeutung wird ebenso verborgen bleiben wie ihre Machart. Die Stilfiguren werden so zu äußerlichen Stuckaturen des schlichten Sinns, sie bekommen einen Namen, werden in ihrer Funktion aber nicht verstehbar. Dass W. es damit bewenden lässt, verwundert, denn im folgenden Abschnitt (»Poetics« überschrieben) weist W. darauf hin, dass die Autoren des Buches der Sprüche nach anderen als den uns vertrauten Formprinzipien geschrieben haben könnten.

Eine entsprechende Ambivalenz in der theoretischen Reflexion zeigt W.s Hierarchie der Bedeutungsebenen (»signification levels«, 45). So begrüßenswert die Tatsache ist, dass W. das Faktum von Bedeutungsebenen überhaupt berücksichtigt und erwähnt, so zeigt doch die Reihe der von W. genannten Textphänomene nicht unbedingt systematische Stringenz: Die Ebene der Wörter hat eine phonetische wie auch eine semantische Dimension und kann darum nicht ohne Weiteres eine Reihe fortsetzen, die mit Lauten und Silben beginnt. Und dass die Ebenen zwischen den klar fassbaren Größen »verses/lines« einerseits und »collections« andererseits (45) gerade ein Problem darstellen, wird in W.s Darstellung nicht unbedingt deutlich.

Der Abschnitt »Wisdom Genre«, der letztlich für »Genres in the Book of Proverbs« einen weiteren Horizont bildet, reflektiert die für die Weisheitsliteratur bzw. das Buch der Sprüche charakteristischen Textsorten. Die bekannten Textsorten des Sprüchebuches (Spruch, Lehrrede) sind hier aufgelistet. Mit einer Diskussion des ­ mit dem Genre konsequenterweise verbundenen ­ »Sitzes im Leben« der Lehrreden und Sprüche bzw. aus Letzteren gebildeten Kompositionen endet dieser der Form- und Traditionsgeschichte gewidmete Teil der Einleitung. Der sich anschließende Teil »Theology« passiert den Text des Proverbienbuches durch das Sieb christlicher dogmatischer Begrifflichkeit, so dass selbst die Christologie ihren Ort in dieser alttestamentlichen Schrift findet, die anderen Exegeten so profan erschien wie kaum ein anderes biblisches Buch. Ob eine von so klaren theologischen Vorgaben bestimmte Auslegung den Aussagen des Sprüchebuches stets noch ihren eigenen Raum gewähren kann, wird man wohl fragen dürfen. Sie zielt offenbar auf ein Laienpublikum, das W. sich für seinen Kommentar wünscht, das im deutschsprachigen Raum für einen englischen Kommentar zum Buch der Sprüche kaum erwartet werden kann.

Die Kommentierung des biblischen Textes geschieht in Abschnitten, die W. in der Einleitung gerade für die schwierigen Sentenzensammlungen eher nennt als begründet. Für die ersten neun Kapitel des Buches folgt sie der traditionellen (und auch nicht fraglichen) Einteilung in Lehrreden. Für die Beschreibung der Unterabschnitte greift W. zumeist auf semantische Eigenschaften zurück, wie überhaupt die Semantik gegenüber der Beobachtung formaler Eigenschaften (soweit man beides voneinander trennen kann) Vorrang hat in W.s Kommentierung des Proverbientextes. Nicht verschwiegen sollte dabei werden, dass W. sehr sorgfältig immer wieder auch auf grammatische Probleme und Eigenheiten des Textes hinweist. Die Sorgfalt, mit der W. sich der sprachlichen Gestalt des Textes annimmt, gehört zu den Stärken des Kommentars. Der Leser wird selbst dort, wo er W.s Sicht nicht teilt, Gewinn aus der Lektüre ziehen, weil W. sich der Sache mit unbestreitbarer philologischer Kompetenz widmet.

Die Sekundärliteratur zu den Texten wird im Kommentar (wie auch in der Einleitung) unterschiedlich aufgenommen: englischsprachige Werke und ältere deutsche Werke sind gut berücksichtigt, eine Auseinandersetzung mit neuen deutschsprachigen Monographien (z. B. von Gerlinde Baumann, Andreas Scherer, Achim Müller, Jutta Hausmann, Christl Maier, Rolf Schäfer) fehlt weitgehend, die Werke der genannten Autorinnen tauchen nicht einmal in dem umfangreichen Literaturverzeichnis auf ­ möglicherweise ein Zeichen dafür, dass deutschsprachige exegetische Literatur jenseits des Atlantik nicht mehr selbstverständlich rezipiert wird. Allerdings ist innerhalb des eigentlichen Kommentarteils die Auseinandersetzung mit anderen Auslegungen ohnehin auf ein absolutes Minimum reduziert, für die Einteilung des Textes in Abschnitte ­ ein Schritt, der zumindest in den Sentenzensammlungen schon mehrfach zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt hat ­ findet eine solche Auseinandersetzung nicht statt. Die Diskussion zu diesem Thema wird dem Leser in gewisser Weise vorenthalten, er erfährt hier nur W.s Einschätzung.

Der Kommentar bezieht sich stets auch explizit auf den hebräischen Text, tut dies aber immer in einer sowohl für den Fachexegeten als auch für den des Hebräischen nicht mächtigen Leser akzeptablen Transkription. Ein Verfahren, dem man weitere Verbreitung wünscht, ermöglicht es doch einer breiteren Leserschaft mit dem Kommentar zu arbeiten, ihn zumindest problemlos lesen zu können.

Die Kommentarreihe NICOT verfolgt zwei Ziele: Sie möchte einerseits eine Auslegung auf dem Hintergrund neuester exegetischer Einsichten bieten, zugleich aber den christlichen Gemeinden dienen. Die Richtung, der die Reihe sich zurechnet, wird im Vorwort zur Reihe mit »evangelicalism« bezeichnet. W.s Kommentar gibt der Ausrichtung auf die christliche Gemeinde erste Priorität, exegetische Belange sind diesem Ziel untergeordnet, die Exegese dient der Gemeinde, deren Glaube und deren Lebensführung durch die Begegnung mit dem biblischen Text Anleitung und Ausrichtung erhalten soll. Für einem Kommentar ist das eine mögliche Ausrichtung. Der Exeget des Alten Testamentes, der im deutschsprachigen Raum der weitaus wahrscheinlichere Leser des Kommentars von W. sein wird, kann am Reichtum der von W. angesammelten und erzielten Einsichten partizipieren, wird aber andererseits um die Grenzen eines so ausgerichteten Kommentares wissen.