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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1138–1140

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Meer, Michaël N. van der:

Titel/Untertitel:

Formation and Reformulation. The Redaction of the Book of Joshua in the Light of the Oldest Textual Witnesses.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2004. XXIV, 571 S. gr.8° = Supplements to Vetus Testamentum, 102. Lw. Euro 149,00. ISBN 90-04-13125-6.

Rezensent:

Manfred Görg

Die neuere Forschungsarbeit am Buch Josua ist in einem besonderen Ausmaß an der vergleichenden Analyse der drei Hauptüberlieferungen des Textes orientiert, der masoretischen Fassung (MT), den Varianten der griechischen Versionen (LXX/G) und den Fragmenten des vormasoretischen Konsonantentextes aus Qumran (4Q Joshua). Während der MT die längste Zeit den Ruf der kontinuierlichen Bewahrung des »Urtextes« genossen hat, haben vor allem in jüngster Zeit sowohl die heterogenen Überlieferungen in der LXX-Tradition wie auch zunehmend die Qumran-Fassung Zweifel an der These einer ungebrochenen Autorität und Priorität des MT aufkommen lassen. Noch vor der Einbeziehung der Qumran-Fragmente haben die zahlreichen Abweichungen der griechischen Versionen von MT Anlass zur These gegeben, der hebräische Text müsse in vielen Fällen nach der LXX korrigiert werden. Stattdessen kommt die vorliegende Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die LXX-Fassung weitestgehend eine »reformulation« der in MT bewahrten Vorlage darstelle.

Die Untersuchung van den Meers widmet sich zunächst einer Bestandsaufnahme jener Thesen, die der älteren Auffassung gemäß dem MT den Vorzug geben, um zugleich auch die Problemlage mit der Frage nach einer Vorstufe des MT in Gestalt älterer Textzeugen darzustellen. Anschließend kommt das detaillierte Studium der griechischen Version innerhalb der letzten zehn Jahre zur Sprache, das auf den kritischen Ausgaben der LXX von Margolis, Rahlfs u. a. basiert. Im Vorfeld der zu erwartenden kritischen Ausgabe des JosLXX im Rahmen des Göttinger Septuaginta-Unternehmens kann es hier naturgemäß nur um vorläufige Feststellungen gehen, die das kritische Gesamturteil über den Stellenwert der LXX nicht vorwegnehmen können. M. lässt allein fünf Dissertationen, darunter auch die exemplarischen Arbeiten von C. den Hertog und K. Bieberstein, Revue passieren, um schließlich trotz des vielfachen Pro und Contra die methodologische Frage nach dem »redaction-critical value« griechischer Varianten für unentschieden zu erklären (91).

Auch die Palette der einschlägigen Qumran-Texte vermag nach M. lediglich auf eine »rewritten version of Joshua« aus dem 1./2. Jh. nach Chr. zu verweisen. Gegenüber den Versuchen, etwa über Beobachtungen zu JosLXX 20 auf eine durchgehend ältere MT vorausgehende hebräische Version von Jos zu schließen, müsse die Frage einer relativen zeitlichen Priorität zwischen den zwei hebräischen Fassungen (MT und der hebräischen Vorlage von JosLXX) weiterhin als ungeklärt gelten. Dafür plädiert M. für einen bereits von A. Rofé und A. van der Kooij vertretenen Ansatz, wonach zwischen »textual criticism« und »literary criticism« zu unterscheiden sei, um erst dann die unabhängig voneinander gewonnenen Ergebnisse zu vergleichen.

Ein erster Arbeitsgang widmet sich dem Kapitel Jos 1, bekanntlich ein Exerzierfeld, das in der Regel der Präsentation des eigenen methodischen Vorgehens dient (vgl. R. Smend, Bieberstein u. a.), hier indessen zunächst dem traditionellen Variantenvergleich zwischen MT (nach BHS) und LXX (nach Rahlfs) folgt, um nach spezieller Diskussion der »Pluses« im MT festzustellen, dass die Differenzen das Ergebnis von »literary initiatives by the Greek translator, not of an expansionistic re-edition of the Hebrew text« seien. Als allererstes signifikantes Beispiel soll die in LXX fehlende Beifügung des Titels cbd YHWH zum Namen des Mose (Jos 1,1) gelten, den Bieberstein auf das Konto einer sekundären Ergänzung im MT setzt, M. aber als »deliberate reformulation of the redundant Hebrew text by the Greek translator« (193) ansehen möchte. Die auffällige Auslassung des Titels für Mose in der LXX-Fassung ist m. E. möglicherweise einer bewussten Akzentverlagerung zu Gunsten Josuas zuzurechnen, der sowohl mit einem modifizierten Vatersnamen wie auch mit einem in LXX singulären Titel belegt wird, wobei möglicherweise ein kulturgeschichtlicher Einfluss aus der Umwelt der LXX-Autoren operativ gewesen ist.

Auch für Jos 5,2­12 nimmt M. an, dass die griechische Version »does not witness the penultimate stage of the formation process of the Hebrew text, but rather the first stage of its reformulation and interpretation« (414). Der Übersetzer führt nach ihm keine Gedanken ein, die »were completely absent in or contradictory to the older Hebrew text«. Ein weiterer Auswahltext steht mit Jos 8,1­29 an, diesmal unter Konsultation über MT und LXX hinaus von 4QJosuaa, ohne freilich auch hier brauchbare Indizien für die literarische Genese des hebräischen Textes zu finden oder gar für eine abweichende hebräische Vorlage für LXX.

Ähnliches gilt für den eigens zum Schluss behandelten Folgetext 8,30­35, den M. im Unterschied zur Positionierung in LXX (nach Jos 9,1 f.) an seiner Stelle in MT (vor Jos 9) belässt, aller Wahrscheinlichkeit nach zu Recht.

Die These M.s zum Stellenwert der LXX-Texttradition, aufgestellt im Kontext der Beobachtungen zu Kapitel 8, macht immerhin geltend, dass »the Greek version is of some indirect help to the literary critic, because the literary initiatives introduced by the Greek translator reveal the literary tensions in the Hebrew text«, wodurch die frühen Zeugen einen »hermeneutical value« gewinnen und überdies den Prozess »of reinterpretation und reformulation of the given and grown Hebrew text« reflektieren lassen. Die LXX-Arbeit wäre demnach eine Art Vorläufer einer redaktions- und kompositionskritischen Exegese, ein Aspekt, der die Eigendynamik der jüngsten LXX-Forschung weiter beflügeln sollte. Überdies wäre auch dem wachsenden Interesse an der kultur- und religionsgeschichtlichen Leistung der LXX-Arbeit Rechnung zu tragen, so dass noch deutlicher würde, dass der LXX-Arbeit die Position einer Pionierleistung in der Geschichte der Übertragungsliteratur zukommt, da sie mit ihrem Deutungsbemühen eine genuine schriftstellerische Authentizität aufzuweisen hat. So hätte schon in der Titelfassung des Buches wie im Klappentext die Kombination »reinterpretation and reformulation« erscheinen sollen.

Die Arbeit M.s hat mit ihren Beobachtungen an Jos 1,5 und 8 einerseits die vorgängigen Untersuchungen vor allem von Bieberstein an Jos 1­6 um weitere Aspekte bereichert und andererseits die Erwartungen auf weitere Detailanalysen und Vergleichsstudien geweckt. Eine ähnlich kritische Betrachtung der verbleibenden Kapitel im ersten Teil und dann im zweiten Hauptteil des Buches (13­24) steht noch aus, somit auch die intensivere Diskussion charakteristischer Varianten nicht zuletzt innerhalb der topographischen Texte. Ein abschließendes Urteil über den Beitrag der frühen Textzeugen zur Geschichte des JosMT wird daher noch auf sich warten lassen müssen.