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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1130–1132

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bosshard-Nepustil, Erich:

Titel/Untertitel:

Vor uns die Sintflut. Studien zu Text, Kontexten und Rezeption der Fluterzählung Genesis 6­9.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2005. 336 S. gr.8° = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 165 (Neunte Folge, 5). Kart. Euro 45,00. ISBN 3-17-018557-8.

Rezensent:

Peter Höffken

Diese Berner Habilitationsschrift von 2003/4 setzt sich zum Ziel, den Flutbericht in Gen 6­9 neu zu vermessen ­ im Einklang mit neueren Versuchen zur sog. Urgeschichte und zur Pentateuchkritik überhaupt.

Der Vf. geht in einem Teil A seiner Arbeit (15­106) von einer synchronen Lesung von Gen 6­9 (= 6,5­9,17) aus und erarbeitet anschließend in zwei großen Schritten, dass der Text auch eine diachrone Lektüre erlaube, bei der sich eine priesterschriftliche Grundlage (P genannt) von einer nicht- bzw. dann nachpriesterlichen Interpretation oder Redaktionsschicht (= nP) unterscheiden lasse. Dieses Modell, mit dem sich der Vf. derzeit noch (?) in einer Minderheitensituation findet (in Deutschland vor allem R. G. Kratz), wird dann auf die Genese von Gen 1­11 generell übertragen: Am Anfang war P und erst darauf baut nP auf. Material gesehen handelt es sich insgesamt um das Textfeld, das man einst als den älteren (»jahwistischen«) Erzählstrang, also nP, von der zweiten, jüngeren Quelle P unterschied. Auch wenn man gerne mit anderen Nomenklaturen arbeitet, also »J« meidet, handelt es sich doch um ein entsprechendes Phänomen, bei dem man gemeinhin nP für älter als P hält, wobei P nicht unbedingt als Quelle zu verstehen ist. ­ Der Vf. selbst unterscheidet innerhalb der Flutgeschichte den P-Strang als »priesterschriftliche Noacherzählung« von der nP = »nachpriesterlichen Fluterzählung«, bes. 78 ff.93 ff. u. ö. Das sind die wesentlichen Erträge dieses Teils A. Ich notiere noch die Existenz zweier späterer Zusätze: 7,7­9; 8,1b.

In Teil B (107­177) wird zunächst die priesterliche Noacherzählung in ihren Kontexten gesehen. Dies ist zunächst einmal der Nahkontext der Urgeschichte von P, dann natürlich auch der Rahmen von P insgesamt. Endlich widmet sich die Arbeit den Kontexten im Sinne von Vorlagen oder Vorgaben für P. Hier handelt es sich zunächst um mesopotamische Texte (vor allem Atramchasis und ­ was wohl noch nicht so deutlich gesehen wurde ­ die sog. »dynastische Chronik«, die dank der Verbindung von Genealogie im Rahmen der Flutgeschichte eine strukturelle Vorgabe für Gen 5­10* bieten kann bzw. für den Vf. bietet). Es ist ein Verdienst der Arbeit, diese dynastische Chronik in die Diskussion gebracht zu haben. Andere Vorgaben findet der Vf. im Alten Testament, vor allem etliche Stellen im Buche Ezechiel, die zu besonderer Akzentuierung in Gen 6­9 rezipiert seien. Weitere Vorgaben vor allem aus dem Bereich des »Enneateuch« kommen hinzu (z. B. der Name für das Wasserfahrzeug des Noach, »Arche«/tebah, stammt aus Ex 2,1­10, wo das Körbchen des Mose gemeint ist, vgl. 174). Es sind also hier für den Vf. literarische Vorlagen aus Umwelt und Altem Testament selbst im Blick.

Entsprechend werden die Kontexte für die nachpriesterliche »Fluterzählung« behandelt. Es geht zunächst um Bezüge zum urgeschichtlichen Nahkontext in Gen 1­11, für den erwiesen werden soll, dass auch Texte wie Gen 2,4­4,26; 9,18­28; 10; 11,1­9 (aus diesem Rahmen fällt einzig 6,1­4) dieser nachpriesterlichen Ergänzungs- und Interpretationsschicht zuzuordnen sind. Innerhalb dieses Bereichs der Urgeschichte wird der Fluterzählung eine zentrale Rolle (»Angelpunkt«) zugeordnet.

Als weitere Kontexte (im Sinne von Vorgaben) gelten hier wieder die mesopotamischen Fluterzählungen, aus denen sich Anleihen speisen, die vorzüglich konkretisierende Vorstellungen im Bereich des göttlichen (Schließen der Tür der Arche) und des menschlichen (Aussenden der Vögel) Handelns betreffen, d. h. also Atramchasis und Gilgamesch IX u. a. m.

Endlich wird Gen 6­9 in seinem Kontext der Urgeschichte mit der Fortsetzung ab Gen 12 bis 2Kön zusammengesehen, wobei ab Gen 12 vor allem gegenüber Gen 1­11 ältere Texte Vorgaben liefern. Auch prophetische Texte gehören in diesen Zusammenhang hinein (dazu bes. 241­245).

Teil C befasst sich relativ knapp mit der dem finalen Text von Gen 6­9 folgenden inneralttestamentlichen Rezeption von Motiven der Fluterzählung (247­264). Dabei bildet Jes 24­27 einen Schwerpunkt. Andere Texte werden eigentlich nur noch genannt. Der Schluss (265­272) stellt vor allem eine Bündelung der Ergebnisse dar. Wichtig ist der Anhang, in dem der Vf. eine Fülle von Tabellen oder Schemata anfügt, die Gliederungen und Strukturen von Einzeltexten oder Textfolgen durchsichtig machen sollen (273­299). Ein ausführliches Literaturverzeichnis und verschiedene Register beschließen das Buch.

Ich habe das Buch mit gemischten Gefühlen studiert. Einerseits muss man feststellen, dass der Vf. seine Linie konsequent durchzieht, den P-Text vor den nP-Text einzuordnen. Dies wird in den verschiedenen Bereichen der Kontexte weiterverfolgt und spielt nur in der Rezeptionsgeschichte keine Rolle mehr, weil diese sich am nP-Textbestand orientiere. Insofern ist sie eine konsequente Leistung. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, dass diese Leistung doch auf etwas schwankendem Boden steht. Die Arbeit müht sich darum, die Genese von Flut- wie Urgeschichte insgesamt mit einem einfachen Ergänzungsmodell zu erklären. Ich meine nicht, dass das wirklich funktionieren kann: So lässt sich Kapitel 4 sicherlich nicht als Bearbeitung, Interpretation von Kapitel 5 verstehen ­ es ist je eine unterschiedliche Konzeption, die in beiden Kapiteln vorgeführt wird. Und man muss schon den gesamten Befund deuten, wenn man Kapitel 4 von Kapitel 5 abhängig sein lassen will. Auf jeden Fall wird man sehen müssen, dass in 2­4; 11,1­9 eigenständige Erzählungen vorliegen, was, wenn man in 6­9 eine Ergänzungsschicht sehen wollte, doch etwas auffällt. Im Übrigen bin ich sehr unsicher darüber, ob die für den Vf. grundlegende Strukturierung des Endtextes in Gen 6­9 stimmig ist: Auf Grund der (sprachlichen wie formalen) Entsprechungen von 6,5­8 und 8,20­22 plädiert er für eine Zweiteiligkeit des Gesamttextes: 6,5­8,19/8,20­9,17 (die sich freilich in der Textüberlieferung nicht spiegelt). Da diese Parallelität dann noch exakter gefasst werden soll, kommt 8,20, als »initiales Geschehen« für das im Folgenden Berichtete bezeichnet, in eine Entsprechung zu Kapitel 3,1­6,4, was nun das initiale Geschehen für 6,5­8 sein soll (vgl. das Schema a, 274 f., vgl. b, 276 f.). Das dürfte doch recht disproportional sein. Dieser Wille zur Zweigliedrigkeit hält sich auch durch nach Abhebung der nicht-P-Partien: Auch hier bleibt ein Text 6,9­9,17* mit dem Einsatz des zweiten Teils in 9,1 und einer Parallelstruktur, über die Tabelle i, 284 f., Auskunft gibt. Die Strukturierung wirkt gezwungen: So fällt eigentlich 9,17 aus den für den zweiten Teil typischen Anreden von Noach und Söhnen (9,1.8) heraus. Auf der anderen Seite stößt der Versuch, bestimmte Erscheinungsformen des P-Textes von reinen P-Voraussetzungen aus zu erklären, auf Grenzen. Es scheint erheblich näherliegend, die Rede von der Gewalttat, die die Erde erfüllt (6,13), auf dem Hintergrund von Kapitel 3 f. zu verstehen und nicht auf dem Hintergrund des P-Stratums in Kapitel 1 und 5 (das letzte Kapitel scheint mir übrigens Ausdruck eines soliden Anwachsens, nicht aber eines chaotischen Mehrens der Menschheit zu sein). Die Ausführungen des Vf.s dazu (bes. 116 ff.) sind doch nicht recht überzeugend. Ich kann mich also vom Wert der These nicht überzeugen. Sie bedürfte exakterer Fundierung, wobei übrigens beim Versuch, Abhängigkeiten von Texten zu bestimmen, der jeweilige Text insgesamt in seinem Aussagewillen in den Blick genommen zu werden verdient. Denn nur so können Abhängigkeitsaussagen über Texte stimmig genannt werden. Das ist z.B. beim Verhältnis von Kapitel 4 zu 5 nicht der Fall (vgl. 197 ff.): Kapitel 4 konkurriert mit Kapitel 5, es ergänzt nicht.