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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1128–1130

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Grappe, Christian [Éd.]:

Titel/Untertitel:

Le Repas de Dieu. Das Mahl Gottes. 4. Symposium Strasbourg, Tübingen, Uppsala, Strasbourg, 11­15 septembre 2002.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. VIII, 446 S. m. Abb. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 169. Lw. Euro 99,00. ISBN 3-16-148362-6.

Rezensent:

Bernd Kollmann

Der Band vereinigt in sich die Beiträge des vierten Symposions von Wissenschaftlern der Universitäten Straßburg, Tübingen und Uppsala, das im September 2002 in Straßburg abgehalten wurde. Er schlägt einen weiten Bogen, indem die einzelnen Autorinnen und Autoren die komplexe Thematik des »Mahles Gottes« unter Aspekten der antiken Religionsgeschichte, der Bibelexegese, der Patristik, des mittelalterlichen Judentums und der Reformationszeit ausleuchten.

Nach einer Einführung des Herausgebers (1­14) arbeitet Erika Meyer-Dietrich in »Die göttliche Mahlzeit vor Sonnenaufgang im Alten Ägypten« (15­34) die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Ritualisierung einer Mahlzeit im Rahmen des altägyptischen Totenkults heraus. Nach dieser altorientalistischen Ouvertüre folgen zwei alttestamentliche Beiträge. Alfred Marx analysiert in »Le Dieu qui invite au festin« (35­50) alttestamentliche Texte, in denen die Metapher des Opfers benutzt wird, um den eschatologischen Krieg Jahwes gegen seine Feinde, die Zuweisung der Reichtümer des Gelobten Landes an Israel oder das eschatologische Mahl auf dem Zion zu beschreiben. Das Studium der Opfermetapher erlaube, ursprüngliche Deutungen der Funktion des Opfers zu entdecken und die spezifische Bedeutung des Opfers in Israel aufzuzeigen. Bernd Janowskis Beitrag »Das Dankopfer« (51­68) kommt zu dem Ergebnis, dass das Gemeinschaftsopfer im Dankopfer (Toda) eine signifikante Weiterentwicklung erfahren hat, indem es aus der Perspektive des vom Tode Erretteten darum gehe, dass er sein verwirktes Leben neu begründen kann. Die von H. Gese ins Spiel gebrachte Frage, inwieweit die Toda als Vorbild für das Herrenmahl in Betracht kommt, wird dabei ausgeblendet. Anschließend schlägt Christian Grappe die Brücke zum Antiken Judentum und Neuen Testament. Er beobachtet in »Le repas de Dieu de l¹autel à la table dans le judaïsme et le mouvement chrétien naissant« (69­114) innerhalb des frühen Judentums und des entstehenden Christentums eine Bewegung, die vom Altar zum Tisch führt. Dabei untersucht er einschlägige Mahlbefunde (Essener, Qumrangemeinde, Therapeuten, Joseph und Aseneth, Neues Testament) darauf hin, inwiefern der Tempelgedanke von Fall zu Fall übertragen oder sogar transformiert wird. Letzteres sieht er beim christlichen Herrenmahl gegeben, wo es zu einer Ersetzung des alttestamentlichen Opferkults komme.

Es folgt ein Block von Aufsätzen, die ausgewählten Aspekten der neutestamentlichen und frühen außerkanonischen Mahlüberlieferung gewidmet sind. Martin Hengel unternimmt in seiner mit Polemik nicht sparenden Abhandlung »Das Mahl in der Nacht, 'in der Jesus ausgeliefert wurde' (1Kor 11,23)« (115­160) den Versuch, das Rad der Abendmahlsforschung weit zurückzudrehen, und bemüht sich um den Nachweis, dass von Joachim Jeremias bereits alle die Interpretation der Einsetzungsberichte betreffenden Probleme gelöst wurden. Beim letzten Mahl Jesu habe es sich um ein Passamahl gehandelt, wobei die Passahaggada den Referenzrahmen für das Verständnis der Einsetzungsworte abgebe. Da Paulus die vormarkinische Passionsgeschichte gekannt und in Korinth erzählt habe, könne der Passabezug auch für 1Kor 11,23b­25 vorausgesetzt werden. Eine Abhängigkeit des Herrenmahls von hellenistischen Kultmahlen lasse sich nicht nachweisen. René Kieffer interpretiert in »Le repas eschatologique chez Luc« (161­176) die Berichte von Mahlgemeinschaften Jesu im Lukasevangelium als Unterweisung für die Gemeinde, wobei die Sünde und ihre Vergebung das zentrale Thema darstelle und die eschatologische Perspektive unterstrichen werde. Marc Philonenko versucht in seinem Beitrag »'Ceci est mon corps', 'ceci est mon sang'« (177­186) zu zeigen, dass die Einsetzungsworte einen sowohl durch Philo als auch durch Targum Exodus 24,8 geprägten Traditionshintergrund haben. Anna Maria Schwemer knüpft in »Das Problem der Mahlgemeinschaft mit dem Auferstandenen« (187­226) an Erwägungen Oscar Cullmanns an und sieht in den »Erscheinungsmählern« einen entscheidenden Anstoß zum urchristlichen »Brotbrechen«, das in der Jerusalemer Urgemeinde als tägliches Mahl unter eschatologischem Jubel begangen wurde. Die Notizen vom Essen und Trinken mit dem Auferstandenen (Lk 24,30; Apg 10,41) werden dabei trotz des Negativbefundes in 1Kor 15,5­7 zum zuverlässigen Urgestein der Epiphanietradition gerechnet. Hermann Lichtenberger zeigt in seinem Beitrag »Die Mahlmetaphorik in der Johannesapokalypse« (227­252), in welchem Maße die Mahlmetaphorik in spezifischen Ausprägungen das letzte Buch der Bibel durchzieht, und hebt dabei die Christologisierung der Vorstellung vom Mahl Gottes durch das Bild vom Hochzeitsmahl des Lammes (19,9) hervor, dem das grausige Gegenbild vom Fleischfraß der Vögel (19,17­21) gegenübergestellt wird. Jean-Marc Prieur schließlich wendet sich mit »L¹eucharistie dans les Actes apocryphes des apôtres« (253­270) einem oftmals vernachlässigten Bereich der frühchristlichen Abendmahlsüberlieferung zu und geht schwerpunktmäßig der wichtigen Frage nach, inwieweit sich in den eucharistischen Befunden der apokryphen Apostelgeschichten tatsächliche liturgische Praktiken und normative theologische Vorstellungen des Urchristentums widerspiegeln.

Der in den Bereich der Alten Kirche führende Aufsatz »La présidence de l¹eucharistie chez Tertullien et dans l¹Église des trois premiers siècles« (271­298) von Roland Minnerath untersucht anhand von Tertullian, De exhortatione castitatis 7,3, einen ausgewählten Aspekt der Frage von Sakrament und Amt. Tertullian entwickle eine Art Laienpriestertum des neuen Bundes, indem jeder Getaufte notfalls diejenigen Dienste übernehmen könne, deren Verwaltung normalerweise an das Amt des Presbyters oder Bischofs gebunden sei. Einem wichtigen Teilbereich der Kultmahlzeiten aus der Umwelt des Neuen Testaments gilt das Interesse von Anders Hultgård mit seinen »Remarques sur les repas cultuels dans le mithriacisme« (299­324). Unter Rückgriff auf literarische Quellen und ikonographische Befunde wird das Problem der heiligen Mahlzeiten im Mithraskult erneut aufgegriffen und auf Verbindungslinien zur Mazdareligion hingewiesen. Einen Beitrag zur Erhellung des frühen innerreformatorischen Abendmahlsstreites bietet Matthieu Arnold mit »Des bienfaits du Repas de Dieu, reçu dans la foi. Quelques sermons de Martin Luther sur l¹institution de la Cène« (325­342). Seine Untersuchung von vier Predigten Luthers aus den Jahren 1522­1534 lässt die bei aller Grundkontinuität erkennbaren Entwicklungen in der Abendmahlstheologie Luthers deutlich zu Tage treten. Abgeschlossen wird der Sammelband durch einen judaistischen Beitrag von Stefan Schreiner zum »Festmahl der Gerechten in mittelalterlicher jüdischer Überlieferung« (343­376). Der Autor arbeitet anschaulich heraus, dass die Vorstellung vom eschatologischen Festmahl der Gerechten sich im mittelalterlichen Judentum einerseits in literarischen Quellen und Bibelillustrationen großer Beliebtheit erfreut, andererseits von Gelehrten wegen der zu Grunde liegenden sinnlich-leiblichen Vorstellungen vom Leben im Paradies scharfer Kritik ausgesetzt ist.

Unter dem Strich ist damit ein anregender Sammelband entstanden, der die antike Mahlüberlieferung in ihren unterschiedlichen Facetten ausleuchtet und gleichzeitig einen Brückenschlag über die Alte Kirche und das frühmittelalterliche Judentum bis in die Reformationszeit vollzieht. Die einzelnen Beiträge sind dabei von unterschiedlicher Qualität. Zuweilen wird der Stand der Forschung eher gebündelt oder kritisch hinterfragt als tatsächlich auch weitergeführt. Die nach dem Hintergrund der Einsetzungsberichte bzw. den Wurzeln der Herrenmahlsfeier fragenden Beiträge von Hengel und Schwemer wollen bewusst zurück zu älteren Positionen, die in der gegenwärtigen Diskussion am Rande stehen und m. E. zu Recht keine breitere Akzeptanz finden. Soziologische Fragestellungen, wie sie in der neueren Diskussion über das Herrenmahl und kultische Mahlzeiten in der Umwelt der Bibel zunehmend an Bedeutung gewinnen, fließen bei den Autorinnen und Autoren kaum in die Darstellung ein. Insgesamt bietet der Sammelband aber eine Reihe wichtiger Impulse für die weitere Arbeit an der antiken Mahlüberlieferung.