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Ausgabe:

November/2006

Spalte:

1121–1124

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Baldwin, Matthew C.:

Titel/Untertitel:

Whose Acts of Peter? Text and Historical Context of the Actus Vercellenses.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XVI, 339 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 196. Kart. Euro 64,00. ISBN 3-16-148408-8.

Rezensent:

Tobias Nicklas

In seiner im Jahr 2002 an der Divinity School der University of Chicago eingereichten Dissertation beschäftigt sich Matthew C. Baldwin mit der Frage, ob der entscheidende Textzeuge der Petrusakten, die lateinischen Actus Vercellenses (benannt nach Codex 158 der Biblioteca Capitolare in Vercelli, Italien), tatsächlich, wie meist vorausgesetzt, weitgehend zuverlässig einen zusammenhängenden griechischen Text des ausgehenden 2. Jh.s widerspiegelt und somit als Zeuge dieser Zeit angesehen werden kann oder nicht. B. selbst hält es weder für nachweisbar, dass im 2. Jh. ein zusammenhängendes Werk unter dem Titel Petrusakten verfasst wurde, welches zur Quelle der Actus Vercellenses wurde, noch glaubt er, dass deren lateinischer Text als treue Wiedergabe eines griechisches Originals anzusehen sei.

Nach einigen methodologischen Überlegungen setzt B. mit einem Überblick über die Forschungsgeschichte zu den Petrusakten, die er mit Recht terminologisch klar von den Actus Vercellenses unterscheidet, ein. Dabei sucht er zu zeigen, dass die üblichen Datierungen der Petrusakten auf das Ende des 2. Jh.s sich weitestgehend auf eine auf das Jahr 1930 zurückgehende Arbeit von Carl Schmidt rückbeziehen. Deren Hauptargument aber, dass die Paulusakten literarisch von den Petrusakten abhängig seien, lasse sich heute nicht mehr halten. Mit dem letzten Punkt mag B. Recht haben, überraschenderweise bricht er aber hier einfach ab. Neuere Argumentationen ­ vor allem einen wichtigen Beitrag von Jan N. Bremmer (Aspects of the Acts of Peter: Women, Magic, Place and Date, in: Ders., The Apocryphal Acts of Peter: Magic Miracles, and Gnosticism, Leuven 1998, 1­20) ­ führt er zwar in der Bibliographie auf, diskutiert sie aber nicht im eigentlichen Forschungsbericht.

Die äußere Bezeugungslage für die Petrusakten beurteilt B. äußerst skeptisch: »[W]e can cite no external evidence what-soever which conclusively situates the composition of a written Acts of Peter (i. e. a book with that name) in the second century C. E.« (66). Bei seinem Durchgang durch die Quellenlage zeigt B. große Sachkenntnis. Wenn er aber z. B. im Zusammenhang mit möglichen (tatsächlich problematischen) Zeugnissen bei Origenes einem Autor wie R. A. Lipsius einen besonderen Enthusiasmus für frühe Testimonien unterstellt (70), so ist man manches Mal geneigt, bei ihm eine allzu große Skepsis zu erkennen. So würde auch ich zögern, auf Grund der Quellenlage zu behaupten, Origenes oder gar Clemens von Alexandrien hätten die ursprünglichen Petrusakten in schriftlicher Form gelesen und aus ihnen zitiert. Hier geht B. im Grunde nicht weiter, als dies bereits W. Schneemelcher in seiner Einleitung zu den Petrusakten in der 6. Auflage der NTApo II (244­245) tut, der das »älteste sichere direkte Zeugnis von der Existenz der Petrusakten« (244) erst bei Eusebius, h. e. 3,3,2, erkennt. B.s Argument, es bestehe kein Grund, an Eusebius¹ Einschätzung der Petrusakten als »not ancient« (92) zu zweifeln, ist aus zwei Gründen unzutreffend: Eusebius spricht nur davon, dass der Text nicht von alten Autoren anerkannt bzw. zitiert sei, und bezieht diese Aussage auch auf Petrusevangelium und Offenbarung des Petrus ­ beides Texte des frühen bis mittleren 2. Jh.s, von denen zumindest die Offenbarung von einigen frühchristlichen Autoren verwendet wurde. Leider besteht hier nicht der Raum, B.s weitere Argumente zur Bezeugungslage im Detail zu diskutieren ­ ich würde z. B. das muratorische Fragment trotz der von Sundberg und Hahneman vorgebrachten Argumente im 2. Jh. ansetzen und eventuell auch im Falle der Didascalia Apostolorum zu der These neigen, dass hier eine Kenntnis der Petrusakten vorauszusetzen sei.

Im folgenden Kapitel geht B. nun den umgekehrten Weg ­ er bewegt sich sozusagen von den sicher feststellbaren materialen Daten aus vorsichtig zeitlich nach vorne: Festgehalten werden die (von mir hier nicht nachprüfbaren) konkret greifbaren kodikologischen und paläographischen Daten zu dem Codex, der die Actus Vercellenses enthält; mit diesen in Zusammenhang gebracht werden Beobachtungen zum lateinischen Stil des Textes. Interessant ist dabei bereits der Gedanke, dass der Text der Actus Vercellenses sich im Manuskript im Kontext der ps.-clementinischen Rekognitionen findet. Auf Grund dieses Zusammenhangs vermutet B., bei den Actus Vercellenses könne es sich um eine lateinische Fassung der bei Photius, Bibliotheca 112­113, erwähnten ps-clementinischen Petrusakten handeln. B. kommt hier auf Grund einer Vielzahl von Beobachtungen zu dem Schluss, dass das Manuskript selbst im späten 7. Jh. in Spanien entstanden sei ­ gleichzeitig weist er damit vorsichtig Poupons These einer nordafrikanischen Herkunft zurück. Der lateinische Text selbst sei in das späte 4. Jh. einzuordnen.

Vor diesem Hintergrund stellt B. nun die Frage, inwiefern der vorhandene lateinische Text als präzise Wiedergabe einer griechischen Vorlage aufzufassen sei. In einer genauen Untersuchung der griechischen Paralleltexte zu den Actus Vercellenses, den Parallelen in der Vita Abercii, dem griechischen Fragment P. Oxy. VI 849 (4. Jh.) und den griechischen Parallelen im Martyrium Petri arbeitet er sicherlich deutlicher, als dies bisher geschehen ist, die textlichen Unterschiede zu den Actus Vercellenses heraus. Hier wäre natürlich vielleicht noch stärker zu berücksichtigen, dass die vorhandenen Parallelen nicht identisch mit der Vorlage der Actus Vercellenses sein müssen. Trotzdem wird wahrscheinlich gemacht, dass die Actus Vercellenses an kaum einer Stelle als zuverlässige Wiedergabe ihrer in den Parallelen aufscheinenden griechischen Vorlage angesehen werden können. B.s Fazit: Sicherlich zirkulierten bereits im 2. Jh. Legenden und Erzählungen über die Gestalt des Petrus, ein schriftlich niedergelegtes Buch mit den Taten des Petrus setzt er aber erst ab der Mitte des 3. Jh.s an. Die griechische Vorlage der Actus Vercellenses wiederum habe in Verbindung mit den ps-clementinischen Rekognitionen gestanden. Dem gegenüber aber stellten die Actus Vercellenses noch einmal ein eigenständig zu studierendes Werk des 4. Jh.s dar, das nur teilweise auf seine griechische Vorlage zurückschließen lasse.

B.s wichtiges Buch stellt für die weitere Erforschung der Petrusakten eine große Herausforderung dar, die sicherlich auch interessante Impulse für die Arbeit an anderen Apokryphen bietet. Wichtig scheint mir dabei etwa der auch für andere apokryphe Texte zu beachtende Gedanke, dass auf Grund der häufig sehr undurchsichtigen Überlieferungslage der Texte im Grunde bereits jeder Textzeuge zunächst einmal als Zeuge der Zeit seiner Entstehung zu beachten ist. Trotz meiner Kritik an Details der Argumentation B.s bin ich doch davon überzeugt, dass man die Actus Vercellenses nicht mehr zu einfach als Zeugen eines Textes, der sich ohne größere Brüche ins 2. Jh. zurückverfolgen lässt, akzeptieren sollte. Ich halte aber den Beweis, dass schriftlich niedergelegte Petrusakten erst in die Mitte des 3. Jh.s zu datieren seien, für noch nicht erbracht. In die weitere Diskussion müssen m. E. Überlegungen zum literarischen Verhältnis des greifbaren Textes z. B. mit anderen apokryphen Apostelakten noch stärker einfließen, als dies bei B. der Fall ist. Auch wenn dann nicht immer Sicherheit und Übereinstimmung in Fragen konkreter literarischer Abhängigkeiten zu erzielen ist, muss doch gefragt werden, wie sich die deutlichen Parallelen z. B. zu Johannesakten und Paulusakten erklären lassen.