Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/1998

Spalte:

435 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Weiß, Andreas M.

Titel/Untertitel:

Sittlicher Wert und nichtsittliche Werte. Zur Relevanz der Unterscheidung in der moraltheologischen Diskussion um deontologische Normen.

Verlag:

Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag; Freiburg-Wien: Herder 1996. 335 S. gr.8° = Studien zur theologischen Ethik, 73. Kart. DM 60,­. ISBN 3-7278-1070-X u. 3-451-26141-3.

Rezensent:

Martin Honecker

Die 1995 an der katholisch-theologischen Fakultät in Salzburg angenommene Dissertation von Andreas M. Weiß rekonstruiert in subtilen Analysen eine Debatte innerhalb der katholischen Moraltheologie. Dabei geht es um die Kontroversen zwischen Teleologen und Deontologen, um die Geltung des sittlichen Wertes als unbedingten Wert.

Die Lösung der Kontroverse sieht W. vornehmlich in semantischen Präzisierungen und in Sprachregelungen (vgl. v. a. 321ff.). Das 1. Kap. "Die Unterscheidung von sittlichem Wert und nichtsittlichen Werten" skizziert den Ausgangspunkt der Themenstellung, nämlich die stoische Güter- und Wertlehre ("Nur das sittlich Gute ist gut") und die Einzigartigkeit des sittlich Guten bei I. Kant. Das 2. Kap. führt in "Die Diskussion um die Normierungstheorie" ein (d. h. in die Problematik ausnahmslos geltender deontologischer Normen; in Lösungsversuche wie Kompromiß und die Unterscheidung zwischen Zielgebot und Norm, sowie die Unterscheidung zwischen sittlich gut und sittlich richtig). Der Streitpunkt ist die Erörterung der Möglichkeit ausnahmsloser Normen. Kapitel 3 "Das Prinzip der Handlung mit Doppelwirkung" knüpft an die traditionelle Argumentationsfigur moraltheologischer Kasuistik an, der actio cum duplici effectu, seit Thomas von Aquin. Es folgt als Hauptteil die Darstellung und eingehende Interpretation von 4 Autoren: Kap. 4 Peter Knauer; Kap. 5 Louis Janssens; Kap. 6 Bruno Schüller; Kap. 7 Richard A. McCormick. Das abschließende 8. Kap. "Kritik an der Unterscheidung von sittlichem Wert und nichtsittlichen Werten" bringt kritische Stimmen zur Rede von "ontischen Gütern" und "vorsittlichen Übeln", zur Anwendung der Differenzierung von Sittlich/Unsittlich auf Handlungen (usw.). Die Rede von ontischen Gütern und vorsittlichen Werten ist mehrdeutig; häufig wird zudem auch nicht zureichend nach Gütern, Handlungen, Ebenen der Handlung bei der Grundunterscheidung von "Nichtsittlich"/"Sittlich" differenziert. Das 9. Kap. (336-345 "Schluß") faßt zusammen und zieht das Fazit:

"Der sittliche Wert ist ein Selbstwert" (337). Nichtsittliche Werte sind hingegen kontingente, innerweltliche, relative Werte. Das Ergebnis der Diskussion steht ganz knapp auf der letzten Seite (345): Die Unterscheidung von sittlichem Wert und nichtsittlichem Wert konnte nach W. "einen gewissen, bedingten Beitrag" leisten "zur Klärung der eigentlichen Differenz von deontologischer und teleologischer Normierung" (345). Sie hat eine hermeneutische Funktion und bleibt für jede normative Ethik grundsätzlich als Voraussetzung einer methodisch sauberen Argumentation bedeutsam. "In dieser Hinsicht ist sie jedoch nicht spezifisch für eine teleologische Theorie, sondern für jede normative Ethik relevant" (345). Diese Schlußsätze bleiben freilich recht formal und abstrakt. Nicht behandelt werden J. Fuchs und R. Spaemann, weil über diese Autoren eine Dissertation vorliegt, nämlich von J. H. Sun, "Heiligt die gute Absicht ein schlechtes Mittel? Die Kontroverse über Teleologie und Deontologie in der Moralbegründung unter besonderer Berücksichtigung von Josef Fuchs und Robert Spaemann", St. Ottilien, 1994.

W.s Arbeit interpretiert, gelegentlich auf einer ziemlich schmalen Textbasis von einzelnen Aufsätzen (P. Knauer, McCormick, L. Janssens), detailliert und prüft Formulierungen und Argumente. Sie befaßt sich somit nur mit einem Teilausschnitt und einer speziellen Fragestellung der innerkatholischen Debatte um die Normierungstheorie; übergreifende Zusammenhänge und die Hintergründe dieser Kontroversen bleiben ausgeblendet. Hinter der Debatte steht grundsätzlich die Strittigkeit der Kasuistik als Normierungs- und Entscheidungsmethode (vor allem im Blick auf die Argumentationsfigur der Handlung mit Doppelwirkung), wie sie ausgelöst ist durch Kompetenzkonflikte zwischen kirchlichem Lehramt und moralphilosophischer Rationalität. Auffallend ist zudem, daß keine evangelischen Beiträge zu dieser Debatte referiert werden. Wenn solche Beiträge nicht vorhanden oder vielleicht auch nicht relevant sind, dann ist dies ein Beleg und Indiz dafür, daß trotz ökumenischer Dialoge eine eigene katholische Tradition der Moraltheorie nach wie vor weiterbesteht. Die sehr sorgfältig erarbeitete Dissertation ist durchaus instruktiv; ihre Argumentation freilich scheint im Kontext der allgemeinen Diskussion in Kultur und Gesellschaft spezifisch innerkatholisch zu sein. Die formale Anlage und die Beschränkung auf Interpretation in der Studie ermöglicht es, übergreifende Debatten um Inhalte und Begründung von Ethik und den gesamtkulturellen und -gesellschaftlichen Kontext nahezu auszublenden.