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Ausgabe:

April/1999

Spalte:

415 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Paravicini Bagliani, Agostino

Titel/Untertitel:

Der Leib des Papstes. Eine Theologie der Hinfälligkeit. Aus dem Ital. übers. von A. Wildermann.

Verlag:

München: Beck 1997. 348 S. m. 16 Abb. gr.8 = Ch. H. Beck Kulturwissenschaft. Lw. DM 68.-. ISBN 3-406-42694-8.

Rezensent:

Georg Schwaiger

Agostino Paravicini Bagliani, geb. 1943 in Bergamo, promoviert und habilitiert an der Universität Freiburg (Schweiz), war von 1969 bis 1981 Skriptor der Vatikanischen Bibliothek und ist seit 1981 Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Lausanne. Vor kurzem erschien u. a. sein Werk "La cour des papes au XIIIe siècle" (1995). Er ist wie kaum ein anderer ausgewiesen, vorliegendes sorgfältig dokumentierte, nobel ausgestattete Werk zu verfassen, dessen deutsche Ausgabe zu begrüßen ist. Es ist in seiner Weise ein einzigartiges Werk.

Das Papsttum ist äußerlich betrachtet eine Wahlmonarchie absolutistischer Prägung. Doch stärker als in irgendwie vergleichbaren absolutistischen Monarchien der Geschichte tritt die einzelne Persönlichkeit hinter die Institution zurück, ganz eindeutig im ersten Jahrtausend, doch bis zur Gegenwart deutlich spürbar.

Auf dem Hintergrund der revolutionären "Gregorianischen Reform" wird die Spannung zwischen der leiblichen Hinfälligkeit des Papstes und der ungebrochenen Fortdauer der Institution überaus deutlich. Man denke nur an einige, durchaus neuartige Sätze des Dictatus papae Gregors VII. vom März 1075, etwa an den Satz, daß der rechtmäßig gewählte Papst eine Art Erbheiligkeit besitzt (nr. 23). Lösungsversuche dieser Spannung finden seitdem ihren Niederschlag in theologischen und medizinischen Schriften, in zahlreichen bildlichen Darstellungen und in einem reich ausgearbeiteten Zeremoniell, das den Papst eindringlich an seine Sterblichkeit erinnern soll, so das dreimalige Verbrennen eines Wergbüschelchens im Ritus der Inthronisation und Krönung, früher auch mehrmals im Kirchenjahr wiederholt; dieser Ritus der Vergänglichkeit wird in Rom zum erstenmal im Zeremonienbuch (um 1140) des Chorherrn Benedikt von St. Peter erwähnt, geht aber auf ältere Vorbilder im byzantinischen Kaiserzeremoniell oder in der Domliturgie von Besançon zurück. Die Geschichte des päpstlichen Asche-Ritus am Aschermittwoch zum Beispiel zeigt, wie schwierig es gewesen ist, in der Liturgie ein Gleichgewicht zu finden zwischen der leiblichen Hinfälligkeit des Papstes in seiner Menschlichkeit und der ehrfurchtgebietenden Würde seines Amtes. Das sinnenfällige Aufzeigen, daß der päpstliche Leib unentrinnbar dem Tod geweiht war, durfte seit dem Hochmittelalter in keiner Weise die Würde des Amtes antasten, und die Teilnahme der Kardinäle an diesem Ritus mußte auch nur den leisesten Anschein vermeiden, als werde die Vollgewalt des Papstes in irgendeiner Weise beeinträchtigt.

Neben der Theologie der Hinfälligkeit, die den Papst auch heute noch an seine Sterblichkeit - und Verantwortung! - erinnert, sind bestimmte Riten teilweise heute noch in Kraft. Neben der Theologie der Hinfälligkeit kam seit dem Hochmittelalter bald das Bewußtsein auf, daß die Gesundheit des Papstes ein hohes Gut für die Kirche sei. Zeuge dafür war seit dem 13. Jh. am päpstlichen Hof ein bemerkenswertes Interesse an der Medizin und an den Naturwissenschaften überhaupt, auch mit der Hoffnung, das päpstliche Leben zu verlängern. Man spekulierte auch über die Frage, welche Gestalt wohl der Papst im Jenseits einnehme: sei er ein Greis in seiner letzten irdischen Gestalt oder ein rüstiger Mann in den dreißiger Jahren, dem Lebensalter Christi entsprechend? - Jede Seite des hervorragend geschriebenen und gut übersetzten Werkes liest man mit Spannung und reichem Gewinn.