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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1089 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Ibeh, Martin Joe, u. Joachim Wiemeyer [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Entwicklungszusammenarbeit im Zeitalter der Globalisierung.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2006. 302 S. gr.8° = Paderborner Theologische Studien, 44. Kart. Euro 39,90. ISBN 978-3-506-71380-3.

Rezensent:

Theo Sundermeier

Dieser Sammelband verschiedener Texte zu Problemen der Entwicklungszusammenarbeit ist ein einziges Plädoyer, aus den theoretischen Ansätzen und den politischen Willenserklärungen zu einer Praxis der Entwicklungsarbeit überzugehen, die den sozialen, kulturellen und religiösen Hintergrund der Entwicklungsländer ernst nimmt und zu einer neuen Form der Partizipation vordringt. Sozialethische Grundlage sind für das Selbstverständnis der Autoren die Texte des Vatikans und der katholischen Bischofskonferenzen (Teil I »Sozialethische Grundlagen«. Vor allem P. Langhorst, »Entwicklungsförderung in der kirchlichen Sozialverkündigung«, 13­28). Einen breiter angelegten Versuch, den ökumenischen Konsens herzustellen, sucht man vergebens. Von dieser kirchlichen Einseitigkeit abgesehen sind vor allem die Texte von Teil II »Finanzierung, Verschuldung und Entwicklung« in ihrer sachlichen Nüchternheit und präzisen Auflistung der ­ trotz aller großmundig angekündigten Entschuldungsvorschläge seitens der USA und der EU ­ stets steigenden Verschuldung der ärmsten Länder eindrücklich und lesenswert. Wer knappe exemplarisch überzeugend vorgetragene Information sucht, die die gegenwärtige Situation beleuchten, sollte zu dem Aufsatz von J. Sayer, »Entschuldung der armen Länder« (87­104) greifen.

Während in Teil III das zentrale Problem, die Agrarpolitik, beleuchtet wird (vor allem M. Vogt, »Agrarpolitik als Prüfstein globaler Solidarität«, 165­190), erwartet man von Teil IV Vorschläge zu neuen Strategien, wie »Hilfe zur Entwicklung« effektiver geleistet werden kann. Die Texte bewegen sich aber weitgehend in kritischer Auflistung bisheriger Entwicklungsarbeit. Besonders ambivalent ist dabei der Aufsatz von Jude Ezeokana und Collins Okeke »Development Aid and its Effect on the Culture and Psychology of Recipients« (245­253). Zu Recht wird hier der Perspektivenwechsel vollzogen und die Auswirkung der Entwicklungshilfe auf Kultur und sozial-politische Struktur der Empfängerländer beleuchtet. Zu Recht wird beklagt, dass die Partizipationsstruktur in der Planung von Entwicklungsstrategien vielfach vernachlässigt wird. Mit gutem Grund wird auf das differente Zeitverständnis verwiesen (auch 240 f.): hier der Zeitdruck, unter dem die Entwicklungshelfer stehen, weil die Geber effektive Wirkung in kurzer Zeit erwarten, dort aber andere Prioritäten gesetzt werden und kurzfristige Erfolgsmeldungen notwendigerweise ausbleiben. Insgesamt wird Entwicklungshilfe als kaschierte Fortsetzung imperial feudalistischen Verhaltens der alten Kolonialländer beurteilt. Die reichen Länder sind schuld an dem gegenwärtigen Dilemma der ärmsten Länder. Kirchliche Entwicklungshelfer und -organisationen sind leicht geneigt, ihrem Schuldkomplex zu frönen und sich entsprechend schuldig zu fühlen. Diese Haltung mag für die Anfangszeit der Unabhängigkeitsbewegungen dependenter Kolonialstaaten in den 50er und 60er Jahren richtig sein, es ist jedoch kein Grund vorhanden, diese Vorwürfe heute noch unkommentiert zu übernehmen. »Schuld sind immer die anderen«, nicht nur in Afrika, sondern auch im Nahen Osten ist nichts so weit verbreitet wie diese Haltung. Sie ist äußerst kontraproduktiv, denn sie lenkt den Blick von der Eigenverantwortung weg, lähmt die Eigeninitiative und verschleiert das eigene Fehlverhalten. Es gibt z. B. keinen überzeugenden exterritorialen Grund dafür, warum das blühende, reiche Zimbabwe, uns allen lange Zeit ein leuchtendes Vorbild für erfolgreiche Befreiung von kolonialer Herrschaft, in wenigen Jahren zum höchst problematischen Entwicklungsland degradierte! Von afrikanischer Seite sollte einmal das Problem der Stammesrivalitäten und des Stammesdespotismus in seinen Auswirkungen auf Entwicklungsarbeit untersucht werden. Warum scheitern in hierarchisch strukturierten Dorfgemeinschaften Entwicklungsprojekte so oft, wenn sie nicht dem Reichtum der Oberen dienen?

Ich vermisse in dem Buch einen Text, der das Problem der Korruption ins Auge fasst und seine fatalen Auswirkungen auf die Entwicklungsarbeit. Warum ist z. B. Nigeria, das die höchsten Ressourcen besitzt, eines der höchst verschuldeten Länder?

Trotz dieser Anfragen liegt hier ein wichtiges Buch mit vorzüglichen Literaturangaben zu den verschiedenen Aufsätzen vor, das auf strategisch wichtige Probleme der Entwicklungsarbeit, wie z. B. auch auf das vielfach übersehene der Massenmedien (255­273), aufmerksam macht. Ein Stichwortverzeichnis hätte den Wert als Nachschlagebuch für entwicklungsinteressierte Laien und Fachleute erhöht.