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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1067–1070

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Riedl, Gerda:

Titel/Untertitel:

Hermeneutische Grundstrukturen frühchristlicher Bekenntnisbildung.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2004. X, 498 S. m. Abb. gr.8° = Theologische Bibliothek Töpelmann, 123. Geb. Euro 138,00. ISBN 3-11-017884-2.

Rezensent:

Jennifer Wasmuth

Die vorliegende Monographie, mit der sich die Vfn. an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg im Jahre 2003 habilitiert hat, verfolgt das Ziel, abweichend von den traditionellen Bahnen der Symbolforschung frühchristliche Bekenntnisbildung unter hermeneutischer Perspektive zu behandeln. In expliziter Abgrenzung von dem vorherrschenden »historisch-genetischen« Ansatz mit seiner Fokussierung auf die Darlegung möglicher Ursprungs- und Abhängigkeitsverhältnisse soll ein »systematisch-generativer« Ansatz leitend sein, der die theologischen Grundstrukturen offen legt, die die Spezifika frühchristlicher Bekenntnisbildung ausmachen.

Dementsprechend gliedert sich das Werk in drei Teile: Der Erörterung der Problemstellung (Abschnitt I) folgen eine Präzisierung in formal-begrifflicher Hinsicht (Abschnitt II: »Was heißt ein Glaubensbekenntnis?«) sowie eine Analyse der theologischen Motivationsstrukturen, die frühchristlicher Bekenntnisbildung zu Grunde liegen (Abschnitt III: »Was bewegt frühchristliche Bekenntnisbildung?«).

Die Erörterung der Problemstellung (Abschnitt I) geschieht im Zuge einer kritischen Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der »Symbolforschung«, die sich seit Mitte des 19. Jh.s als eigenes Gebiet der antiken Kirchen- und Theologiegeschichte zu etablieren begonnen hat. Diese Auseinandersetzung bietet für sich genommen eine instruktive Einführung in die Geschichte der Symbolforschung, ohne freilich den Anspruch zu erheben, dem von der Vfn. selbst benannten Desiderat einer »Geschichte der fachwissenschaftlichen Symbolforschung« zu begegnen (vgl. 53­87). Ziel dieser Auseinandersetzung ist es, jene in der einschlägigen Literatur zum Thema begegnende negativ konnotierte Sicht auf die frühchristliche Bekenntnisbildung in Frage zu stellen, die in den Reichskonzilien von Nizäa 325 und Konstantinopel 381 den Wendepunkt hin zu einer unsachgemäßen Verstetigung ehemals lebendiger und vielfältiger Formen der Verkündigung christlichen Glaubens (»vom Kerygma zum Dogma«) erkennt. Die Vfn. wählt demgegenüber einen weit umfassenderen historischen Rahmen, indem sie den Prozess frühchristlicher Bekenntnisbildung in den Übergang von der »antiken Kommunikationsgemeinschaft« zu der »frühmittelalterlichen Urkundengesellschaft« einzeichnet und den Blick weg von punktuellen Ereignissen hin zu kontinuierlicher verlaufenden »Schwellen- und Umbruchserfahrungen« lenkt (vgl. 20 f.). Zum Nachweis dient der Vfn. nicht nur der sich alles andere als einlinig gestaltende Rezeptionsprozess von Nicaeno-Constantinopolitanischem, Apostolischem und Athanasianischem Glaubensbekenntnis (vgl. 23­31). Vielmehr erscheint etwa auch die Apostolicum-Legende als Mittel »konstruktiver Ätiologie« in einem völlig neuen Licht (vgl. bes. 44­52).

In ihrer Erörterung der Problemstellung deckt die Vfn. darüber hinaus gewisse Aporien bisheriger Symbolforschung auf (vgl. 53­87), die es folgerichtig erscheinen lassen, wenn die Vfn. die Symbolforschung nicht in der Rekonstruktion von hypothetischen Ursprungs- und Abhängigkeitsverhältnissen aufgehen lassen möchte, sondern vielmehr, den Theorieansätzen Reinhart Kosellecks und Umberto Ecos verpflichtet, als ihr hauptsächliches Anliegen formuliert, »an die Stelle des (text-) analytischen den historisch-semantischen Zugriff« zu setzen und »bezüglich des epistemologischen Vorverständnisses Š nicht auf eine historisch-philosophische, sondern auf eine systematisch-generative Hermeneutik« (vgl. 98 f.) zu bauen. Besonders einleuchtend ist in diesem Zusammenhang die Kritik an einschlägigen Textsammlungen (vgl. 77­80), welche die Beigabe eigens ausgewählter Referenztexte im Anhang zur Folge hat (vgl. 327­384). Die von der Vfn. bisweilen vollzogene strikte Abgrenzung von der Symbolforschung historisch-genetischer Ausrichtung scheint freilich kaum nachvollziehbar, zumal die Vfn. selbst ausgiebig von deren Forschungsergebnissen Gebrauch macht.

Die begriffliche Präzisierung (Abschnitt II) nimmt ihren Ausgangspunkt von einer »religionswissenschaftlich« oder auch »interdisziplinär« gewonnenen Definition von Glaubensbekenntnis. Demnach handelt es sich bei einem »Glaubensbekenntnis« um ein ­ im Sinne der religiösen Sprechakttheorie ­ »kommunikatives Reaktionsphänomen responsorischer Natur« (109), welches sich hinsichtlich seines Charakters (»formelhafte Kurzfassung autoritativ verbürgter Glaubensinhalte«), seiner Funktion (»Abgrenzung und Vergewisserung«) sowie seiner Intention (»Vergegenwärtigung religiöser Heilszuversicht«) noch genauer bestimmen lässt (vgl. bes. 118­120). Ein Glaubensbekenntnis ist, so kann die Vfn. auch anders sagen, zwischen Lehre und Anbetung (vgl. 117 f.), zwischen »Lex docendi« und »Lex orandi« (vgl. 245) anzusiedeln. Diese Definition wird dem systematisch-generativen Ansatz entsprechend kontextuell verortet, indem Bekenntnistexte aus vor- und außerchristlichen Religionen, alt- und neutestamentlichen Schriften sowie der Frühen Kirche aufgerufen werden. Bleibt der im engeren Sinne religionswissenschaftliche Vergleich dabei eher schemenhaft, so vermag die Vfn. im Zuge der Darlegung der frühchristlich-frühjüdischen Traditionszusammenhänge das Proprium frühchristlicher Bekenntnisbildung zu erhellen: Nicht die »toragestützte Glaubenslehre« (vgl. Dtn 6,4­9), sondern der »prophetisch-apokalyptische Denkhorizont« (vgl. Dtn 26,5­10) sollte hermeneutisch leitend werden (vgl. 167). Der kontextuellen Verortung schließt die Vfn. eine weitere Präzisierung an, indem die frühchristlichen Bekenntnisse in akklamatorische Glaubensworte, proklamatorische Glaubensformeln und deklaratorische Glaubensbekenntnisse differenziert werden, was zumal im Hinblick auf akklamatorische Glaubensworte wie Christus-Monogramm und Ichthys-Zeichen (vgl. 189­191), aber auch proklamatorische Glaubensformeln wie das interrogatorische Taufbe- kenntnis (vgl. 205­209) aufschlussreich ist.

Vor dem Hintergrund der formalen Bestimmungen erfolgt die Analyse der hermeneutischen Grundstrukturen (Abschnitt III), die den theologischen Kern der Untersuchung darstellt. Die Vfn. begründet und entfaltet hier ihre zentrale These, dass für die frühchristliche Bekenntnisbildung eine heilsgeschichtliche Absicht im Sinne frühjüdischer Apokalyptik bestimmend ist: die streng theozentrisch ausgerichtete Formulierung der heilsgeschichtlichen Offenbarung Gottes zwischen Schöpfung, Erlösung und Erfüllung (vgl. 245 f.). Plausibilität gewinnt diese These zunächst im Kontext der von der Vfn. aufgezeigten gesamtbiblischen Bezüge der Bekenntnisklauseln von Nicaenum, Nicaeno-Constantinopolitanum, Romanum und Apostolicum (vgl. 250­270). Darüber hinaus finden aber auch die auffälligen »Leerstellen« früher Bekenntnisbildung eine Erklärung (vgl. 75 f.). Und selbst die Integration wesensphilosophischer Aussagen (das »Homousios«) erscheint als ­ paradox genug ­ notwendige Fortschreibung frühchristlicher Bekenntnistradition. Der Prozess der Bekenntnisbildung erweist sich damit einmal mehr nicht als Hellenisierung christlicher Glaubensinhalte, sondern vielmehr als Christianisierung hellenistischer Philosophie (vgl. 270­283). Vermag die Grundthese folglich zu überzeugen, so formuliert die Vfn. in ihrem Gefolge eine Reihe von Thesen, die weiter zu diskutieren wären. Dazu gehört etwa die Bestreitung des bisherigen Forschungskonsenses, dem zufolge die frühchristliche Bekenntnisbildung ihren Ausgangspunkt beim Taufbefehl (Mt 28,19) genommen hat. Die Vfn. sieht hier vielmehr das »apostolische Wirken des Heiligen Geistes seit dem Pfingstereignis« als maßgeblich an (vgl. 17 f., vgl. aber auch 167.234). Dazu gehört aber auch die Bestimmung des Verhältnisses von Schrift und Tradition, die in der Rede von dem »großkirchlich verbürgten ðGrund-GesetzÐ des Glaubens« (vgl. 187.242), der Schrift als »bekenntnisbelegender, nicht aber begründender Größe« (vgl. 246­250) oder auch als »autoritativer, nicht aber normativer Schrift« (vgl. 320) greifbar wird.

Insgesamt handelt es sich um eine äußerst anregende Studie, die allein schon durch die breite Rezeption unterschiedlichster fachwissenschaftlicher Diskussionen besticht, mit ihrer Präzisierung der Begrifflichkeit und ihrer Hinwendung zur theologischen Durchdringung frühchristlicher Bekenntnisbildung vor allem jedoch einen anregenden Neuansatz in der Symbolforschung bietet. Hilfreich wäre ein stärker ausdifferenziertes Register, mithin die Trennung von Personen- und Sachregister, gewesen; bei einem auf die Traditionszusammenhänge zwischen den alt-, zwischen- und neutestamentlichen Schriften und den frühchristlichen Bekenntnissen abhebenden Werk erweist sich zudem das fehlende Bibelstellenregister als echtes Desiderat.