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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1065–1067

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Comenius, Johann Amos:

Titel/Untertitel:

Wiederholte Ansprache an Baron Wolzogen/Iteratus ad Baronem Wolzogenium sermo.

Verlag:

Übers. v. O. Schönberger, m. e. Kommentar u. e. Einführung in die antisozinianische Kontroverse des Comenius hrsg. v. E. Schadel. Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2002. 550 S. m. 5 Abb. 8° = Schriften zur Triadik und Ontodynamik, 22. Kart. Euro 75,70. ISBN 3-631-39031-9.

Rezensent:

Walter Sparn

Nur ein kleiner Teil des Buches, 66 Seiten, macht den im Titel genannten Text aus, das Schreiben Comenius¹ an den österreichischen, seines sozinianischen Glaubens wegen im polnischen Exil lebenden und seit 1638 mit C. auch persönlich bekannten Baron von Wolzogen. Dieses 1659 verfasste Schreiben wurde publiziert im Anhang zur zweiten der antisozinianischen Schriften der Amsterdamer Zeit (De quaestione, utrum Dominus Jesus propria virtute a mortuis resurrexit, ad Melchiorem Schefferum Socinistam breve ac solidum responsum, 1659). Der Anlass der erneuten Ausgabe dieser schon 1638 auf Deutsch erschienenen Schrift war ein C. zugespieltes Brieffragment Wolzogens zur Verteidigung Scheffers. Dieser ins Lateinische übersetzte Brief und C.¹ ausführliche Stellungnahmen hierzu, die seine zunächst zögerliche Auseinandersetzung mit den Sozinianern klar pointieren, bilden den vorliegenden, im Reprint gegebenen Text. Er liegt, wie De quaestione insgesamt, bereits vor in der von E. Schadel besorgten Ausgabe der antisozinianischen Schriften C.¹ (Ausgewählte Werke IV/1.2, Hildesheim 1983, 1297­1323 bzw. 79­138).

Neu sind jedoch eine philologisch korrekte, aber auch stilistisch flüssige, dem lateinischen Text parallel gedruckte Übersetzung (65­113) sowie ein gelehrter Kommentar in Gestalt von 90 an den deutschen Text anschließenden »Notizen« (115­177). Schadel erklärt textnah, in souveräner Kenntnis der deutschen, englischen und tschechischen Forschungsliteratur, nicht nur die pansophisch modifizierte Trinitätslehre C.¹, den sozinianischen Unitarismus und die zugehörige ðarianischeÐ Christologie, sondern zeichnet auch C.¹ weit verzweigtes Kommunikationsnetz nach: Das Schreiben an Wolzogen ist nicht zuletzt ein autobiographischer Rückblick auf C.¹ Beziehungen zum Sozinianismus (schon als Schüler war er 1609 mit dem Rakower Katechismus bekannt geworden), vor allem zu Daniel Zwicker, der mit seiner Irenik C. zunächst nicht ganz erfolglos umworben hatte.

Eine comeniologische und überhaupt eine geistesgeschichtliche Fundgrube stellt auch der weitaus größere Textbestand des Buches dar: historisch situierende und inhaltliche charakterisierende Kommentare zu C.¹ acht zwischen 1659 und 1662 veröffentlichten antisozinianischen Schriften (179­477), die deren erstmalige Übersetzung vorbereiten wollen (13.33). § 1 dieser »Einführung« skizziert C.¹ Auseinandersetzung mit den Sozinianern vor 1659 und stellt den Zusammenhang der Amsterdamer Schriften C.¹ mit dessen Irenik dar sowie den Versuch Zwickers, an sie anzuknüpfen, sowie C.¹ allmähliche Distanzierung hiervon. Kurz gestreift wird auch die soziale Stellung der Sozinianer in Amsterdam. § 2 (211­143) enthält die Erläuterungen zu De Christianorum uno Deo, Patre, Filio, Spiritu S. (1659), einer Schrift, die an den 1639 und erneut 1659 erschienenen, gleich betitelten Traktat des Briefpartners Johann Heinrich Bisterfeld erinnert, der seinerseits gegen den wichtigsten antitrinitarischen Traktat, Johann Crells De uno Deo (1631), angetreten war. C.¹ Schrift, obgleich die kürzeste, schätzt Schadel als die wichtigste ein, weil sie als ein »systematisches Kernstück« das »onto-theo-logische«, genauer: »ontotrinitarische« Wirklichkeitsverständnis C.¹ klar darlegt: den archetypischen, dreifachen Selbstvollzug des göttlichen Seinsgrundes als per se subsistierender Überfluss, an welchem, in ontologischer Differenz gewiss, ektypisch der zeitlich konditionierte menschliche Geist und auch die raumzeitlich ausgedehnte Natur (sowie antitypisch die menschliche Kunst) partizipieren. »Der trinitarische Schöpfergott ist ðzentraleÐ Effizienz, ðradialeÐ Exemplarität und ðzirkumferenteÐ Finalität« (223). Als einen »heiligen Ternar« von »erregender Macht, formender Weisheit und vollendender Güte« versteht C., wie Schadel vielfach betont, sowohl Ex 3,14 und Röm 11,36 als er sich mit dieser Trinitätsmetaphysik eines »in-ek-kon-sistentialer Prozesses« auch an die neuplatonische Seinstheorie (Augustinus, Nikolaus von Kues) und an die Idee der triplizitären Prozess-Struktur des a se, per se, in se im harmonikalen Pythagoreismus anschließt (221 ff., vgl. 14 ff.20 ff. 35 ff. u. ö.). Schadel sammelt hier die zahlreichen Trinitätsanalogien, die C. aus allen makro- und mikrokosmischen Erfahrungsbereichen beibringt, bis hin zum Tanz der drei Grazien (mit M. Ficino: viriditas, splendor, laetitia, 223 ff.), und stellt in zwei Exkursen C.¹ Auffassung der Musik und der Sprache als Trinitätsanalogien heraus (237 ff.; die Analogie als »Schlüssel göttlicher und menschlicher Weisheit« wird gestreift, 45 f.).

Im Folgenden werden erläutert De quaestione Š (s. o., 245­262); De irenico irenicorum (1660), das Zwickers »Friedensbedingungen« ablehnt und auf die cusanische Koinzidenz-Symbolik rekurriert (263­318); Oculus fidei (1661), eine wieder Zwicker entgegnende Überarbeitung der »integralen«, d. h. »ontotrinitarischen« Theologia naturalis des Raymund von Sabunde (319­367); De iterato sociniano irenico (1661), wo C. den Christus-Logos als Element des trinitarischen Seinsgrundes erklärt und ein Glaubensbekenntnis formuliert (369­407); Socinismi speculum (1661), eine schlichten Kritik des »ebionitischen« Rakower Katechismus von 1605 (409­425); die Admonitio tertia an den erneut polemisierenden Zwicker (1662; 427­450); der 1662 (nicht 1661) geschriebene offene Brief an Gisbert Voetius bzw. an die Utrechter Theologische Fakultät (451­455); A dextris et sinistris (1662), ein 1639/40 datierender Briefwechsel mit Daniel Stolzius, in dem C. sich mit dem anderen Extrem zum Sozinianismus, der gnostischen Christologie Paul Felgenhauers, auseinandersetzt und eine »Mitte« zwischen beiden einnimmt (457­487).

Der Anhang der Buches, das nicht ganz frei von Druckfehlern ist und auch sprachliche Eigenwilligkeiten pflegt, enthält eine chronologische Tabelle, ein umfangreiches, gut gegliedertes Verzeichnis der Primär- und Sekundärliteratur, Personen- und Sachregister, ein Verzeichnis der Bibelstellen und der Ternare (489­550) ­ Schadel ist die Warnung Ch. S. Peirce¹s vor »Triadomanie« freilich wohlbekannt (236 f.).

Das »Vorwort« (13­32) ist tatsächlich ein eigener Essay, der die wichtigsten Theoreme der Pansophie C.¹ auf die aktuellen Herausforderungen durch die Globalisierung bezieht und für die Bemühung um Religionstoleranz und Völkerfrieden fruchtbar machen will. Die »Vorbemerkungen« (33­63), die das titelgebende Schreiben als Beitrag zur C.-Biographie vorstellen (33 ff.) und einen Überblick über die Entwicklung des Sozinianismus geben (61 ff.), enthalten ebenfalls einen Essay, der, ausgehend von dem systematischen Zusammenhang zwischen C.¹ pansophischem Projekt und seiner Trinitätsmetaphysik, diese (der G. W. Leibniz¹ triadisch struktierte Monadologie zur Seite gestellt wird, 16.38.47 u. ö.) als eine Alternative zum »subjektozentrischen« Denken des cartesianisch-kantianischen Typs stark macht ­ einem Denken, dessen abstrakter Indifferentismus gegenüber dem Sein zu einer integralen Sicht der Dinge, zur Verbindung von Sein, Erkennen und Lieben unfähig ist (Descartes verweigert sich Augustin, 45.57) und in spätneuzeitlichem Nihilismus oder ðpostmodernemÐ Pluralismus enden musste, wie Schadel »angreifbar« (53) skizziert.

So anregend für den Theologen die Stilisierung der Pansophie C.¹ als Aufklärung der rationalistischen Aufklärung (53 ff.) ist, so bedenklich muss ihm erscheinen, wenn Aufklärung dadurch »ontisch konsistent« (60) gemacht werden soll, dass die christliche Trinitätslehre auf neuplatonisch-hermetischen Wegen in kosmologische, anthropologische und gnoseologische Weisheit transformiert wird. Denn die Folge des spekulativen Deus summe communicativus (25. 160.357 ff.) ist, wie Schadel andeutet (24.27.59), die religiöse Anonymität des Christentums als ðWeltethosÐ.