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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1064 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Asendorf, Ulrich:

Titel/Untertitel:

Luther neu gelesen. Modernität und ökumenische Aktualität in seiner letzten Vorlesung.

Verlag:

Neuendettelsau: Freimund-Verlag 2005. 208 S. gr.8°. Geb. Euro 21,80. ISBN 3-86540-005-1.

Rezensent:

Gunther Wenz

Ulrich Asendorf (geb. 1928) ist ein Lutherforscher der besonderen Art. Seine historischen Studien zu Leben und Werk des Reformators werden erkennbar in aktuellem Interesse betrieben und verfolgen ausdrücklich ein systematisches Ziel. Sie sollen der Grundlegung einer theologischen Konzeption dienen, welche die trinitarische Wirklichkeit des in Jesus Christus kraft seines Heiligen Geistes offenbaren Gottes angemessener zu erfassen vermag, als das unter neuprotestantischen Voraussetzungen Schleiermacherscher Provenienz oder unter den Bedingungen der Dialektischen Theologie bzw. einer Kerygmatheologie existentialer Interpretation möglich sei.

Dabei treten Koalitionen zu Tage, die auf den ersten Blick als eher unkonventionell erscheinen. »Luther und Hegel« lautete der Titel eines Werkes von 1982, in welchem A. nicht nur ideengeschichtliche Zusammenhänge zwischen dem Wittenberger Reformator und dem Berliner Philosophen herstellte, sondern zugleich die These vertrat, wonach die Hegelsche Realdialektik in besonderer Weise geeignet sei, die Systematik von Luthers Theologie zu erfassen und ihr unter neuzeitlichen Denkprämissen überzeugende Geltung zu verschaffen. Unter vielfältigen Aspekten, aber bei gleich bleibender Grundintention hat A. sein Theologieprogramm in zahlreichen Aufsätzen und Monographien zu fundieren und auszuarbeiten versucht. Den Mittelpunkt der Forschungen bilden dabei stets Luther und seine christologische Theologie, als deren integrales Thema die rechtfertigungstheologisch konzentrierte, Protologie und Eschatologie umgreifende Trinitätslehre bestimmt wird. Um nur einige der wichtigsten Texte zu benennen: Eschatologie bei Luther, Göttingen 1967; Gekreuzigt und auferstanden. Luthers Herausforderung an die moderne Christologie, Hamburg 1971; Die Theologie Martin Luthers nach seinen Predigten, Göttingen 1988, Lectura in Biblia. Luthers Genesisvorlesung (1535­1545), Göttingen 1998; Heiliger Geist und Rechtfertigung, Göttingen 2004.

Das Thema der an vorletzter Stelle genannten Untersuchung wird nun erneut aufgegriffen. Anhand der Vorlesung zum ersten Buch des Alten Testaments, die den Reformator zumal in seinem letzten Lebensjahrzehnt intensiv beschäftigt hat, wird der Versuch unternommen, die Summe von Luthers biblisch begründeter Theologie zu erheben und deren Modernität und ökumenische Aktualität aufzuweisen. Luthers Spätwerk, so die Grundthese A.s, ist die Krönung seines gesamten Schaffens. Mehr noch als dasjenige des jungen sei das Denken des späten Luther geeignet, dem heutigen Christen Glaubensorientierung zu verschaffen und für Theologie, Kirche und Ökumene Wege in die Zukunft zu erschließen. Auf den Rechtserweis dieser Annahme sind die in dem Band gesammelten zehn Beiträge insgesamt angelegt, die multiperspektivische Anleitung geben, den alten Luther neu zu lesen und zu verstehen: als Exegeten und Hermeneuten, der wusste, dass zuletzt nicht wir die Bibel, sondern die Bibel uns auslegt, als dezidierten Theologen der Trinität, für den Schrift und Dogma sich gegenseitig erklären, als Christologen, Rechtfertigungstheologen und Ekklesiologen, der nicht nur das Verhältnis von Gesetz und Evangelium, sondern auch dasjenige der beiden Regierweisen Gottes als differenzierten Zusammenhang zu bestimmen und in diesem Kontext den Prinzipien der Religions- und Gewissensfreiheit sowie der Nichtidentifikation von Staat und Kirche, die für moderne Rechtsstaatlichkeit und den interreligiösen Dialog von zentraler Bedeutung sind, zumindest dem theoretischen Grundsatz nach Geltung zu verschaffen vermochte. A. begnügt sich nicht mit historischen Details, sein Blick ist auf das systematische Ganze gerichtet: »Aufgabe der Lutherforschung im Rahmen der theologischen Wissenschaft ist«, so die Devise, »zweierlei, gleichsam die Luftaufnahme aus großer Höhe, gerichtet auf das ganze Terrain, und die hingebungsvolle Arbeit am Detail« (201). Im vorliegenden Band überwiegen eindeutig die Luftaufnahmen. Wer Überblick sucht, wird A.s Texte mit Gewinn lesen.