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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1062–1064

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Yarbrough, Robert W.:

Titel/Untertitel:

The Salvation Historical Fallacy? Reassessing the History of New Testament Theology.

Verlag:

Leiden: Deo Publishing 2004. XIV, 402 S. gr.8° = History of Biblical Interpretation Series 2. Kart. Euro 65,90. ISBN 90-5854-024-3.

Rezensent:

Reinhard von Bendemann

Der als Associate Professor an der Trinity Evangelical Divinity School in Deerfield (Illinois) lehrende Vf. stellt eine Kombination aus forschungs- und theologiegeschichtlicher Analyse sowie systematischer Reflexion zur Diskussion, die kritisch-präskriptive Anliegen in Hinsicht auf die gegenwärtige Diskussion um die Möglichkeitsbedingungen einer »Theologie des Neuen Testaments« verfolgt (vgl. XIII f.). Die Arbeit zielt im Kern auf die Freilegung einer Grunddiastase (so ist der vom Vf. wiederholt verwendete Begriff der »bifurcation« ausgelegt; 63.212.338 u.a.), die sich seit dem 18. Jh. im Gefolge der Aufklärung vollzogen habe. Die in sich differenziert wahrgenommene, gleichwohl aber durch den Vf. weitgehend homogenisierend behandelte aufgeklärt-kritische Exegese habe ­ so der Vf. ­ einen vergleichbar synthetisch wahrnehmbaren, dignitätsvollen Strang der Erforschung des Neuen Testaments marginalisiert, der seit ca. 200 Jahren im Wesentlichen kontinuierlich fortbestanden habe (vgl. 211).

Das Konzept »heilsgeschichtlicher« Darstellung sei der zugespitzten Gefahr einer Verabschiedung göttlichen Wirkens aus der Geschichte nicht erlegen. Mit entsprechender »salvation history« verbindet der Vf. in einem weiteren Sinn die Annahme, »that a particular trajectory within the historical nexus somehow took on normative significance for all history due to God¹s unique saving presence in and through it« (3; vgl. 54­57.107. 112­114.210 u. a. m.).

Den Scheideweg zwischen einer »post-Enlightenment communis opinio« und dem derart avisierten Konzept einer »salvation history« sucht der Vf. in unterschiedlich differenzierter Analyse anhand der Arbeiten vor allem F. C. Baurs (8­28), W. Wredes (62­81) und R. Bultmanns (271­299) auf der einen, sowie derer J. C. K. Hofmanns (28­57), A. Schlatters (81­114), M. Albertz¹ (299­316), O. Cullmanns (213­259) und L. Goppelts (317­336) auf der anderen Seite aufzuzeigen. Die Anordnung ist einem chronologischen Rahmen integriert, zugleich aber vom Beweisziel her sachlogisch mitbestimmt. In summarischer Perspektive werden Entwicklungen in der deutschsprachigen Alttestamentlichen Wissenschaft verglichen (118­145. 177­192). Der nordamerikanische Hintergrund wird in einem Passus »Slouching toward Crisis: Salvation History in the Biblical Theology Movement« partikular beleuchtet (166­176). Zusammenfassungen schließen die einzelnen Untersuchungsschritte ab, am Ende steht ein Epilog, der den Buchtitel repetiert (339­346). Der Stil ist teilweise narrativ und von journalistischer Sprache nicht frei. Nach Auskunft des Vf.s vereint die Arbeit »two decades of chronic curiosity, sporadic reading, and more or less continual reflection Š« (XIII).

Grundsätzlich stimulierend ist, wie beispielsweise Hofmann und Schlatter, für den der Vf. auf eigene Vorarbeiten zurückgreifen kann, in ein Gespräch über epistemologische Fragen eingebunden werden und dass an die in ihrer Zeit sperrigen Arbeiten O. Cullmanns erinnert wird, auch wenn diese sich ­ beispielsweise in ihrer scharfen Grenzziehung gegenüber hellenistischen Interpretationsansätzen (vgl. 219.229 u. a.) ­ nicht als einfach repristinierbar erweisen.

Bemerkenswert ist demgegenüber die Bedeutung, die E. Stauffer als Vorläufer Cullmanns zugemessen wird (158). Die entscheidende Frage aber hat zu lauten: Wird hier wirklich ein in einem Bett zusammenführbarer kontinuierlicher Strom der Forschung greifbar, der einer so einfach konzipierten communis opinio (vgl. 341: »monolithic«) glatt gegenüberzustellen wäre, die die »Substanz des christlichen Glaubens« dispensiert habe (vgl. 343)? Und hat die Unterdrückung dieses Stroms, von der der Vf. ausgeht, tatsächlich in solcher Weise zu Verarmung und Vereinseitigung der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft geführt (vgl. 336 f.)? So respektabel das Anliegen des Vf.s ist, zu einem besseren Verständnis der deutschsprachigen Forschungsgeschichte im anglophonen Raum beizutragen (XIV), so wenig vermag die Arbeit dieser Intention in der von ihr gesetzten »Matrix« (211) gerecht zu werden. Unbeschadet materialreicher Analyse und manchen überraschenden Details, das sich in der Untersuchung entdecken lässt, ist diese von Missverständnissen nicht frei (vgl. 13, zu G. Ebeling).

Gegenüber der stark betonten cartesianischen bzw. neokantianischen Ableitung der Epistemologie kritischer Exegese wäre neben vielem anderen darauf hinzuweisen, wie verschieden metaphysische bzw. weitere philosophische Begründungs- und Reflexionszusammenhänge schon bei den Vätern der kritischen Exegese mit bedacht sind, wie unterschiedlich die Stoßrichtigung ihrer Arbeiten gelagert war (vgl. etwa die verschiedenen Auflagen von D. F. Strauß¹ »Das Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet«), wie differente Wege ihre Schüler oft gingen. In sachlicher Hinsicht der Intention des Vf.s vergleichbar wären im 20. Jh. etwa die Beiträge E. Petersons und H. Schliers zu einer »konkreten Eschatologie«, die jedoch keineswegs in der durch den Vf. skizzierten Weise die Diastase gegenüber streng »historisch-kritischer« Arbeit und religionsgeschichtlichem Studium beschrieben, sondern sie vielmehr selbst bereicherten und bestimmte Konsequenzen aus ihnen zogen. Das selektive Vorgehen verweist auf einen Mangel der Anlage der Untersuchung (dass das Werk L. Goppelts wirkungslos geblieben sei [vgl. 340], widerlegen schon die Arbeiten J. Roloffs). Auch die Entwicklungen in der römisch-katholischen Exegese seit dem 19. Jh. sind kaum beachtet. Insgesamt ist der Sammelbegriff »salvation history« in der weit reichenden Erschließungsfunktion, die der Vf. ihm zuschreibt, nur sehr bedingt suffizient. Das durchgängig betonte Postulat, dass eine »Theologie des Neuen Testaments« von modernen (»cartesianischen«) Interpretationsprämissen und »säkularen« Denkfiguren Abstand zu gewinnen und ihre Kriterien »internal« aus dem Text selbst zu beziehen habe (vgl. 106.116: die Auskunft, das Neue Testament selbst ziehe die Gott-Geschichte-Dichotomie in Frage, 181.228 u. a.), führt so nur zum Ausgangsproblem zurück (vgl. 15.115.192.236 u. a. m.).

Die »bifurcation«, die der Vf. so eindeutig zu evaluieren vermag, erweist sich damit aber insgesamt zu einem hohen Grad als ein Konstrukt des Vf.s, welches kaum fruchtbar an die komplexen historischen und thematischen Problemkonstellationen heranführt, wie sie sich im Umkreis der in jüngster Zeit erschienenen Entwürfe einer »Theologie des Neuen Testaments« stellen (vgl. XIII). Bei aller Differenzierung, die die Studie in forschungsgeschichtlicher Retrospektive immer wieder intendiert, zeichnet sich eine Diastase ab, die geradezu dualistische Züge annimmt und am Ende nur einen Entweder-oder-Entscheid als Ausweg aus den postulierten Dilemmata erkennen lässt. Will der Vf. dabei die Legitimität philologischer Untersuchung und soziohistorisch orientierter Forschung, wie sie anschlussfähig für die Entwicklungen in den klassischen Altertumswissenschaften bleiben kann, nicht gänzlich negieren, so sind entsprechende Notizen jedoch von untergeordneter Bedeutung im Vergleich zu einer eindeutigen Positionierung, die strikt auf einer grundsätzlich in der Perspektive des Glaubens unhintergehbaren, faktischen Verlässlichkeit biblischer Geschichtsdaten insistiert und kritische Forschungsarbeit im Gefolge Baurs, Wredes oder Bultmanns unter die bekannten Verdikte ihrer Verfremdungsleistung und unübersichtlichen Diversifikation stellt. So berechtigt zahlreiche (zumeist allerdings keineswegs neue) kritische Einwände sind, die der Vf. gegenüber dem »Historismus«, dem Kulturprotestan- tismus, den Gefahren religionsgeschichtlicher Beliebigkeit oder den systematischen Implikaten der »existentialen Interpretation« benennt, so wären Fortschritte in der Analyse jedoch nur bei einem erheblich höheren philologischen und sachlich-thematischen Differenzierungsgrad zu erreichen. Exegetische Detaildiskussion vermisst man in der Arbeit durchgängig.

Wird man dem Vf. zustimmen, dass das Problem einer sachgerechten Korrelation von »Offenbarung« und »Geschichte« in der Disziplin der »Theologie des Neuen Testaments« gegenwärtig als ungelöst zu gelten hat, so steht sein selektiver prosopographisch orientierter Zugang in der Gefahr, diffizile Forschungsfelder auf schlicht konzipierte Basisorientierung der auf ihnen wirksamen Forscher zu reduzieren; er kann Simplifikationen und bekenntnishafte Zielangaben unterstützen, mit denen wenig erreicht ist, und stellt in der äußersten Konsequenz eine Kapitulation vor der Komplexität von Wirklichkeit, vielmehr eine Art ðGhetto-ExistenzÐ der frühchristlichen Schriften und ihrer Anspruchsperspektiven in Aussicht. Solche Aussicht muss aber nicht allein für die (immer wieder mit kritisch-ambivalenten Bemerkungen eingedeckten [vgl. 58.211]) Bereiche der Wissenschaft, sondern auch für die vom Vf. so prononciert nachgefragten Möglichkeitsbedingungen der Artikulation eines geschichtsbezogenen Glaubens und entsprechender Praxis (Schlatter: »Denkakt« und »Lebensakt«) als bedenklich gelten.