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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1060–1062

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mathieu, Yvan:

Titel/Untertitel:

La figure de Pierre dans l¹¦uvre de Luc. Évangile et Actes des Apôtres. Une approche synchronique.

Verlag:

Paris: Gabalda 2004. 461 S. gr.8° = Études bibliques. Nouvelle série, 52. Kart. Euro 70,00. ISBN 2-85021-155-2.

Rezensent:

Joachim Jeska

Ein klar definiertes Interesse führt M. auf die Spuren des Petrus im lk Doppelwerk: Er möchte »eine der am weitesten entwickelten petrinischen Theologien des Neuen Testaments« (11) nachzeichnen und wählt dafür den Weg der synchronen Exegese. Daraus resultiert, dass in dem vorliegenden Werk ­ der von Marcel Dumais betreuten und im Jahr 2000 von der Theologischen Fakultät der Université Saint-Paul in Ottawa angenommenen Dissertation, die für den Druck überarbeitet wurde ­ nicht etwa die Frage nach der historischen Petrusfigur diskutiert wird, sondern das Bild, das der auctor ad Theophilum von Petrus entwirft.

M. beginnt seine Arbeit mit einer Darstellung des Forschungsstandes, in der er die relevante Literatur Werk für Werk diskutiert (15­48). Aus diesem Überblick folgert er zu Recht, dass für eine aktuelle, den Endtext fokussierende Studie zum lk Petrusbild sehr wohl ein Platz in der Forschungsdebatte existiere. Auf wenigen Seiten erläutert er sein methodisches Vorgehen (48­53): Er weiß sich der »critique narrative«/dem »narrative criticism« verpflichtet, arbeitet dabei aber sehr wohl auch mit der Methode der Redaktionskritik, deren konkrete Gestalt er allerdings insofern als »neu« bezeichnet, als er stärker auf die Endfassung denn auf die literarische Genese eines biblischen Textes blickt.

Der Hauptteil seiner Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel, je drei zum Lukasevangelium und zur Apostelgeschichte. Bereits bei der Gewichtung wird deutlich, dass M. seinen Blick wirklich auf das lk Gesamtwerk richtet und nicht einen Teil besonders hervorhebt. Seine exegetischen Erörterungen sind dabei strukturell ähnlich aufgebaut: Auf eine Einordnung in den vorlaufenden Kontext folgen Überlegungen zur Gliederung und ein Durchgang durch die jeweilige Perikope anhand der Aspekte, die für das Petrusbild zu erheben wichtig sind. M. richtet das Augenmerk insbesondere auf die Leserlenkung durch den »narrateur«, weist auf die verschiedenen Bezugnahmen innerhalb des lk Doppelwerkes hin und spürt die Zwischentöne auf. Dem auctor ad Theophilum wird dabei eine große Erzählkunst attestiert. Selten nur erfolgen Seitenblicke zu den synoptischen Parallelen (z. B. in Bezug auf die Verklärung [111­124]). Prägnante Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels ­ zugespitzt auf die Petrusfigur und die »Entwicklung seiner Rolle« ­ machen das ohnehin gut lesbare Buch zu einem übersichtlichen Opus.

Im zweiten und dritten Kapitel seiner Arbeit (55­88.89­126) widmet sich M. den sechs »Petrus-Texten« des Galiläa-Teils im dritten Evangelium (Lk 4,38 f.; 5,1­11; 6,12­16; 8,40­56; 9,18­22; 9,28­36), wobei die These, dass sich das Bild des Petrus erkennbar wandle und entwickle, erste Konturen bekommt. Eingeführt als Randfigur in der Perikope der Heilung seiner Schwiegermutter (Lk 4,38 f.), rückt Simon (Petrus) erstmals im Abschnitt vom Fischzug (Lk 5,1­11) in den Blickpunkt. In diesem für das lk Bild des Petrus grundlegenden Text erkennt M. weniger eine Gotteserscheinung als vielmehr die Berufungserzählung des Petrus (70). Hier erhält er direkt von Jesus seinen ersten wichtigen Auftrag, nämlich den, Menschen zu gewinnen. Mit dem Bericht von der Wahl der Zwölf, der besonderen Hervorhebung des ersten Jüngers und der Namengebung (Lk 6,12­16) bekommt die Petrusfigur »relief« (86). Im Folgenden zeige sich dann deutlich, wie der Glaube des Petrus wachse, auch wenn Lk 8,40­56 in gewisser Weise ein Rückschritt sei. Immerhin zeige diese Perikope, dass Petrus zur »spirituellen Familie« Jesu gehöre (99), und er erreiche eine wichtige Etappe in der Glaubensentwicklung dadurch, dass er mit seinem Bekenntnis (Lk 9,18­22) die Identität Jesu berühre, freilich noch nicht voll erfasse (110).

Die Erwähnungen des Petrus im Reiseteil und in der Passionserzählung des Lk stehen im Fokus des 4. Kapitels (127­169). Hier arbeitet M. heraus, dass der Erstberufene zusätzlich zu seiner missionarischen Aufgabe eine pastorale Aufgabe erhalte: sich als Teil einer Gruppe zu fühlen und die Brüder zu stärken. Lässt sich nicht ganz nachvollziehen, warum die kurze Frage in Lk 12,41 in dieser Hinsicht einen »großen Schritt« für die Figur des Petrus bedeuten soll (138), so überzeugt die Analyse des exklusiven Auftrages »Stärke deine Brüder« in Lk 22,32, dem M. eine große Tragweite beimisst ­ er entdeckt die Erfüllung dieses Mandates nicht nur in Lk 24,34, sondern auch an etlichen Stellen der Apg (149­154; vgl. 208.222.335.339.346). Das Petrusbild der Passionserzählung sei trotz Verleugnung sehr wohl positiv, da die Begrenztheit des Menschen Petrus nicht geleugnet werde. Nicht zuletzt dadurch werde der Erstberufene, dem auch die Ersterscheinung des Herrn widerfahre, zu einer Identifikationsfigur für den Leser. Ob man freilich mit M. behaupten kann, dass der Glaube aller Jünger und Apostel allein auf dem Zeugnis des Petrus ruhe (M. misst Lk 24,34 sehr großes Gewicht bei), scheint fraglich. Es wäre genauer zu fragen, welchen Zweck die Perikopen der Emmausjünger und der Erscheinung Jesu vor der Jüngerschaft haben.

In den Kapiteln 5­7 erörtert M. die Rolle des Petrus in der Apostelgeschichte (171­224.225­286.287­324). Zu Beginn (Apg 1,15­26) werde dieser vollständig rehabilitiert (187), und an seinen Reden erweise sich, dass er zum offiziellen Repräsentanten der Apostel avanciere (190). Seine Rolle nähere sich dabei der seines Meisters Jesus mehr und mehr an, was sich an verschiedenen Perikopen zeige (Apg 3; 9; 12); u. a. bekomme er die Züge des Elisa (250.281). Er handle in prophetischer Manier (Apg 5,1­11) und verteidige im Sinne der Koinonia die Orthodoxie und -praxie (Apg 8,14­25). Allerdings verdeutliche die gemeinsame Delegation mit Johannes in Apg 8 ebenso wie der Apostelkonvent in Apg 15, dass Petrus nicht »Chef« der Apostel sei, sondern »einer unter Gleichen« (239.322 f.). Apg 10, einer der Höhepunkte auf dem Weg des Erstberufenen (zugleich Erfüllung des Auftrages aus Lk 5,10), bezeichnet M. als »Bekehrungserzählung des Petrus«, weil dieser und nicht Kornelius im Mittelpunkt stehe (278 f.281.286).

Im letzten Kapitel seiner Arbeit (325­347) resümiert M. zunächst die Darstellung des Petrus in Lk und Apg getrennt, ehe er Gesamtbemerkungen anschließt: Von den drei Aufträgen, die Petrus im lk Doppelwerk erhalte (Mission; Brüderstärkung; Richten am Ende der Zeiten [Lk 5,10; 22,30.32]), werden die ersten zwei nach dem Zeugnis des auctor ad Theophilum erfüllt (346). Die Entwicklung des Petrus im Leben und im Glauben ­ mit allen Rückschlägen und Fortschritten ­ soll in erster Linie den »Bruder Leser« stärken, wie überhaupt die Brüderstärkung die Einzigartigkeit der Rolle des Petrus erweise (347). Lk 22,32 avanciert damit zum Schlüssel für die Petrusfigur im lk Doppelwerk. Ehe M. einen sehr ausführlichen Verzeichnis- und Registerteil anschließt (beinahe 100 Seiten), stellt er weiterführende Schlussfolgerungen an (349­351). Der lk Petrus fungiere als ein »Typ« für alle Verantwortlichen in der christlichen Gemeinschaft (aber ebenso überhaupt für alle, die Jesus nachfolgen): Ein Verantwortlicher müsse zunächst selbst Diener sein, dürfe den anderen nicht seinen Willen auflasten und seine Glaubenserfahrung müsse durch die Schriften belegt sein.

Viele wertvolle Einzelbeobachtungen am lk Text zeichnen die Arbeit von M. aus. Obwohl die meisten davon nicht neu sind, ist es die Gewichtung mit dem Gesamtblick auf alle »Petrus-Texte« des lk Doppelwerkes, die Herausarbeitung eines sich entwickelnden Petrus-Bildes und sind es die Hinweise auf intertextuelle Bezugnahmen, die das vorliegende Buch zu einem lesenswerten Forschungsbeitrag machen.