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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1057–1059

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kelhoffer, James A.:

Titel/Untertitel:

The Diet of John the Baptist. »Locusts and Wild Honey« in Synoptic and Patristic Interpretation.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XXIII, 256 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 176. Lw. Euro 69,00. ISBN 3-16-148460-6.

Rezensent:

Otto Böcher

Bekanntlich berichten Mk 1,6 und Mt 3,4 übereinstimmend, Johannes der Täufer habe sich, als Prediger in der Wüste lebend, von »Heuschrecken und wildem Honig« ernährt. An der Glaubwürdigkeit dieser Nachricht ist nicht zu zweifeln; wohl aber wird immer wieder nach dem religionsgeschichtlichen Hintergrund dieser Lebensweise und nach ihrer möglichen Bedeutung gefragt.

Jetzt hat James A. Kelhoffer (Saint Louis University, Missouri, U. S. A.) neue Forschungen und Erwägungen zu Bedeutung und Nachgeschichte der für den Täufer überlieferten Nahrung ­ Heuschrecken und wilder Honig ­ vorgelegt. Dabei umfasst der biblisch-exegetische Teil seiner Monographie die Seiten 1­35 (Kapitel 1) und 100­133 (Kapitel 4). Die Kapitel 2 (36­80) und 3 (81­99) sind den sozial- und naturgeschichtlichen Aspekten des Genusses von Heuschrecken und »wildem Honig« in der Antike gewidmet. Schließlich untersucht Kapitel 5 (134­193) Belege altkirchlicher Literatur zur Wirkungsgeschichte von Mk 1,6 par. Mt 3,4; diese reicht von allegorisch-metaphorischer Deutung bis zu einer realistischen »imitatio Johannis«. Ein Epilog (»Locusts an Wild Honey« in Retrospect: PAIDEIA and Early Christian Biblical Interpretation, 195­205) beschließt den Textteil, gefolgt von Bibliographie, Stellenregister und Indizes der zitierten modernen Autoren und der wichtigsten Sachen (207­256).

Kapitel 1 behandelt nacheinander die synoptischen Belege zum Thema: die Notiz über »Heuschrecken und wilden Honig« (Mk 1,6 par. Mt 3,4), die Fastenfrage (Mk 2,18 parr.), die aus Q stammende Gegenüberstellung von Jesus und Johannes dem Täufer (Lk 7,31­35 par. Mt 11,16­19) und die nasiräischen Aspekte des Täufers zufolge Lk 1,15b im Vergleich zu Lk 7,31­35 par. Mt 11,16­19. Schon hier wendet sich K. gegen den Versuch, die einzelnen Aussagen über die Lebensweise des Täufers auf einen Nenner zu bringen (The Case against Harmonization, 10­12). Ein forschungsgeschichtlicher Überblick (The status quaestionis, 12­35) listet die verschiedenen Deutungsversuche der Forschung ­ von Erasmus und Wettstein bis zur Gegenwart ­ auf; dabei wird leider nicht deutlich, dass die referierten Positionen einander nicht notwendig ausschließen und von den genannten Gelehrten zumeist auch nicht als einzig mögliches Erklärungsmodell ausgegeben wurden.

Im zweiten Kapitel (Locust/Grasshopper Eating in Ancient Near Eastern and Greco-Roman Antiquity) werden sorgfältig und materialreich alle Aspekte des Heuschreckengenusses in der Bibel, im antiken Judentum und in der griechisch-römischen Antike behandelt. The Baptist¹s »Wild Honey« erweist sich im dritten Kapitel als in der Wüste vorkommende Speise, sei es als Produkt der Bienen oder pflanzlicher Herkunft; für die letztere Art von »Honig« stammen Belege aus Diodorus Siculus und Plinius, aber auch von Euripides, Aristeas, Vergil, den Sibyllinen und dem slawischen Hennoch.

Das Kernstück der vorliegenden Monographie ist Kapitel 4 (»Locusts and Wild Honey« in Synoptic Interpretation: The Historical Baptist, Mark, Matthew and Luke). In gewisser Weise eine Dublette zu den Seiten 1­10, befragt K. noch einmal die synoptischen Belege, um zu Erkenntnissen über den »historischen Täufer« und die Tendenzen der Traditionen zu gelangen. Für den Täufer stellt K. fest, Johannes habe vermutlich auch Heuschrecken genossen (120), wenn auch, zusammen mit wildem Honig, nur gelegentlich (from time to time, 132). Nichts spricht K. zufolge für eine particular significance der Nahrung des Täufers, etwa als Erfüllung von Jes 40 oder Nachahmung des Propheten Elia (132). Erst Mk 1,6 macht den Täufer zum Prediger in der Wüste, evtl. auch zu einem neuen Elia, mit der für die Wüste typischen Speise. Für Matthäus ist wichtig, dass Johannes der Täufer ausschließlich von natural, uncultivated foods lebte. Lukas tilgte Mk 1,6, um Anspielungen auf Elia zu vermeiden (133).

Der zweite Schwerpunkt des Buches, Kapitel 5, besteht aus der methodischen Auflistung der patristischen und altkirchlichen Belege zur Nachgeschichte von Mk 1,6 par. Mt 3,4 (John¹s Diet as »Vegetarian« and a Model of Asceticism: »Locusts«, Wild Honey and the imitatio Johannis in Patristic and Subsequent Christian Interpretation). Die verschiedenen Interpretationsmodelle, teils einander ausschließend, teils einander ergänzend, skizziert ein anschaulicher Überblick (135­137): figurativ-allegorische Interpretation, der Täufer als Asket und Vorbild für die Christen, Heuschrecken und wilder Honig als Quelle christlicher paideia. Die Behandlung der Belege erfolgt im Wesentlichen diachronisch; der Bogen spannt sich von Justin und dem Ebioniten-Evangelium über Tatian und Clemens von Alexandria bis zu Athanasius, Ambrosius, Augustin und Hieronymus; auch Calvin kommt zu Wort, doch stammt sein Kommentar zu den Synoptikern nicht von 1513 (187), sondern von 1553. Der erwähnte Epilog resümiert den Ertrag der Kapitel 1­5 und skizziert methodische Beobachtungen zur gegenwärtigen Forschung sowie Zugänge zu künftigen Forschungsaufgaben.

In der Bibliographie (207­234) fehlen wichtige Veröffentlichungen, vor allem deutschsprachige Aufsätze zum Thema, die K. leicht über den (1988 erschienenen) TRE-Artikel »Johannes der Täufer« hätte auffinden können. Übrigens wurde auch der für K.s Fragestellung entscheidend wichtige RAC-Artikel »Honig« (1994) nicht benutzt. Ärgerlich ist die alphabetische Einordnung aller Autoren, die ein van oder von vor ihrem (eigentlichen) Namen führen, unter dem Buchstaben V (230 und 254). Constantin Tischendorf (1815­1874) z. B. hat ohne das »von« (das er erst 1869 durch Nobilitation erhielt) publiziert und wird vom Fac/hmann unter T gesucht.

Die entscheidende Schwäche der vorliegenden Arbeit besteht jedoch ­ nach Auffassung des Rezensenten ­ in der Sicherheit (vgl. 118: John probably would have been surprised to learn Š), mit der K. jede religiöse Bedeutung der Lebensweise des Täufers bestreitet und die Vereinbarkeit der von den Evangelien überlieferten Züge des Täuferbildes ablehnt (z. B. 10­12 und 132 f.). Dass Heuschrecken und wilder Honig nichts anderes gewesen sein sollen als die gelegentlich verzehrte gewöhnliche Nahrung eines Wüstenbewohners, der ansonsten doch auch ohne Vitamin C und Kohlehydrate nicht habe auskommen können (132), vermag der Rezensent nicht einzusehen. Warum sollen Elemente einer altjüdisch-asketischen, nasiräisch-prophetischen und möglicherweise auch an Elia erinnernden Lebensweise sich notwendig ausschließen? Der Rezensent teilt K.s Furcht vor unzulässiger »Harmonisierung« (10­12) keineswegs, sondern rechnet mit einer bewussten »Selbstinszenierung« des altjüdischen Propheten Jochanan ben Sacharja. Die vorzügliche Monographie von Michael Tilly (»Johannes der Täufer und die Biographie der Propheten. Die synoptische Täuferüberlieferung und das jüdische Prophetenbild zur Zeit des Täufers«, Stuttgart 1994) hätte K. nicht so eilig abtun (z. B. 8.17.32), sondern ernsthaft bedenken sollen, auch wenn ihn das zur Aufgabe seiner anachronistischen Position hätte nötigen müssen.

Von solcher Kritik unberührt bleibt das Verdienst der vorliegenden Untersuchung, zoologische und botanische Fragestellungen zur Nahrung des Täufers aufgearbeitet und mit den Aussagen der Synoptiker konfrontiert zu haben. Die Kirchenhistoriker, vor allem die Patristiker, erfreut das umfangreiche Kapitel über die Nachwirkung von Mk 1,6 par. Mt 3,4 in der christlichen Erbauungsliteratur und Paränese.