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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1055–1057

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Buchegger, Jürg:

Titel/Untertitel:

Erneuerung des Menschen. Exegetische Studien zu Paulus.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 2003. XIV, 409 S. 8° = Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter, 40. Kart. Euro 64,00. ISBN 3-7720-2832-2.

Rezensent:

Lars Aejmelaeus

Das Buch ist eine sehr gründliche Studie über die fünf Verse (2Kor 4,16, Röm 12,2, Eph 4,23, Kol 3,10, Tit 3,5), in denen die Wörter »Erneuerung« und »erneuern« im Neuen Testament zu finden sind. Diese griechischen Wörter kommen im Neuen Testament und in ihm in den paulinischen Schriften zum ersten Mal vor, scheinen also Wortneubildungen des Paulus zu sein. Vor B. hat niemand eine monographische Untersuchung über das Thema »die Erneuerung des Menschen bei Paulus« geschrieben. Dieser Mangel wird jetzt sogar im Übermaß beseitigt, wenn man die Zahl der dicht beschriebenen Seiten rechnet. Dennoch ist das Unternehmen nicht ohne Probleme.

Die fünf Verse werden in ihren Kontexten nun philologisch, grammatikalisch, logisch-inhaltlich und theologisch sehr genau untersucht. B. beherrscht diese Grundarbeit am Text hervorragend. Nur der Ausgangspunkt der Arbeit ist unbefriedigend. Methodisch arbeitet B. auf einer konservativen, sogar rückschrittlichen Basis. Das tritt schon an den Stellen zutage, wo er von David als dem Beter der Psalmen spricht oder wo er die Worte des Johannesevangeliums problemlos als Worte Jesu zitiert. Sachlich spielen diese Einzelheiten in der Arbeit jedoch keine große Rolle, weil diese Einstellung zum Alten Testament und zu den Evangelien für die Auslegung der Paulustexte nicht entscheidend ist. Was die Behandlung der fünf Paulusbriefe angeht, hätte man nicht viel einzuwenden, wenn B. auch den Kolosserbrief für echt paulinisch halten würde. Er geht aber weiter: Auch die Briefe an die Epheser und an Titus sollen für echt gehalten werden. B. schreibt: »Ich arbeite vorerst exegetisch unter der Annahme, Paulus habe den Brief selbst geschrieben, und versuche für unsere Stelle, und für diese allein, zu prüfen, ob es im Text begründete, schwerwiegende Hindernisse gibt, die dieser Annahme gänzlich entgegenstehen« (51). Wie die Behandlungen im Buch dann zeigen, ist das Problem der Echtheit nicht so einfach zu beseitigen. Für eine vorurteilsfreie, circulos vitiosus vermeidende Interpretation eines einzelnen Verses sollte man solche wichtigen, die Exegese bestimmenden Grundvoraussetzungen natürlich außerhalb des in Frage stehenden Verses machen. In diesem Fall sind die Argumente der normalen exegetischen Ansicht so schwerwiegend, dass der methodische Mangel besonders fatal ist. In dieser Lage ist es auch keine große Überraschung, wenn der Leser bei der Behandlung der Verse Eph 4,23, Kol 3,10 und Tit 3,5 in der Fortsetzung lesen darf, dass sie vom Inhalt und Ausdruck gut paulinisch sind. Sie sind es aber deswegen, weil sie von Anfang an allein und einzig eben durch Paulus ausgelegt worden sind. Die Möglichkeiten, die durch einen pseudepigraphischen Blickwinkel ans Licht gekommen wären, werden nicht echt geprüft. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Ausdrücke und Begriffe, die ein Paulus-Schüler als paulinisches Erbe in einer neuen Situation anwendet, einen etwas veränderten Inhalt haben als beim echt-paulinischen Gebrauch.

Mit dem Ansatz B.s stimmt überein, dass er die Situationen, in denen die Briefe geschrieben worden sind, nicht behandelt. Die einleitungswissenschaftlichen Fragen, der Zweck des einzelnen Briefes, die Lage der Adressaten und des Schreibers, geschweige ein soziologischer Blickwinkel fallen durch ihre Abwesenheit auf. Die Verse werden in einer zeitlosen, abstrakt- theologischen Sphäre als solche behandelt. In dieser Hinsicht ist das Buch wie in einer Zeit vor dem »Sündenfall« der historisch-kritischen Exegese geschrieben, obwohl B. die wichtigste neuere exegetische Literatur kennt und mit ihr in den Fußnoten fleißig diskutiert. Es geht auch hier nur um die Frage, worüber hier diskutiert wird. Auf dem verhältnismäßig schmalen Gebiet, auf dem alles gemacht wird, kann auch ein kritischer Exeget dennoch von dem Buch viel lernen, weil B. die Grundarbeit aller exegetischen Arbeit, nämlich das genaue Lesen des Textes, sehr gründlich und philologisch vorzüglich getan hat. Wegen der oben genannten methodischen Schwächen können die Schlussfolgerungen, die er aus seiner Arbeit zieht, jedoch nicht als solche genutzt werden. Dies gilt vor allem für die »pseudepigraphischen« Verse.

In vielen Einzelproblemen und Einzelthemen ist die Art und Weise, wie alle oben genannten Paulusverse ausgelegt werden, dennoch hilfreich, z. B. die Art und Weise, wie die paulinische Anthropologie beschrieben wird. Ich stimme B. in seinen holistischen Betonungen in dieser Frage (z. B. 66­69) zu. Auch sonst bewegt B. sich auf sicherem Grund, wenn er über die paulinischen anthropologischen Begriffe (z. B. nous) spricht, die in dem näheren Kontext des Themas »Erneuerung« eine wichtige Rolle spielen. Die Betonung, dass das Thema »Erneuerung des Menschen« vor Paulus und dem Neuen Testament im Judentum oder in der nicht-jüdischen Welt überhaupt nicht vorkommt, ist ein wichtiges Detail, das auch für größere Zusammenhänge von Bedeutung ist. Für die Erklärung dieser Tatsache nimmt B. die Heilsgeschichte zur Hilfe: Das Christus-Ereignis neben der Wirklichkeit des Heiligen Geistes im Leben des Paulus und der anderen Christen ist die Ursache für die neue Situation, wo der neue Begriff seine Anwendung findet.

Den besten Dienst leistet das Buch für die Bibelwissenschaft innerhalb der beinahe 60 Seiten, in denen der Vers 2Kor 4,16 behandelt wird. Der Vers ist problemlos paulinisch und chronologisch der erste Text, wo das griechische Wort anakainovi

Fertig korrigiert

Fussnoten:

vorkommt. Der Vers und sein Kontext bekommen eine durchgehende und vielseitige grammatikalisch-inhaltliche Untersuchung. Hier ist es natürlich nur sachgemäß, dass die Stelle anhand von anderen Paulustexten beleuchtet wird. Das Ergebnis überzeugt: In der Erneuerung des Christen geht es um die Nachfolge Christi. Im Hintergrund steht hier die Adam-Christus-Typologie. Ohne die von Paulus erlebte starke eschatologische Spannung zwischen zwei Äonen hätte er sich nicht so ausgedrückt. Der neugeborene Mensch steht nach seiner Umkehr in einem Prozess der Veränderung: Er wandelt sich vom Bild des alten Adams in das Bild des neuen Adams, Christus. Außer auf seine eigene Begegnung mit dem Auferstandenen stützt sich Paulus hier auf die Propheten Jesaja und Jeremia, die von dem neuen Bund und dem neuen Herzen prophezeit haben. »Das ðErneuernÐ fasst also in einem einzigen Wort die am glaubenden Menschen (4,13) wirkenden (Heiliger Geist) Vorgänge (umgestalten, verherrlichen) der neuen Realität in Christus (Auferstehung, neuer Äon, Doxa, Leben im Neuen Bund, neue Schöpfung) angesichts des vergehenden Äons (Leiden, Tod, Zerfall) zusammen, wobei auch das Ziel (Bild Gottes, Leben, Herrlichkeit) bereits darin anklingt« (141). An sich ist dies nichts ganz Neues in der Interpretation der paulinischen Texte, aber in den Einzelheiten, wie B. sein Ergebnis begründet und den Vers in seinem Klein- und Großkontext strukturiert, kommt viel Wertvolles und Neues ans Licht. Jeder, der das Kapitel 2Kor 4 auslegen will, hat Nutzen und Freude, wenn er sich mit dieser Auslegung vertraut macht.

Dasselbe inhaltliche Modell, mit dem B. die Intentionen des Paulus in 2Kor 4,16 erklärt, kommt nach ihm in kleinen Variationen auch in den vier anderen Versen zur Erscheinung, in denen der Begriff »Erneuerung« vorkommt. Auch in Röm 12,2 geschieht die Erneuerung am bereits »neuen Menschen«: Die Erneuerung soll das Leben des Christen nach der Bekehrung und Taufe bestimmen. Wenn Paulus schreibt: »Lasst euch umgestalten durch die Erneuerung (im Griechischen Dativus Modi) des Sinnes«, so formuliert er den Gedanken mit Absicht so, dass es einen Unterschied zwischen den Begriffen »Umgestaltung« und »Erneuerung« gibt. Mit dem ersten Begriff wird etwas ausgedrückt, für das der Christ in seinem Lebenswandel selbst verantwortlich ist, während der zweite nur von Gott selbst gewirkt werden kann.

Bei der Behandlung der drei übrigen Verse setzt sich das gleiche genaue grammatikalische und logisch-inhaltliche Nachlesen des Textes wie bei den Versen vom 2. Korintherbrief und Römerbrief fort. Wenn aber B. z. B. voraussetzt, dass der Epheserbrief als echter Paulusbrief vor dem Kolosserbrief geschrieben worden ist und den Text aus diesem Blickwinkel heraus auslegt, führt die Behandlung des Erneuerungsthemas unumgänglich auf Irrwege. Auch auf diesen Seiten des Buches gibt es dennoch einzelne schöne und hilfreiche Perlen der Interpretation. Wenn B. eine Rezeption von älteren, schon mehr oder weniger in der Tradition geprägten Begriffen in diesen Versen ernst genommen hätte, hätte er einsehen müssen, dass der Begriff »Erneuerung« in der Tat in dem nachapostolischen Zeitalter schon etwas anderes bedeutet und in einem etwas anderen theologischen Kontext benutzt wird. Auch z. B. der Ausdruck »Waschung der Wiedergeburt« in Tit 3,5 wird in einem ganz anderem Licht gesehen, wenn er als ein Ausdruck der (späten) nachapostolischen Zeit und unter einer möglichen literarischen Nachwirkung von Eph 5,26 geschrieben worden ist. Die Auslegung, dass es hier um die christliche Wassertaufe geht, bekommt mehr Flankendeckung durch die allein zu verteidigende Annahme von der pseudepigraphischen Natur des Titusbriefes. B. behandelt hier, wie an anderen Stellen auch, diejenigen Auslegungen stiefmütterlich, wo man Hinweise auf die Wassertaufe gesehen hat. Auch angenommen, dass der echte Paulus den Brief an Titus geschrieben hätte, würde ich in diesem Kontext den Vers Tit 3,5, anders als B., mit einem klaren Hinweis auf die Taufe auslegen.

Am Ende des Buches diskutiert B. noch über die Bedeutung seiner exegetischen Forschung für Systematische und Praktische Theologie.