Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1052–1055

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bachmann, Michael [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion.

Verlag:

Hrsg. unter Mitarbeit von J. Woyke. Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XIII, 460 S. m. Abb. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 182. Lw. Euro 99.00. ISBN 3-16-148712-5.

Rezensent:

Walter Klaiber

Die Debatte um die richtige Deutung der paulinischen Rechtfertigungslehre geht weiter. Und das ist gut so. Denn soll ­ wie die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre fordert ­ die Bedeutung der Rechtfertigungsbotschaft für unsere Zeit neu erschlossen werden, ist es wichtig zu erfassen, worin ihr ursprünglicher Skopus lag. Ein Konsens darüber ist freilich nicht in Sicht. Während sich in der angelsächsischen Forschung wieder die Stimmen mehren, die für die »traditionelle« Sicht eintreten, beginnt in Deutschland die »neue Perspektive«, für die J. D. G. Dunn zum »Namenspatron« geworden ist, Freunde zu gewinnen.

Der Diskussion darüber dient der anzuzeigende Sammelband. Die kundige Einführung von Klaus Haacker »Verdienste und Grenzen der ðneuen PerspektiveÐ der Paulus-Auslegung« (1­15) greift ­ ähnlich wie das Vorwort des Herausgebers ­ gleich die Frage auf, die zum eigentlichen Thema des Bandes werden wird: Was versteht Paulus unter erga nomu? Sind die »Werke« Leistungen, die vom Gesetz gefordert sind und erbracht werden, um sich zu rechtfertigen, oder sind es die Vorschriften, deren Befolgung die Zugehörigkeit zum Gottesvolk markiert, also »boundary markers« wie Beschneidung oder Sabbatobservanz? Haacker stimmt Dunn darin zu, dass Paulus inhaltlich von kultischen Handlungen spricht. Was Paulus jedoch zu diesem Thema sagt, ist »grundsätzlicher formuliert« und »bestreitet jede Möglichkeit eines Verdienstes oder ðRuhmestitelÐ bei Gott« (14). Friedrich Wilhelm Horn führt in seinem Beitrag »Juden und Heiden. Aspekte der Verhältnisbestimmung in den paulinischen Briefen« (17­39) ein »Gespräch mit Krister Stendahl«, der als der »Vater« der neuen Paulusauslegung gilt. Horn setzt sich nicht nur mit der These Stendahls auseinander, es sei Paulus bei der Rechtfertigungslehre weniger um die Frage des Heils als um die Bedingungen der Zulassung der Heiden zum Volk Gottes gegangen, sondern auch mit der scharfen Erwiderung E. Käsemanns auf diese These. Seiner Meinung nach ist diese Polemik dem Anliegen Stendahls nicht gerecht geworden, der freilich seinerseits nur ein »partielles Segment der Rechtfertigungslehre« traf (38).

Volker Stolle, der schon in seinem Buch »Luther und Paulus« (2002; vgl. meine Rezension in ThLZ 129 [2004], 44­46) die Differenzen zwischen der paulinischen Rechtfertigungslehre und ihrer Auslegung durch Luther aufgewiesen hat, äußert sich zum Thema: »Nomos zwischen Tora und Lex. Der paulinische Gesetzesbegriff und seine Interpretation durch Luther in der zweiten Disputation gegen die Antinomer vom 12. Januar 1538« (41­67). Er zeigt hier, dass die für Luther grundlegende Unterscheidung von Gesetz und Evangelium sich so bei Paulus nicht findet. Für ihn wird die Tora zur Verheißung, die »die heilsgeschichtliche Unterscheidung zwischen Israel und den Völkern transzendiert« (66). Ob damit auch die Paulusauslegung der »neuen« Perspektive bestätigt ist, lässt Stolle offen.

Den größten Umfang nimmt der Beitrag des Herausgebers Michael Bachmann ein; sein Thema: »Keil oder Mikroskop? Zur jüngeren Diskussion um den Ausdruck ðWerkeÐ des Gesetzes« (69­134). Hier handelt es sich um eine Auseinandersetzung innerhalb der »neuen Perspektive«. Auch B. sieht in den »Werken des Gesetzes« die »boundary markers«, meint aber, dass der Begriff nicht das Handeln nach diesen Vorschriften bezeichne, sondern die Regelungen selbst. Dunn hatte ihm vorgeworfen, er treibe damit einen Keil zwischen die beiden zusammengehörenden Bedeutungen von ma¹asim. B. versucht nun »mikroskopisch« genau ­ und zwar sowohl durch die Untersuchung des sprachlichen Umfelds als auch des paulinischen Gebrauchs ­ nachzuweisen, dass erga nomui

in Romans 3:25c and the Pauline Thought on the Divine Acquittal« auseinander. Allerdings scheint mir gerade das, was er zu öÚÁ· ÓÞÌԘ schreibt, ziemlich widersprüchlich (264 f.). Hubert Frankemölle lässt sich in seinem Aufsatz »Völker-Verheißung (Gen 12­18) und Sinai-Tora im Römerbrief« mit dem bedeutungsvollen Untertitel »Das ðDazwischenÐ (Röm 5,20) als hermeneutischer Parameter für eine lutherische oder nicht lutherische Paulusauslegung« (275­307) nicht einfach auf eine Alternative festlegen, »sondern kommt zu Thesen, die sich weder mit der lutherischen noch mit der neuen Paulus-Auslegung decken« (276). Zu Bachmanns These merkt er an: »Den Aspekt des Handelns zu eliminieren und öÚÁ· ÓÞÌԘ als ðGebote des GesetzesÐ zu interpretieren, konnten die ersten und können heutige Leser vermutlich nicht erschließen« (300).

Mit Simon J. Gathercole, »The Petrine and Pauline Sola Fide in Galatians« (309­327), kommt ein ausgewiesener Kritiker der »Neuen Perspektive« zu Wort (vgl. ThLZ 129 [2004], 634­637). Seine These lautet: Beim antiochenischen »Zwischenfall« zerbricht eine Übereinstimmung, die vorher bestand, aus nicht-theologischen Gründen! Wolfgang Kraus möchte in »Gottes Gerechtigkeit und Gottes Volk. Ökumenisch-ekklesiologische Aspekte der New Perspective on Paul« (329­347) mit Hilfe der »New Perspective« die zentrale Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die Auslegung des Evangeliums bei Paulus und deren ekklesiologische Konsequenzen herausarbeiten. Der Aufsatz von Michael Theobald, »Paulus und Polykarp an die Philipper. Schlaglichter auf die frühe Rezeption des Basissatzes von der Rechtfertigung« (349­388), ist doppelt interessant, da er die in der Diskussion oft vernachlässigte Stelle Phil 3,9 einbezieht und sie als persönliche Umformung des vorpaulinischen »Basissatzes« von Gal 2,16 interpretiert, zugleich aber am Beispiel Polykarps die nachneutestamentliche Entwicklung bedenkt. Theobald versucht, auch Phil 3,3­9 von den Voraussetzungen der »neuen Perspektive« her zu verstehen, was für 3,3­6 einleuchtend ist, aber für 3,9 nicht überzeugt. Denn dass auch die eigene Gerechtigkeit in 3,9 »auf den Versuch der jüdischen Missionare gemünzt ist, den Heiden(christen) das Gesetz als Weg der Eingliederung in das Bundeskollektiv Israel eigenmächtig wieder aufzuoktoyieren« (368 f.), vermag ich nicht zu sehen. Hier geht es doch um das Selbstverständnis des Paulus.

Am Schluss kommentiert James D. G. Dunn unter dem Titel »The Dialogue Progresses« (389­430) die Beiträge des Bandes und wägt sorgfältig Zustimmung, offene Fragen und bleibenden Dissens ab. Sein Gesamteindruck stimmt in vielem mit dem des Rezensenten überein: Die Diskussion ist erfreulich differenziert und fair geworden. Es wird kein scharfes Entweder-Oder zwischen den Perspektiven postuliert, sondern versucht herauszubekommen, wo der eine oder der andere Zugang den Befund am besten erklärt. Es wäre wünschenswert gewesen, zu Beginn die charakteristischen Divergenzpunkte beider Perspektiven zu notieren und noch gezielter Beiträge dazu anzufordern. Der Streit zwischen Bachmann und Dunn um die Bedeutung von erga nomui

Fussnoten:

als Syntagma nur die Bedeutung »Regelungen des Gesetzes« haben kann.

Robert L. Brawleymöchte in seinem Beitrag »Meta-Ehics and the Role of Works of Law in Galatians« (135­159) zwischen beiden Positionen vermitteln. Wenn sein Fazit aber lautet: »If I am correct about the genitives of origin that I have suggested, regulations cannot be divorced from behavior« (158), dann scheint er die Position Dunns zu stützen. Auch Roland Bergmeier< I> widmet seinen Aufsatz »Vom Tun der Tora« (161­181) der Frage, ob »Werke des Gesetzes« »works prescribed« oder »works performed« sind, und findet für den jüdischen Hintergrund des Terminus und einen Teil seiner paulinischen Verwendung die Bedeutung von »Vorschriften des Gesetzes« belegt. Aber »im Übergang von Röm 3 zu 4« verschiebt sich »der Sinn von ergai