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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

429 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Josef

Titel/Untertitel:

Für eine menschliche Moral. Grundfragen der theologischen Ethik. IV: Auf der Suche nach der sittlichen Wahrheit.

Verlag:

Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag; Freiburg-Wien: Herder 1997. 264 S. 8° = Studien zur theologischen Ethik, 74. ISBN 3-7278-1071-8 u. 3-451-26210-X.

Rezensent:

Antonellus Elsässer

Auf den ersten Blick erscheint es gewiß gewagt, von einem mittlerweile 85jährigen Emeritus 17 Beiträge, die dieser aus unterschiedlichen Anlässen und für jeweils wechselnde Adressaten verfaßt sowie an anderer Stelle bereits publiziert hat, der Öffentlichkeit erneut in einem Sammelband zu präsentieren; denn unwillkürlich legt sich der Verdacht einer bloßen Hommage von Seiten seiner Verehrer nahe. Doch diese Sorge erweist sich als völlig unbegründet. Abgesehen davon nämlich, daß der vorliegende vierte Band die 1988 begonnene Reihe "Für eine menschliche Moral" weiterführt, sind alle Artikel in der jüngsten Zeit (1992-97) entstanden und überdies für die Veröffentlichung vom Autor selbst in eine sie verbindende Ordnung gebracht sowie durch kurze Zwischentexte zu einer gewissen Ganzheit zusammengefügt worden. Vor allem aber kreisen sie inhaltlich alle auf ihre je eigene Art um die eine grundlegende Frage: wo und auf welche Weise wir Menschen konkrete Handlungsnormen für die Gestaltung unserer Lebenswelt finden können. Eines nämlich steht für J. Fuchs fest: So selbstverständlich das allgemein anerkannte Prinzip, daß "das Gute zu tun und das Böse zu meiden" ist, auch gilt, so wenig ist damit auch schon ausgemacht, in welcher Art von Entscheidungen und Handlungen das Gute in der jeweiligen Situation verwirklicht werden soll (9). Und die hierfür notwendigen konkreten sittlichen Handlungsanweisungen sind uns weder direkt von Gott geoffenbart noch einfachhin von der Natur vorgegeben, vielmehr müssen wir Menschen und muß jeder Einzelne sie unter den jeweiligen Möglichkeiten aktiv in ethischer Einsicht entdecken, was grundsätzlich nur in pluraler Vielfalt geschehen kann (44-53).

Auch den Christen bleibt, entgegen allen falschen Erwartungen an "Gottes Gebot" (13-23) bzw. das sogenannte "christliche Sittengesetz" (24-33) und nicht zuletzt im Interesse einer Verständigung über gemeinsame Problemlösungen mit Nichtchristen (34-53), diese mühsame Aufgabe nicht erspart (54-72). Zwar sehen sie sich bei deren Erfüllung durch das kirchliche Lehramt hilfreich unterstützt (145-157), doch kann dessen von den Amtsträgern selbst oft als schwere Last empfundene (73-88) und in nicht-geoffenbarten Wahrheiten gar nicht unfehlbar (122-134) oder einheitlich wahrzunehmende (135-144) "Wächterfunktion" wiederum zu neuen Problemen führen. Deshalb bleiben auch die Christen, trotz aller Möglichkeit eigenen Versagens in der Sünde (91-121), letztlich doch verwiesen auf den im Gewissen (158-192) vernommenen ethischen Anruf (184-192), die Epikie bzw. den praktizierten Vorbehalt (193-204) und das "zweifelnd Glauben" in der Gemeinschaft der Kirche (205-213).

Auf diese spannungsreiche "Suche nach der sittlichen Wahrheit" also, zu der nicht nur allgemeine und darum mitteilbare Normen, sondern auch die je eigenen und ausschließlich die handelnden Personen betreffenden Anforderungen gehören, nimmt J. Fuchs den vermutlich ohnehin zur "sittlichen Selbststeuerung" tendierenden Leser (65-72) mit. Aus immer neuer Perspektive sucht er ihm schrittweise ein Verständnis zu vermitteln "für eine menschliche Moral" im eigentlichen Sinn. Denn nur, was als Anspruch nicht von außen aufoktroyiert, sondern vom Menschen selbst mit Hilfe seiner vom Glauben erleuchteten Vernunft aus der Schöpfungs- und Erlösungs- wie auch der je eigenen persönlichen Wirklichkeit begriffen wird, ist eine zutiefst menschlich humane Moral aus christlichem Verständnis; nur eine solche Moral wird auch den Menschen nicht unzutreffend ein- oder gar überfordern, sondern ihn dazu motivieren, in seiner vor Gott zu verantwortenden Freiheit immer mehr er selbst zu werden in seiner Welt. Und da J. Fuchs als anschauliche Beispiele für seine Fragestellungen und Antwortversuche nicht nur allgemeine Grundsatzprobleme wie das Verhältnis zwischen Weltethos-Glaubensethos, Grundhaltung-Einzelhandlung, Humanum-Christianum, Uniformität-Pluriformität oder Lehramt-Norm-Gewissen, sondern auch ganz praktische Lebensprobleme wie Sexualität und Ehe, Empfängnisregelung und Abtreibung, ärztliches Ethos oder künstliche Ernährung definitiv im Koma liegender Patienten wählt, fühlt sich der Leser seinerseits auch mit seinen eigenen Schwierigkeiten und Zweifeln ernstgenommen und verstanden. Darüber hinaus bietet ihm die angefügte Bibliographie (219-264) einen umfassenden Überblick über das langjährige (1940-1996) und reichhaltige Schaffen (402 Titel) von J. Fuchs wie auch eine wertvolle Fundgrube mit weiterführender Literatur für das eigene Studium.