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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1039–1041

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Heffernan, Thomas, and Thomas E. Burman [Eds.]:

Titel/Untertitel:

Scripture and Pluralism. Reading the Bible in the Religiously Plural Worlds of the Middle Ages and Renaissance.

Verlag:

Papers Presented at the First Annual Symposium of the Marco Institute for Medieval and Renaissance Studies at the University of Tennessee, Knoxville, February 21­22, 2002. Leiden-Boston: Brill 2005. VII, 246 S. gr.8° = Studies in the History of Christian Traditions, 123. Geb. Euro 114,00. ISBN 90-04-14415-3.

Rezensent:

Volker Leppin

Der Band vereinigt die Beiträge eines 2002 an der University of Tennessee gehaltenen Kongresses, die durch den Bezug auf Bibellektüre im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit im Kontakt mit Judentum und Islam zusammengehalten werden.

Allerdings überrascht es, dass ein solcher Band durch den Beitrag eines der Herausgeber (Heffernan) zum Gebrauch des Namens Christi beziehungsweise der Selbstidentifikation als Christ oder Christin in Märtyrerakten eröffnet wird (11­28) ­ weder zeitlich noch inhaltlich drängt sich, trotz der Einordnungsversuche durch den anderen Herausgeber in der Einleitung (3 f.), der Bezug auf das Thema des Bandes auf.

Sidney H. Griffith verweist in seinem Beitrag auf die hochinteressanten Argumentationslinien muslimischer Gelehrter, die die religiöse Stellung Mohammeds mit den Weissagungen des Neuen Testaments, insbesondere den Parakletweissagungen begründeten, worauf christliche Autoren entsprechend antworteten (29­58). Noch enger sind natürlich jüdische und christliche Exegeten aufeinander bezogen. Dies wird an der Nachzeichnung ihrer Kontakte in der Exegese des 12. Jh.s, d. h. vor allem an der Reaktion der Exegese der Viktorinerschule auf jüdische Exegese deutlich: Frans van Liere vermag zu zeigen, wie Andreas von St. Viktor die traditionelle Orientierung an Hieronymus bei der Erhebung des Wortsinns durch Aufnahme jüdischer Exegese ausweitet (59­75). Dass der auch von Hugo von St. Viktor als hermeneutisches Steuerungsinstrument favorisierte Literalsinn in christlicher Exegese anders eingeordnet wird als in jüdischer, macht Michael A. Signer anhand der Auslegung der Propheten deutlich (77­93): Während für die christliche Exegese ein Stufenmodell wirksam ist, das den Wortsinn als notwendige Basis beschreibt, auf der aber ebenso notwendig aufzubauen ist, gewinnt die historisch-grammatische Auslegungsmethode des »Peshat«, wie sie etwa Raschi vertrat, eine gewisse Eigenständigkeit, deren Funktion in der Abgrenzung von christologischer Exegese nicht aufgeht, sondern auch im Trost angesichts der Geschichte Gottes mit dem Volk Israel liegt. Die Perspektive auf die Viktoriner wird noch erweitert durch den Beitrag von Constant Mews (95­122), der zeigt, mit welcher Bereitwilligkeit Hugo von St. Viktor auch pagane Philosophie aufnahm, um die Natur als auf Gott ausgerichtetes Zeichensystem verstehbar zu machen ­ eingängig illustriert Mews hieran auch das Gegenüber einer stärker platonischen Verankerung der Viktoriner mit der aristotelischen Prägung Abaelards, was einmal mehr die Komplexität der philosophisch-theologischen Debattenlage im Jahrhundert vor dem Aufkommen der Universitäten deutlich macht. In einem erstaunlich weiten Bogen konfrontiert Mews dann die Theologie Hugos mit modernem Fundamentalismus (122). Offenbar ist die Debatte um Fundamentalismus im Kontext der Tagung sehr präsent gewesen, denn Lesley Smith (123­142) identifiziert Wilhelm von Auvergne (Ý 1249) »and his fellow theologians as religious fundamentalists, in the strict meaning of the word« (142). Gemeint ist mit dem Verweis auf ein »strict meaning«, dass Wilhelm insbesondere in seiner verständnisvollen, teilweise sympathisierenden Auseinandersetzung mit dem jüdischen Gesetz jüdische Tradition von einem ursprünglichen, freilich zeitlich begrenzten Gotteswillen unterscheidet; die Auseinandersetzung mit Mohammed, die Smith gleichfalls darstellt, ist demgegenüber auffällig schärfer.

Die folgenden Beiträge springen in Spätmittelalter und Frühe Neuzeit: Anne Maria Wolf stellt den Umgang des Johannes von Segovia (Ý 1458) mit der Bibel im 15. Jh. im Kontext des Konziliarismus dar: Die Auslegungsgewalt über die Bibel, die er im Konsens mit den meisten Theologen und Kanonisten seiner Zeit der Kirche zumisst, wird hiernach, kaum überraschend, durch das Konzil ausgeübt (146). Auffällig ist, dass Johannes auch nach dem Fall von Konstantinopel noch daran festhielt, dass den Muslimen friedlich-missionarisch begegnet werden müsse (152). In einer wichtigen Studie bestätigt Andrew Gow vor allem in Anknüpfung an Forschungen der Oberman-Schulen dies- und jenseits des Atlantiks, dass es eine intensive Bibellektüre durch Laien im 15. Jh. gab, ohne die ein Verständnis der Reformation kaum möglich ist (161­191). Seine Belege und Einsichten sind für die weitere Diskussion von großer Bedeutung und dürften deutlich machen, wie dicht das Auftreten Luthers gerade auch als Übersetzer in die Analogien spätmittelalterlicher Frömmigkeit einzuordnen ist: »in the later fifteenth and early sixteenth centuries, Biblical material was widespread, popular and well-known among literate townspeople, clerics and nobles alike, especially in the Empire« (180). E. Ann Matter stellt den interessanten Fall der dominikanischen Terziarin Lucia Brocadelli vor, die um 1500 als Visionärin Furore machte, aber nach dem Tod ihres Förderers Ercole I. d¹Este von Ferrara ins Abseits und unter kirchliche Kontrolle geriet (193­207). Matter zeigt an den wenigen Verweisstellen auf die Bibel in Lucias Offenbarungsbuch im Vergleich mit Savonarola auf, wie hier die Heilige Schrift zunehmend in eine Art von dicta-probantia-Rolle für trinitäts- und inkarnationstheologische Positionen hineinkommt, endet aber vor allem mit Verweisen darauf, dass der konkrete Benutzungszusammenhang der Bibel bei Lucia noch wenig erschlossen ist. Der Band schließt mit einem Beitrag Bernard McGinns, der als einer der herausragenden Vertreter theologisch inspirierter Kirchengeschichtsforschung in den USA seine reichen Forschungen zur Geschichte der Apokalyptik auf das Thema der Tagung anwendet, indem er einen Überblick über den Zusammenhang von Apokalyptik und Gewalt und den damit jeweils verbundenen Bibelgebrauch von der Antike bis ins Zeitalter des englischen Bürgerkrieges bietet (209­229).

Dies ist ein glänzender Abschluss für einen Band, der nicht eine bestimmte These verfechten, sondern interessante Einzelheiten vorstellen und zur weiteren Forschung anregen will. Dieses Anliegen ist bestens erfüllt.