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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1032–1034

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schreijäck, Thomas [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Religionsdialog im Kulturwandel. Interkulturelle und interreligiöse Kommunikations- und Handlungskompetenzen auf dem Weg der Weltgesellschaft.

Verlag:

Hrsg. unter Mitarb. v. B.-I. Hämel. Münster-New York-München-Berlin: Waxmann 2003. 324 S. gr.8°. Kart. Euro 25,90. ISBN 3-8309-1208-0.

Rezensent:

Hermann-Josef Scheidgen

Fast auf die Stunde genau einen Monat nach dem Anschlag auf die Twin Towers von Manhattan begann an der Universität Frankfurt a. M. das im Rahmen des Projektes »Theologie interkulturell« ausgerichtete Symposium »Religionsdialog im Kulturwandel«. Dass die Ereignisse in den Vereinigten Staaten nicht spurlos an Wissenschaftlern, die sich mit interkulturellen und interreligiösen Fragestellungen beschäftigen, vorbeigehen können, wird im Vorwort des Kongressleiters deutlich. Thomas Schreijäck rekurriert dabei auf die Dankesrede von Jürgen Habermas anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vom 14. Oktober 2001. Für die Attentäter sei das World Trade Center ein Wahrzeichen der globalisierten Moderne gewesen.

Die Tagungsbeiträge verbinden sozialwissenschaftliche Analysen mit unterschiedlichsten theologischen Positionen. Micha Brumlik setzt sich zum Ziel, die anthropologischen Wurzeln der Multireligiosität der Weltgesellschaft herauszuarbeiten. Er weist dabei Freuds These vom Triebverzicht als Ursache aller Kultur zurück. Die angstfreie Dezentralisierung des eigenen Weltverhältnisses sieht er als Voraussetzung für die Beteiligung am Dialog der Religionen an.

Mit der Bedeutung religiöser Traditionen in Migrationsprozessen befasst sich Ursula Apitzsch. In Deutschland müssten die Migranten z. B. lernen, dass Staat und Kirche in vielfältiger Weise Verbindungen zueinander hätten. Die christlichen Konfessionen seien hier gegenüber anderen Religionen durch Staatsverträge und Konkordate privilegiert.

Mit dem Thema Christinnen und Christen aus der Sicht der Frauen will Katja Heidemanns von einer feministischen Position auf die Voraussetzungen interkultureller Kompetenz hinweisen. Feministische Theologinnen hätten schon immer auf Grund ihrer spezifischen Lebenserfahrung einen exklusiven erkenntnistheoretischen Standpunkt vertreten. Als Paradigma für einen über kulturelle Grenzen hinweg geführten Dialog verweist sie auf die Begegnung von Rut und Noomi im Alten Testament.

Für Angelika Hartmann ist ein plurales Islamverständnis eine Herausforderung für den kulturellen und religiösen Dialog. Die Aufsprengung der Geschlossenheit des islamischen Denkens könne nur durch die Anerkennung der Geschichtlichkeit der heiligen Schriften und durch philologische Kritik erfolgen. Besonders herausgestellt werde dieser Ansatz durch den Algerier Mohammed Arkoun, der an der Sorbonne lehrt.

Yossef Schwarz stellt Franz Rosenzweigs »Stern der Erlösung« als ein theologisches Buch der Moderne dar, da es einen religiösen Pluralismus ermögliche. Für Rosenzweig hätten sich die Juden, die die deutsche Aufklärung adaptieren wollten, ähnlich wie die Katholiken in einem Kulturkampf mit dem dominanten protestantischen Ethos befunden.

Mit dem Christwerden durch Kulturwandel bzw. Christsein im Kulturwandel setzt sich Robert Schreiter auseinander. Den größten Zuwachs an Gläubigen hätten die evangelikalen Glaubensgemeinschaften zu verzeichnen. Dies treffe insbesondere auf Südamerika und Westafrika zu. Ein besonderes Phänomen seien die »Kulturchristen« in China, die die Lehre des Christentums sehr gut kennen würden, ohne sich jedoch taufen zu lassen.

Den Beitrag des Christentums für die gesellschaftliche, kulturelle und politische Entwicklung Russlands legt Vladimir Fedorow dar. Kaum zustimmen kann man seiner These, dass die kommunistische Weltanschauung sich 1917 durchgesetzt habe, weil das Christentum zuvor nicht stark genug ausgeprägt gewesen sei. Mit der Abschaffung der staatlichen Kontrolle von Taufen seit der Perestroika habe das Christentum in Russland deutlich an Einfluss gewonnen.

Etwas stutzig macht den Leser der Beitrag von Jan Sokol über die Bedingungen der Möglichkeit von Religionsunterricht in Tschechien, da der Vf. ausdrücklich betont, er sei für diese Fragestellung kein Experte. Die ca. 20 vom Staat registrierten Religionsgemeinschaften hätten an allen Schulformen das Recht, Religionsunterricht anzubieten. Der Vf. fordert vehement, dass es den Christen in Tschechien ermöglicht werden müsse, ein höheres Maß an Bildung zu erlangen.

Mit den Hindernissen und Chancen der Kirche im gesellschaftlichen Umbruch und Aufbau Bosniens und Herzegowinas beschäftigt sich Pero Sudar. Bosnien, so der Vf., könne für Europa ein Modellland sein, was das Zusammensein verschiedener Völker und Kulturen betreffe. Dies gelte insbesondere für die Ökumene der christlichen Kirchen und den christlich-islamischen Dialog.

Die christliche Erziehung und Bildung im gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Kontext Ungarns untersucht Miklós Tomka. Er erbringt den Nachweis, dass ­ abgesehen von Polen­ die »gläubige Intelligenz« in (Süd-)Osteuropa eine Minderheit darstellt. In Ungarn gäben über 60 % der jüngeren Erwachsenen unter 30 Jahren an, keine religiöse Erziehung erhalten zu haben.

Maria Ko Ha Fong stellt die Frage, was Christsein in China am Beginn des 21. Jh.s bedeutet. Das Christentum habe sich im Gegensatz zum Buddhismus nicht in die chinesische Kultur integrieren lassen. Wenn das Christentum in China als Weisheitslehre aufträte, darüber hinaus auch noch seine Kreativität herausstellte und die »unendliche Schönheit« Gottes zum Ausdruck brächte, wären hierfür bessere Bedingungen gegeben.Mit »Christen inmitten anderer Gemeinschaften« überschreibt Felix Wilfred seine Untersuchung über die Christen im gegenwärtigen Indien. Es sei das Verdienst der christlichen Missionare gewesen, auf die bestehenden Unterschiede zwischen den verschiedenen ethnischen, sprachlichen und religiösen Gruppen hinzuweisen. Christsein in Indien heiße immer, sich in einem dialektischen Verhältnis zwischen Integration und Verteidigung des Christentums zu befinden.

Mit der Überschrift »Konversionen« versieht Theodor Ahrens seine Untersuchung über Christsein bzw. Christwerden in den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüchen im pazifischen Raum. Der Pazifik sei im Laufe einiger Jahre infolge einer modernen Missionsbewegung zu einem »christianisierten Großraum« geworden. Konversionen seien hier häufig auch auf Grund von gesellschaftlichen Verwerfungen, denen die Einwohner ausgesetzt seien, erfolgt.

Mit dem Christwerden in Kamerun zwischen afrikanischer Tradition und gesellschaftlichem Umbruch beschäftigt sich Nazaire Bitoto Abeng. Wenn man Christwerden als einen fortdauernden Prozess ansehe, der erst mit dem Tode des Menschen ende, so sei eine »Bekehrung« der falsche Weg zum Christentum. Kritisch sieht der Vf. insbesondere die Praxis der französischen Missionare, die die »schwarze Identität« vernichtet habe.

Mit der Sprache und Erfahrung der Guarani als Beitrag zur Globalisierungsdebatte setzt sich Graciela Chamorro auseinander. Die Taufe sei der am weitesten verbreitete christliche Ritus in der Geschichte der Guarani gewesen, da sie äußerlich große Ähnlichkeiten mit der von ihnen praktizierten Form der Namensgebung aufweise. Christsein habe für die Guarani in der Kolonialzeit jedoch bedeutet, nicht mehr Indianer zu sein.

Luis Zambrano thematisiert die Herausforderungen für die Weltkirche aus der Perspektive andiner Kulturen in einer globalisierten Welt. Mit dem Historiker José Vega teilt der Vf. die Auffassung, dass die andinen Kulturen eine Aufwertung erfahren müssen. Ausdrücklich stellt er sich hinter die Forderung Papst Johannes Pauls II., dass die heutige Globalisierung keine zweite Kolonialisierung werden dürfe.

Schreijäck und Hämel verzichten in ihrem abschließenden Beitrag bewusst auf eine Zusammenfassung der einzelnen Vorträge, die so heterogen, aber auch so facettenreich sind, dass es nicht legitim ist, künstlich einen gemeinsamen Nenner der Ergebnisse herauszustellen. Sie sehen ihren Sammelband als einen Baustein im Rahmen eines größeren, interkontinental und interdisziplinär angelegten Forschungsprojektes zum religiösen Lernen, Kommunizieren und Handeln im Kulturwandel. Damit greifen sie eine der wichtigsten theologischen Themenstellungen des neuen Jahrhunderts auf. Die religionspädagogische und praktisch-theologische Bildungsaufgabe angesichts der Begegnung der Kulturen bedürfe, so die Herausgeber, insbesondere der Ausbildung habitueller Kompetenz im Modus der Agape.