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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1029–1032

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Repp, Martin:

Titel/Untertitel:

Honens religiöses Denken. Eine Untersuchung zu Strukturen religiöser Erneuerung.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2005. XII, 592 S. gr.8°. Geb. Euro 68,00. ISBN 3-447-05017-9.

Rezensent:

Manfred Hutter

Die Arbeit ist als Habilitationsschrift für das Fach Religionswissenschaft und Missionswissenschaft an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg entstanden. Für das religiöse Denken H¯onens (1133­1212) stellt der Vf. die Untersuchung seines Hauptwerkes Senchaku-su in den Mittelpunkt. Der Vf. analysiert ausführlich die 16 Kapitel des Werkes (313­372) und erschließt es durch einen äußerst detailreichen Kommentar (373­490), der nicht nur das Gesamtwerk H¯onens, sondern auch die Auslegungs- und Wirkungsgeschichte berücksichtigt. Dadurch erreicht der Vf. sein eingangs genanntes Ziel (2), das religiöse Denken H¯onens als einen Kreuzungspunkt von diachroner Analyse der Entwicklung des Reinen-Land-Buddhismus, der Zeitgeschichte und der Wirkungsgeschichte H¯onens zu erarbeiten. Das Thema ist auch für Theologen von Interesse, da besonders in Deutschland häufig in Bezug auf H¯onen (und seinen Schüler Shinran) von einer »Reformation« innerhalb des japanischen Buddhismus gesprochen wird (vgl. 220), so dass immer wieder H¯onen (und/bzw. Shinran) mit Luther verglichen werden.

Zunächst bietet der Vf. eine äußerst gelungene Einführung in die Tradition des Reinen-Land-Buddhismus vor H¯onen (9­218). Zu Recht werden zentrale Gestalten der chinesischen Geschichte des Buddhismus genannt: Tanluan (488­554) als erster Systematiker des Reinen Landes in China, der das Modell der Unterscheidung zwischen der eigenen Kraft und der Buddha-Kraft innerhalb der Reinen-Land-Tradition eingeführt hat. Dadurch wird Tanluan nicht nur für die Sinisierung des Reinen-Land-Buddhismus wichtig, sondern er legt auch die Basis für die spätere Japanisierung dieser Buddhismusrichtung (vgl. 57­64). Ebenfalls Erwähnung verdient Zhiyi (538­597), der durch die Systematisierung der Meditationspraxis zur Entwicklung des Reinen-Land-Buddhismus beigetragen hat (vgl. 71­77). Shandao (613­681) ist wegen seines Kommentars zum Kontemplationssutra (Guan wuliangshou-fo jing-shu) wichtig, weil dieses für jene Traditionslinie des chinesischen Reinen-Land-Buddhismus repräsentativ ist, die später in Japan als »orthodox« gegolten hat (vgl. 89­132). Man kann dem Vf. zustimmen, wenn er sagt, dass der chinesische Reine-Land-Buddhismus bildlich in seiner Vielfalt sich wie ein Flussdelta mit verschiedenen Verzweigungen eines Traditionsstromes darstellt, an die sich die japanischen Traditionen anschließen (141). Diese Traditionen stellt der Vf. im Folgenden dar, wobei auf Korea ­ abgesehen von einem kurzen Hinweis, dass auch der koreanische Reine-Land-Buddhismus entsprechend berücksichtigt werden müsste­ in dieser Geschichte des Reinen-Land-Buddhismus nicht weiter eingegangen wird. Dieses Manko ist ­ auch wenn vom Umfang der Arbeit her verständlich ­ m. E. ein Schwachpunkt in diesem weit ausholenden Teil über den Reinen-Land-Buddhismus, der aber zugleich der Tendenz entspricht, dass der koreanische Buddhismus meist im Hintergrund bleibt.

In Hinblick auf H¯onen ist innerhalb der japanischen Reinen-Land-Tradition zu erwähnen, dass seit der frühen Heian-Zeit durch Saicho (767­822) und Ennin (794­864) Reine-Land-Traditionen gemeinsam mit dem Tendai-Buddhismus vorhanden sind und die Verehrung von Amida im Zusammenhang mit Totenriten und Totenfeiern steht. Dadurch öffnen sich die Reinen-Land-Traditionen auch für die künstlerische Gestaltung, indem textliche und bildliche Darstellungen entstehen, die zeigen, wie Amida den Toten in der Todesstunde ins Reine Land geleitet; architektonisch findet diese Entwicklung durch die Errichtung von Amida-Hallen und Amida-Statuen einen sichtbaren Ausdruck (vgl. 174­181). Gegen Ende der Heianzeit fasst der Tendai-Mönch Genshin (942­1017) die Reine-Land-Tradition in seinem Werk ¯Oj¯oy¯o-sh¯u systematisch und repräsentativ für die spätere Zeit zusammen, worauf auch H¯onen zurückgreift.

H¯onens Leben und Wirken fällt in die Umbruchzeit zwischen der Heian- und der Kamakura-Zeit, was in Kapitel 3 dargestellt wird (219­296). Diesen Umbruch ­ und damit auch die Rolle und Einschätzung H¯onens durch seine Zeitgenossen ­ skizziert der Vf. anhand des Dichters und Einsiedlers Kamo no Ch¯omei (1155­1216) und des Tendai-Mönches Jien (1155­1225). Letzterer skizziert drei zeitgenössische Missstände ­ das Fehlen fähiger Mönche; zu viele ehemalige (abgesetzte) Äbte; zu viele Söhne von Adeligen, die in der Klosterhierarchie ohne Qualitäten Karriere machen ­, die seiner Ansicht nach H¯onens Erfolg bei unfähigen Mönchen ermöglichen. Zugleich kritisiert Jien an H¯onen, dass er seine Lehre als einzigen Weg zum Heil ansieht und dass seine Schüler libertinistisch seien (vgl. 239­259). In diesen zeitlichen Kontext bettet der Vf. seine Darstellung von H¯onens Leben ein, wobei die wichtigsten Einschnitte in seinem Leben (vgl. die Tabelle, 271) jeweils mit geographischen Veränderungen verbunden waren. Insgesamt zeigt sich dabei, dass H¯onen zu seinen Lebzeiten ein sehr umstrittener Vertreter des japanischen Buddhismus war, wobei vor allem seine ausschließliche Betonung des Nembutsu in Praxis und Lehre zu einer spannungsgeladenen Polarisierung innerhalb der Tendai- und Reinen-Land-Tradition geführt hat (295). Damit ist der Vf. ­ nach der Hälfte seines Buches ­ an jenem Punkt angelangt, der ihm erlaubt, H¯onens religiöses Denken zu analysieren. Neben dem Senchaku-sh¯u, wie oben schon kurz erwähnt wurde, spielt besonders in der Frühzeit für das Denken H¯onens auch das Oj¯oy¯o-sh¯u eine wichtige Rolle, mit dem er sich in vier eigenen (kleineren) Schriften auseinandersetzt (vgl. 297­312). Aus der sorgfältigen Analyse dieser Werke H¯onens kommt der Vf. zu folgenden Ergebnissen (vgl. 490­495): Die zentrale Frage im ¯Oj¯oy¯o-sh¯u kreist um die Vergewisserung der Hingeburt im Reinen Land, die einen sicheren Weg aus dem Leiden ermöglicht. Die ausführliche Begründung für diese Frage liefert H¯onen im Senchaku-sh¯u in drei Schritten: Es geht a) um die Suche nach Befreiung vom Leiden, welche b) wegen der beständigen Rezitation des Nembutsu durch die Hingeburt im Reinen Land möglich ist, weil c) die Nembutsu-Praxis im 18. Urgelübde des Amida als der exklusive Weg zur Hingeburt auserwählt wurde. Die Akzentsetzung auf diese »Wahl«, die eine ausschließliche Praxis begründet, ist dabei nach Sicht des Vf.s der entscheidende Schritt nicht nur H¯onens, sondern damit hebt sich der Vf. auch klar von bisherigen Studien zu H¯onen ab, die sich ausschließlich auf die Praxis des Nembutsu, jedoch nicht auf die letzte Begründung dieser Praxis konzentriert haben. An dieser exklusiven Wahl der Rezitation des Nembutsu als einzigem Weg aus dem Leiden hat sich daher auch die Kritik von H¯onens Zeitgenossen an seinem Verständnis des Reinen-Land-Buddhismus entzündet.

Das letzte Kapitel (520­540) wirft einen vergleichenden Blick auf H¯onen und Luther, wobei der Vf. darauf verweist, dass bereits im 16. Jh. erstmals Jesuiten auf Ähnlichkeiten zwischen beiden Personen hingewiesen haben. Der Fokussierungspunkt für einen Vergleich liegt auf Analogien zwischen H¯onen und Luther, die in der Struktur der »religiösen Erneuerung« liegen; für H¯onen zeigt sich dies strukturell wie folgt (527): »Der Entwurf H¯onens schließlich unterscheidet sich von Š system-bewahrenden Formen dadurch grundlegend, dass er sowohl eine neue Lehre als auch eine neue Form von Praxis als einzig gangbaren religiösen Weg einführte und vom System der etablierten Religion dezidiert absetzte. Genauer gesagt, auch wenn H¯onen zahlreiche Elemente seiner Lehre und Praxis aus der bereits lange bestehenden Tradition seiner ðMutterreligionÐ schöpfte, schuf er doch ein völlig neuartiges System, das sich von demjenigen der etablierten buddhistischen Schulen seiner Zeit nicht nur fundamental unterschied, sondern es an der Basis bereits infrage stellte. Š Was hier von H¯onen gesagt wird, gilt in analoger Weise auch von Luther. Mit seiner Lehre von der Rechtfertigung ðallein durch GlaubenÐ stellte er das zeitgenössische System von Lehre und Praxis der katholischen Kirche grundsätzlich infrage. Š Aufgrund solcher strukturellen Ähnlichkeiten ist m. E. ein Vergleich zwischen H¯onen und Luther in dem Punkt einer system-sprengenden religiösen Erneuerung möglich.«

Ich fasse zusammen: Diese religionswissenschaftliche Studie zu H¯onen darf für die Zukunft zweifellos als ein Standardwerk für die weitere Beschäftigung mit dem Reinen-Land-Buddhismus in Japan gelten, wobei zu wünschen ist, dass sie auch außerhalb der deutschsprachigen Religionswissenschaft und Buddhismusforschung ausgiebig rezipiert wird, vor allem hinsichtlich Kapitel 4 als forschungsgeschichtlichem Neuland. Gleichzeitig ist vor allem Kapitel 2 eine exzellente Einführung in den Reinen-Land-Buddhismus vor H¯onen, die auch für sich genommen den nicht auf den ostasiatischen Buddhismus spezialisierten Religionswissenschaftler mit diesem Teil des Buddhismus vertraut macht. Da der Reine-Land-Buddhismus auch im Bereich des Dialogs zwischen Christentum und Buddhismus eine wichtige Rolle spielt, sollte dieses Buch von christlich-theologischen Akteuren an diesem Dialog nicht übersehen werden, da gerade das kurze letzte Kapitel klar macht, unter welchen Bedingungen man von Ähnlichkeiten und für einen Dialog fruchtbaren Anknüpfungsmöglichkeiten zwischen H¯onen und Luther sprechen kann.