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Ausgabe:

Oktober/2006

Spalte:

1021–1023

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Barth, Hermann:]

Titel/Untertitel:

Von der Anmut des Anstandes. Das Buch Jesus Sirach.

Verlag:

Hermann Barth zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Th. Gundlach u. Ch. Markschies. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005. 168 S. gr.8°. Kart. Euro 24,00. ISBN 3-374-02336-3.

Rezensent:

Otto Kaiser

Der von Thies Gundlach und Christoph Marschies herausgegebene und dem Präsidenten des Kirchenamtes der EKD Hermann Barth gewidmete Band befasst sich in engerer oder weiterer Tuchfühlung mit dem Weisheitsbuch des Jesus Sirach erfreulicherweise mit dem nicht nur in der Kirche seit fast einem halben Jahrhundert nicht gerade im Mittelpunkt stehenden Thema der »Anmut des Anstandes« als der Einheit von Sinnlichkeit und Sittlichkeit. Der Exeget, der sich seit sechs Jahrzehnten um den Siraziden bemüht hat und die Selbstverständlichkeit von Sitte und Anstand und damit die Alltagsvernunft mit Udo di Fabrio für die unaufgebbare Voraussetzung sozialen Lebens hält (vgl. U. di Fabrio, Die Kultur der Freiheit, München 2005, 74­79), nimmt erfreut zur Kenntnis, dass sich ein Kreis von so kompetenten Gelehrten und Kirchenleuten durch das Sirach-Buch anregen ließ, diesen Sachverhalt zu thematisieren.

Die beiden Herausgeber leiten in ihrem »Vorwort« klug und kenntnisreich in das Thema als solches ein (7­11). Volker Gerhardt liefert den Lesern in seinem Beitrag »Weisheit in der Zeiten der Moderne« das gute Gewissen, sich als »moderne Menschen« auf die Grundfragen menschlicher Ethik einzulassen, die bei dem jüdischen Weisen auf den beiden Pfeilern seiner Lebenserfahrung und Gottesfurcht ruht (17­26). Thies Gundlach liefert in der Form einer science fiction unter dem Titel »Der Jesus-Sirach-Code oder Die Schwesternschaft der Sirachen« eine humoristische Erklärung für die mangelhafte Textüberlieferung, die zu zerstören sich ein überzeitlicher Frauenverein wegen der Kränkung weiblichen Selbstbewusstseins und guten Rufes durch Sir 25,15­26 zum Ziel gesetzt habe (27­36). Auf Scherz und Satire folgt dann der Ernst aus der Feder des Ratsvorsitzenden der EKD Wolfgang Huber (»Anmut als Glaubenszeugnis«), dem der Zusammenhang zwischen der Form- und der Glaubenssprache bei Jesus Sirach berechtigten Anlass zu der Aufforderung gibt, weise mit dem Ritus umzugehen und so die Balance zwischen Haltung und Form, Glaube und Ritus zu finden (37­47). Walter Hüffmeier trägt unter der Überschrift »Vom Anstand Gottes« eine Weihnachtspredigt über 2Kor 8,9 bei, in der er versucht, die Botschaft von der Menschwerdung Gottes von ihren gelebten Konsequenzen her verständlich zu machen (48­51). Predigten und Meditationen über einen Sirachtext bieten Margot Käßmann (»Richte dich nicht nach jedem Wind« Sir 5,11; 67­71); Robert Leicht (»Aus dem Buch des Freundes« Sir 6,7; 78­84); Hartmut Löwe (»Ich will tun, was mir geboten ist, solange ich noch Zeit habe« Sir 51,38; 85­89) und Jürgen Werbeck (»Was Anmut und Anstand verdirbt« Zu Sir 27,30­28,12; 163­168). Eberhard Jüngel (»Wasser statt Wein?«) irritiert den Exegeten, weil der Syrer anders, als Jüngel es darstellt, den Wein nicht einfach dem Wasser gleichsetzt, sondern dem Lebenswasser und damit den Sinn des griechischen und hebräischen Textes trifft (52­53).

»Die systematischen Assoziationen zur Bildung frommer Lebensführung« von Trutz Rendtorff erinnern daran, dass ein nicht lediglich wissenschaftlicher Umgang mit dem Sirachbuch einer Kultur der Achtsamkeit dienen könnte (104­114). So unterwirft denn auch der Jurist Valentin Schmidt den Weisen (und seinen alsbaldigen und späteren Zunftgenossen) anhand von Sir 38,34­39,11 einem munteren Verhör (»Von der Anmut des Schriftgelehrten«; 128­136). Eckart von Vietinghoff (»Ein Jurist liest Jesus Sirach«) bietet eine kritische Übersicht über die bei Sirach vorkommenden Rechtsfälle und betont das sich in ihrer Behandlung zeigende Gefühl der Unsicherheit. Erweist der gegenwärtige institutionalisierte Rechtsstaat auf diesem Hintergrund seinen Vorteil, so bleibt dem Siraziden doch das Verdienst, klarer als die Präambel des Grundgesetzes zu wissen, dass Gott und Menschen nicht auf derselben Ebene stehen (148­153). Hans Langendörfer überprüft als Katholik den praktischen Wert der Sentenz Sir 11,10 »Läufst du zu rasch, erreichst du das Ziel nicht« für die Kirchenleitung und gibt damit ein schönes Beispiel für die überzeitliche Gültigkeit, die gewiss nicht allen, aber doch sehr vielen Worten des Siraziden innewohnt (72­78). Über die Wirkungsgeschichte des Buches handeln Christoph Markschies (»Wie in der Antike Jesus Sirach mit Anstand gepredigt wurde: Augustinus von Hippo Sermones 38,39 und 41«; 90­103) und Jan Rohls (»Die Schule der Ma-nieren. Das Sirachbuch und die protestantische Anstandsliteratur«; 115­127). Dabei bescheinigt Markschies dem Vater des Abendlands wohl begründet homiletischen Anstand, während Rohls ins Gedächtnis ruft, dass das Sirachbuch im 16. und 17. Jh. wegen seines hohen Lehrwertes für die Lebensführung einen festen Platz im Protestantismus und zumal seinen Anstandsbüchern besessen hat und seine einschlägigen Nachwirkungen bis in das 19. Jh. reichen. Hermann Spieckermann rückt unter dem Thema »Gott und das Ganze« oder »Schöpfung vor und bei Jesus Sirach« zumal die Beziehungen Kohelets und Ben Siras zum philosophischen Schöpfungsgedanken der Griechen in das Blickfeld (137­147). Schließlich nimmt sich der Systematiker Michael Welker des zentralen theologischen Themas des Buches an, indem er von der »Gottesfurcht als Grundlage der Lebensorientierung bei Jesus Sirach« handelt (154­162).

Der Rezensent könnte als Exeget das eine oder andere ergänzend oder nachfragend bemerken, aber er möchte die festliche und lockere Stimmung nicht stören. Er merkt abschließend lediglich kritisch an, dass ein Verfasserverzeichnis den Lesern die Identifikation der Autoren erleichtert hätte. Die Herausgeber haben diesen bunten Strauß zusammengebunden, um mit ihm einen Jubilar zu erfreuen, der zu den seltenen Verehrern des Buches jenseits des kleinen Kreises der Sirach-Spezialisten gehört, hoffen aber auch auf andere Leser, um dazu beizutragen, dass es in Kirche und Theologie künftig anmutiger und anmutender zugeht. Der Verlag hat diese Absicht mit einer geschmackvollen Ausstattung unterstützt. Möge das Büchlein also seine Leser finden und dadurch auch der Weisheit Ben Siras neue Freunde gewinnen.