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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1078–1083

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Malek, Roman [Ed.]:

Titel/Untertitel:

(1) The Chinese Face of Jesus Christ. Vol. 2(2) The Chinese Face of Jesus Christ. Vol. 3a.

Verlag:

(1) Jointly publ. by Institut Monumenta Serica and China-Zentrum Sankt Augustin. Nettetal: Steyler Verlag 2003. XVII, S. 393­844 m. Abb. gr.8° = Monumenta Serica Monograph Series, 50/2. Geb. Euro 60,00. ISBN 3-8050-0478-8.(2) Jointly publ. by Institut Monumenta Serica and China-Zentrum Sankt Augustin. Nettetal: Steyler Verlag 2005. XVI, S. 845­1311 m. Abb. gr.8° = Monumenta Serica Monograph Series, 50/3a. Geb. Euro 60,00. ISBN 3-8050-0524-5.

Rezensent:

Theodor Ahrens

Die hier angezeigten Bände sind Teil eines auf fünf Bände angelegten, interdisziplinären Werkes, das einen Überblick zum Verständnis Jesu von Nazareth als einer historischen Figur und Jesu Christi als des christlichen Erlösers, seiner Botschaft und seiner Wirkung in der chinesischen Geschichte gibt (ThLZ 129 [2004], 459­462). ­ Band 2 enthält 20 Aufsätze chinesischer und westlicher Autoren, 20 Quellentexte sowie 43 Abbildungen und deckt den Zeitraum vom 16. bis zum 19. Jh. ab. Die in Band 3a versammelten Beiträge haben ihren Schwerpunkt in Bearbeitungen der Gestalt Jesu unter chinesischen Literati des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jh.s.

Im Folgenden werden Texte hervorgehoben, die Grundkonstellationen der Kontextualisierungsproblematik, wie sie sich über lange Zeiträume hinweg durchhalten, verdeutlichen. Missionare aus dem Westen haben sich oft gefragt, ob sie Chinesen als religiöse Menschen ansprechen und das Christliche in religiöser Begrifflichkeit anbieten sollten oder ob es geschickter und sachgemäßer sein könnte, die konfuzianische Zurückhaltung gegenüber dem Religiösen zu berücksichtigen und das Christliche als Beitrag zur Sittlichkeit in rechter Ordnung vorzustellen. Offensichtlich haben auch Chinesen die Vermittlungsproblematik oft in diese Polarität gestellt.

Während den Jesuiten gern das Verdienst zugeschrieben wird, christliche Kunst in China überhaupt erst angeregt zu haben, belegt A. Bailey, dass frühe Beispiele christlicher Kunst, wie sie im volksreligiösen Milieu durchaus populär waren, durch Vorgaben aus den Philippinen angeregt worden sein dürften (The Image of Jesus in Chinese Art during the Time of the Jesuit Mission [16th to 18th centuries]). Der Stellenwert, den die Jesuiten bildlicher Vermittlung zuschrieben, reflektierte das aus dem lateinischen Christentum mitgebrachte Verständnis eines Zusammenhangs von Imago, Imagination, Memoria und innerer Bildung. Motive europäischer Holzschnittarbeiten, die M. Ricci chinesischen Künstlern zur Anregung gab, wurden zwar dem lokalem Geschmack angepasst, doch der Transfer der Motive in eine andere Kultur verwandelte diese Werke in Merkwürdigkeiten, vergleichbar etwa der Chinoiserie jener Zeit im westlichen Kulturkreis (Gauvin Carmen Guarino, Images of Jesus in Matteo Ricci¹s Pictures for Chengshi moyuan). Anthony Lam, der die in einem Gemeindeblatt der römisch-katholischen Kirche während der 1920er Jahre in Hongkong publizierten Jesusbilder analysiert, stellt fest, dass ein Bemühen, das Bild Jesu zu sinisieren, durchgängig mit einem triumphalistischen und klerikalen Moment einherging (The Image of Jesus in Kung Kao Po 1928 to 1930).

Was die oft diskutierten Vermittlungsbemühungen der Jesuiten angeht, ruft Gianni Crivillier in Erinnerung, dass diese in ihrer privaten Andacht auf Jesus als Gott fokussiert waren, während sie in ihrer Kommunikation mit den Konfuzianern zunächst darauf abstellten, weltanschauliche Rahmenbedingungen für eine Vermittlung des Gottesbegriffs abzustecken. Der Jesuit Guilio Aleni (1582­1649, in China 1613­49) leitete mit seinem illustrierten Leben Jesu diesbezüglich eine Wende ein. Der Schwierigkeit einer Vermittlung des Inkarnationsgedankens (Verlust der Würde Gottes ­ Verwirklichung der Liebe Gottes?) und des Leidens Christi suchte er beizukommen, indem er die Jesusfigur zu Weisen und Meistern der chinesischen Kultur in Vergleich setzte (Christ Introduced to Late Ming China by Guilio Aleni S. J. [1582­1649]). Doch sein Versuch, eine trinitarische Fassung des Gottesbegriffs zu vermitteln, blieb für Chinesen unverständlich, weil er es bei einer Transliteration der Begriffe beließ (Sun Yuming, Cultural Translatability and the Presentation of Christ as portrayed in Visual Images from Ricci to Aleni).

Ist also Jacques Gernets breit rezipierter These beizupflichten, die jesuitische Mission wäre nicht im Stande gewesen, die fundamentalen Differenzen der beiden Kulturen und ihrer Weltbilder zu überbrücken? Paul Rule und Wahlen Lai treten diesem Urteil entgegen. Rule begründet seine Gegenthese, dass Erstgestalten des Christentums unzweideutig und komfortabel Christen und Konfuzianer waren, in einem erneuten Durchgang durch die Quellen, die auch Gernet benutzt hatte. Er benennt mehrere chinesische Literati, die sich um 1620 durchaus einen eigenen Begriff des Christlichen erarbeitet hatten, ohne den Umstand zu kompromittieren, dass das Kreuz der eigentliche Stein des Anstoßes für eine Vermittlung des Christlichen auch im chinesischen kulturellen Kontext war (P. Rule, The Jesus of »Confucian Christians« of the 17th century, 499­516. W. Lai, Jesus in the Shengshui Jiyan of the Early Yang Tingyun [1557­1627]).

Whalen Lai beruft sich für seine These, die Differenzen unterschiedlicher Kosmologien seien für Konvertiten, die in beiden Welten zu leben hatten, nicht so unüberbrückbar gewesen, wie Gernet meinte, auf Yang Tingyun, eine der führenden intellektuellen christlichen Erstgestalten im Umfeld Matteo Riccis. Yang hatte zur Plausibilisierung des Inkarnationsmotivs daoistische Gedanken herangezogen. Er variierte den Gedanken aus dem Buch der Wandlungen, der Weise bedürfe der Form, um den Willen Gottes bekannt zu machen. Yang habe, meint der Vf., seine Mittel vielleicht etwas willkürlich und riskant eingesetzt. Der Stellenwert seines Beitrags liege in der Bestimmung der Aufgabe, nämlich eine neue parole zu schmieden, die zwei Welten umgriff, analog etwa der Hellenisierung des hebräisch gefassten Glaubens im Prolog des Johannesevangeliums.

Ein anderes, bis in die Gegenwart vielfach variiertes Denkmodell entwickelten die Figuristen. Sie verbuchten die Geschichte Chinas als Teil der Heilsgeschichte und interpretierten kanonische und andere Schriften wie ein chinesisches Altes Testament, das den Schlüssel enthielt, um die Mysterien der Erlösung des Neuen Testaments und der christlichen Dogmen zu erhellen (Claudia von Collani, Jesus of the Figurists).

Chu Zongyuan, ein chinesischer Apologet des Christentums in der Tradition Riccis, ist interessant, weil seine Darstellung des Lebens Jesu auf die Ebene der Volksreligion mit ihrem Sinn für Wunder und Zeichen abstellte ­ eine Option, die christentumsgeschichtlich von Bedeutung blieb. Ein Intellektueller, der, wie diese Weichenstellung zeigt, für das Christentum in China mehr als nur einen Nischenplatz anstrebte, dürfte sich klar darüber gewesen sein, dass die kulturellen Imperative diesem Bestreben enge Grenzen setzten (Dominic Sachsenmayr, The Jesus of Chu Zongyuan [1616­1660]. A Complex Pattern of Inculturation/I>).

Dass das Christentum, wenn es Milieus betritt, in denen religiöse Erfahrung aus Wundern und Zeichen gekocht wird ­ missionsgeschichtlich gesehen der Normalfall ­, das Evangelium in besonders eklatanter Weise Verständnis wie Missverständnissen aussetzt, wird in der Analyse deutlich, die P. Richard Bohr zum Einfluss enthusiastisch-evangelikaler Missionen auf die Taiping Rebellion (1851­1864) vorlegt. Bohr benennt die Themen, die evangelikale Missionen angeschlagen hatten und die von indigenen Evangelisten sinisiert eine Verbindung mit chinesischer Volksreligion eingingen. Nachdem der in dieser Gemengelage entstandene nativistisch-chiliastisch geprägte Bauernaufstand ­die größte Erschütterung Chinas vor der kommunistischen Revolution ­ gescheitert war, entwickelten sich zwei Stränge, die in der Taiping Bewegung beieinander gelegen hatten, getrennt voneinander, nämlich ein proselytistischer Bekehrungseifer und ein reformistisches Christentum, das sich auf seine gesellschaftlichen Aufgaben besinnt (
Jesus, Christianity, and Rebellion in China. The Evangelical Roots of the Taiping Heavenly Kingdom, 613­661).

Lauren Pfister und Jessie Lutz analysieren die Rezeption einer um ihr chiliastisches Potential entsorgten Jesusfigur. Pfister stellt Jesus den Heiler und Wundertäter als den Erfüller alter chinesischer Mythen und Träume vor. Die offene Flanke dieses Zugriffs nötigte spätere Denker, sich genauer darauf zu besinnen, wie Gott als Autor der Lebenskraft (Chinesisch: qi), an die auch die Taiping Revolutionäre appelliert hatten, gedacht werden könne (L. F. Pfister, Reconsidering Free Faces of the »Revived One« from Mid-19th Century China, 663­683, Jessie G. Lutz, The Jesus of the Early Chinese Protestant Evangelists).

Manche Strömungen im zeitgenössischen Christentum Chinas knüpfen an Sinisierungen des Christentums durch Evangelisten des 19. und 20. Jh.s in China an, beispielsweise Wang Mingdao (geb. 1890), bekannt als evangelikaler Prediger und scharfer Kritiker der Drei-Selbst-Bewegung. Das erweckliche, vermeintlich rein biblisch geprägte, auch von kosmischer Angst geprägte Christentum zieht die religionspolitisch als Aberglauben eingestufte Volksreligion an, verbindet sich mit deren Weltbild und distanziert sich von dem religionspolitisch legitimierten Typ des Christlichen, dessen Weltbezug ­ jedenfalls nach außen ­ gern in sozialethischer Begrifflichkeit durchbuchstabiert wird (Poling J. Sun, Jesus in the Writings of Wang Mingdao).

Den gesellschaftlichen Bezug von Christianisierungsprozessen beleuchten Margo F. Gewurtz und Ralph Covell aus unterschiedlicher Perspektive. Gewurtz zeigt, dass das Christentum sich in der dörflichen Welt Nordchinas an den Knoten des Netzwerkes lokaler Tempel, Feste und Märkte einnistete. Der Präzedenzfall heterodoxer Sektenbildungen im ländlichen China begünstigte derartige Entwicklungen. Menschen mit Heilungserfahrungen vermittelten ihr Christentum entlang familiärer Verbindungslinien. Frauen spielten eine aktive Rolle und bildeten neben den etablierten sozialen Gruppierungen neue Formen von Gemeinschaft (The »Jesus Sect« and »Jesus Opium«: Creating a Christian Community in Rural North Honan, 1890­1912).

Vor dem Hintergrund der Ungleichen Verträge (1840/41), die China in einen halbkolonialen Status zwangen und den neuzeitlichen Missionen ihren Weg nach China öffneten, diskutiert Ralph Covell vier Typen (protestantischer) missionarischer Präsenz. Die Vertreter des missionarischen Mainstream ließen sich in ihren Traktakten, Katechismen und öffentlichen Predigten dazu verleiten, neben einer wenig reflektierten Reproduktion mitgebrachter Metaphorik und Dogmatik sowie milden Akkomodationsversuchen das Christentum im Schulterschluss mit westlicher Wissenschaft und Zivilisation zu präsentieren ­ eine Verbindung, urteilt Covell, die »a wrong picture of Jesus« vermittelte (Jesus in Protestant Writings in the 19th and Early 20th Centuries). Abseits des missionarischen Stroms bewegte sich Timothy Richard, englischer Baptist, der die Auffassung vertrat, der Lotos Sutra sei Gottes Offenbarung für Asien, und die von ihm in den chinesischen religiösen Texten ausgemachte Wahrheit den Chinesen zu erhellen suchte. Karl Ludvig Reichelt, Gründer des Tao-Fung-Shan-Zentrums für interreligiöse Begegnung in Hongkong, war vorsichtiger und zugleich offener. Er konzentrierte sich auf Begegnungen mit buddhistischen Mönchen und Ordensfrauen, studierte die in buddhistischen Klöstern gepflegte Spiritualität und stellte diese in die Perspektive einer logos spermatikos-Christologie. Es ist der ewige Logos, dessen Menschwerdung im Prolog des Johannesevangeliums gefeiert wird, den die buddhistischen Gesprächspartner im Dao meditieren (Ekman P. C. Tam, The Cross and the Lotus: Karl Ludvig Reichelt¹s [1877­1952] Mission Theology and Methodology). Eine vierte, von Covell gezeichnete Arbeitsrichtung verknüpft philosophischen Pragmatismus angelsächsischer Provenienz mit der chinesischen Auffassung, dass li, das Prinzip oder die Vernunft, alle Dinge hervorgebracht habe.

Francis K. H. So stellt Wang Guowei (1877­1927), Vorläufer der heute so genannten Kulturchristen, vor (The Subverted Image of Christ in the May Fourth Era). Wang, Professor für klassisches Chinesisch an der Tsing Hua Universität, entdeckte während der 1920er Jahre, als eine ausgeprägt antichristliche und antiwestliche politische Stimmung nicht zuletzt unter Intellektuellen Verbreitung fand und gleichzeitig die ðModernisierung der GesellschaftÐ zur Losung des Tages wurde, die transmoralische Wahrheit des Christlichen. Er trat der nihilistischen Stimmung seiner Tage entgegen, indem er für sein Verständnis des Christlichen eine Erzählung des japanischen Schriftstellers Akuta Gawa Ryu-nosuke (1892­1927) »Christus in Nanjing« anführte.

Lewis S. Robinson untersucht die intertextuelle Beziehung zweier Erzählungen, die erste aus der Feder des wohl bekanntesten chinesischen Schriftstellers im 20. Jh., Lu Xun, Yao ðMedizinÐ; sodann die Kritik dieses Textes durch Mo Yan in dessen Erzählung Lingyao ðwirksame MedizinÐ (Medicine for the Soul? Christ-like Sacrifice and Filial Piety in Lu Xun¹s Yao and Mo Yan¹s Lingyao). Lu Xuns Erzählung von Verrat und Hinrichtung eines jungen Mannes greift aus der Passionsgeschichte der Evangelien den Gedanken einer von Revanchegelüsten freien Selbsthingabe positiv auf. Auferstehung kommt aus freier Hingabe. Diese Einsicht wird auf die menschliche Grundkondition und auf die damalige gesellschaftliche Lage bezogen. Mo Yans Erzählung, die den gleichen Stoff behandelt, betont die Absurdität des Opfergedankens.

Das Motiv freier Selbsthingabe wird von Wu Leichuan (1869­1949) befreiungstheologisch zugespitzt. Wu deutet die Gestalt Jesu auf der Grundlage traditionellen chinesischen Denkens im Lichte der damaligen gesellschaftlichen Umbrüche in China. Die Vollendung der Persönlichkeit Jesu durch Selbstkultivierung im Sinne eines chinesischen Heiligen war die Voraussetzung für Jesu Ambition, eine Sozialreform im Kontext einer nationalen Befreiung Israels in Gang zu bringen. Der Glaube an Gott ermöglicht ihm zu tun, was er getan hat. Als Sozialreformer scheitert er. Er hinterlässt seinen Jüngern sein Beispiel ­ die Selbsthingabe eines Weisen. Die Jünger und die entstehende Kirche missverstehen die ursprüngliche Botschaft Jesu. Wu war der Gedanke wichtig, dass religiöse Reform die Voraussetzung für eine Belebung und Erneuerung gesellschaftlichen Lebens im Kontext der Nation ist. Umgekehrt hängt in Wus Sicht die Zukunftsfähigkeit der Religion daran, dass sie zur gesellschaftlichen Erneuerung beiträgt, ein Gesichtspunkt, der auch unter heutigen chinesischen Intellektuellen wie He Guanghu artikuliert wird (Roman Malek, Der Sozialreformer Jesus, Das Leben Jesu nach Wu Leichuan [1869­1944]).

Die befreiungstheologische Deutung wird bei dem Schriftsteller Mao Dun (1896­1981) radikalisiert. Dieser greift, um sich während der japanischen Besatzung vor der Zensur der Japaner und vor den Kuo Mindang zu schützen, den scheinbar unverdächtigen Erzählstoff der biblischen Evangelien auf, entkleidet die Jesuserzählung aller religiösen Inhalte und macht aus Jesus einen Kämpfer für Demokratie, Patriotismus und Idealismus (Liang Gong, The Image of Jesus in The Death of Jesus by Mao Dun).

Anna Bujatti vergleicht Texte von Lu Xun und Mao Dun sowie der Schriftsteller Xu Zimo und Ai Qing mit dem Ergebnis, dass der leidende Christus als Symbol der menschlichen Kondition und die Gottesfrage im Licht des Leidens die beiden Brennpunkte vieler Novellen, Kurzgeschichten und Gedichte dieser Autoren sind (Lu Xun, Xu Zhimo, Ai Qing, and Mao Dun: The Human Face of Jesus Christ).

Winfried Glüer zeichnet den theologischen Weg nach, den T. C. Chao (Chao Zichen), in der Ökumenischen Bewegung des 20.Jh.s angesehener protestantischer Theologe, mit manchen scharfen Kehren gegangen ist (Jesus in the Theology of T. C. Chao [1888­1979]). Das Jesusbild des frühen T. C. Chao entspricht in vieler Hinsicht dem des Wu Leichuan. Chao, ebenfalls von der 4.-Mai-Bewegung beeinflusst, präsentiert den menschlichen Jesus, der seine eigene Personalität im Sinne konfuzianischer Ethik vervollkommnet. Die tiefen gesellschaftlichen Umbrüche in China sowie persönliche Erfahrungen unterminieren später Chaos optimistische Anthropologie und veranlassen ihn, stärker an biblische Vorgaben und die Tradition der frühen ökumenischen Konzile anzuknüpfen.

Auch der im Westen bekannt gewordene Essayist Lin Yutang (1895­1976) ging, wie Gotelind Müller zeigt, einen Weg mit scharfen Kehren (Christianity and Jesus ­ A Bundle of Contradictions). Aus einem protestantischen Pfarrhaus stammend verstand er seinen Bruch mit der Kirche als Konversion zum Paganismus und sich selbst als Loyalisten chinesischer Tradition, insbesondere des Konfuzianismus, und als Kritiker eines dogmatischen Christentums. Die Gestalt Jesu nahm er von seiner Kritik weitgehend aus. Die kommunistische Revolution und die Entwicklungen in der Volksrepublik China veranlassten ihn zu einer Re-Konversion: »I wish to re-enter that knowledge of God and love of God which Jesus revealed with such clarity and simplicity« (1092). Dieser ðeinfache JesusÐ, so G. Müller, bot kein chinesisches Gesicht Jesu Christi. Vielmehr richtete Lin Yutang als ein westlich gebildeter Chinese seine Dogmenkritik an ein westliches Publikum, während er den Chinesen ein westliches, von liberaler Theologie inspiriertes Jesusbild vermitteln wollte.

Anders lagen die Dinge bei John C. H. Wu, von Matthias Christian als hervorragender Intellektueller Chinas im 20. Jh. eingeführt (John C. H. Wu [1899­1986] on Christ and China). Wu, aus einer Bankiersfamilie, in chinesischer Tradition gebildet, studiert in den USA Jura, kommt mit post-doc-Studien nach Paris und Leipzig, nimmt Dozenturen in Harvard wahr, etabliert sich als erfolgreicher Anwalt und macht sich einen Namen als Autor eines Verfassungsentwurfs für China. Während der japanischen Besatzung Shanghais konvertiert Wu zum Christentum und befasst sich mit der Übersetzung der Psalmen und des Neuen Testaments ins klassische Chinesisch.

Wu, fasziniert von der Gestalt Jesu Christi, hat hohe Erwartungen an den Beitrag, den christliche Philosophie zur kulturellen Entwicklung Chinas leisten könnte. Lao Tzi und Konfuzius versteht er als Pädagogen, die ihn zu Christus führten. Die konfuzianische Tugend der Pflege der Humanität ist das natürliche Gegenüber zur christlichen Barmherzigkeit, und der chinesische Sinn für die Bedeutung dauerhafter freundschaftlicher Beziehungen findet seine Erfüllung in Christus, der die Seinen liebte bis zum Ende (Joh 13,1). Die Inkarnation ist für ihn das zentrale Ereignis des Universums. Das Geschick der Menschheit hängt an diesem Ereignis wie in einer Türangel. Die Unterschiede zwischen Ost und West können im Lichte des Johannesprologs nur akzidentiell sein. Um das Mysterium der Inkarnation zu begreifen, würde ein in östlicher Tradition Gebildeter sehen und verstehen, dass der wahre Gott in der Tat als wahrer Mensch gelebt hat und dass wahrer Gott und wahrer Mensch in der Tat ein und dieselbe Person sind, während moderne Westler, meinte Wu, des Umstandes eingedenk sein sollten, dass Christus nicht nur wahrer Mensch, sondern auch wahrer Gott ist und dass sein Wort, sein Handeln und sein Leben im Lichte seiner Göttlichkeit begriffen werden sollten. Der Anspruch christlicher Philosophie liegt nicht in ihrem Exklusivismus, sondern in ihrer Katholizität. Katholizismus findet Wahrheit in vielen verschiedenen religiösen Systemen und verschmilzt diese zu einem kohärenten theologischen Entwurf.

Zwei Linien der vorgestellten Bände seien betont: Eine Linie unterstreicht die Verträglichkeit von Christentum und Konfuzianismus und legt das Jesusbild so aus, dass die Frage nach den zwischenmenschlichen Bezügen ins Zentrum rückt. Das Nachdenken über Menschlichkeit/Humanität bietet sich als gemeinsames Thema interkultureller Theologie an. Die andere Linie ergibt sich, sobald das Bild Jesu als des Heilers und Heilands und Motivationen daoistischer Volksreligion sich gegenseitig anziehen. Vor dem Hintergrund einer Kosmologie, die die Interdependenz von Mikrokosmos und Makrokosmos zentral stellt, tritt die Frage nach dem Körper als Türangel des Heils in den Vordergrund. Die ökumenische Diskussion zur Frage, was ðGanzheitlichkeitÐ eigentlich heißen kann, wird diese Diskussionslagen berücksichtigen wollen.

Für alle, die an der Doppelfrage interessiert sind, was das Christentum China zu sagen versucht hat und was China dem lateinischen Christentum zu sagen hat, hat der Herausgeber eine instruktive, detailreiche, gut dokumentierte und nicht zuletzt im Studienbetrieb sehr brauchbare Weiterführung der mit Band 1 so viel versprechenden Anfänge vorgelegt.