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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1075–1077

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gerloff, Roswith:

Titel/Untertitel:

Das schwarze Lächeln Gottes. Afrikanische Diaspora als Herausforderung an Theologie und Kirche. Beiträge aus 30 Jahren reflektierter Praxis.

Verlag:

Hrsg. v. G. Egler u. P. Löffler. Frankfurt a. M.: Lembeck 2005. 383 S. m. Abb. gr.8°. Kart. Euro 25,80. ISBN 3-97476-443-5.

Rezensent:

Moritz Fischer

Innerhalb von 30 Jahren hat Roswith Gerloff maßgeblich zu unserem Verständnis für schwarze Christinnen und Christen in Europa und in Übersee beigetragen. Die Pfarrerin ist dabei einer basisgemeindlichen »Theologie von der Unterseite des Lebens her« verpflichtet. Im »schwarzen Lächeln« der pfingstlich-charismatischen Kirchen afrikanischer Provenienz erkennt sie das Antlitz Gottes. Letzteres wendet sich den westlichen Kirchen und ihrer Theologie nicht nur stumm blickend mit einem Dauerlächeln zu, sondern hat uns nach G.s Aussage auch manch Provokantes zu sagen: »Lebendige, ðdialogischeÐ Theologie ist Š niemals monologisch oder ðneutralÐ. Sie ist ðim GesprächЊ und Š trägt bewusst die Lasten derer mit, die im Elend sind« (267).

Die kaum hoch genug einzuschätzende Bedeutung afrikanischer Migrantengemeinden für den Westen hat G. wie kaum eine Zweite erkannt und sowohl in praktisches Engagement als auch in verschiedenartige Beiträge zur Theoriebildung münden lassen. Ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Eigenart dieser Migrantengemeinden aus Afrika und aus der Karibik zeichnen sie als Vorreiterin auf dem Gebiet der diesbezüglichen Diasporastudien aus. G.s Reflexionen verfolgen unterschiedliche Fragestellungen. Unser jeweiliges Verständnis von Mission und Ökumene, Konfessionskunde, Pädagogik, Liturgie und nicht zuletzt das der feministischen Theologie sollten sich von den 23 Beiträgen befruchten lassen, die in dem Band vereint sind: Es handelt sich hier um eine, nach Themen geordnete, ausschnittartige Sammlung aus ihren insgesamt über 90 deutsch- bzw. englischsprachigen Kurzbeiträgen, Lexikonartikeln und Aufsätzen. Alle diese werden am Ende des Bandes bibliographisch von dem Herausgeberteam Egler/Löffler aufgelistet (372­380). Beide weisen in ihrer Einführung (11­18) darauf hin, dass G.s Denken zum Anknüpfen und zur Weiterentwicklung reizt. Ihre Herkunft von ihrem geistigen Mentor Walter J. Hollenweger, die sie nie verleugnet hat, schlägt sich in dessen Vorwort (7­10) nieder. Sein Urteil: »Es ist der Verdienst von Roswith Gerloff, diesen Prozess im angelsächischen und deutschen Bereich, ja darüber hinaus, angestoßen zu haben«.

Der im Untertitel der Sammlung genannte und nicht unumstrittene Begriff der »Diaspora« dient seit kürzerem auch zur wissenschaftlichen Klassifizierung für Migrantengemeinden. Ihn diskutiert der von Klaus Hock verfasste Beitrag im siebenten und abschließenden Abschnitt. Neben dem Rostocker Missionswissenschaftler tragen noch vier weitere Weggefährten G.s so genannte, von ihr angeregte »Bilanzierungen und Perspektiven« bei (325­362), befruchtet durch G.s Anstöße. Den mit dem Aufsatzband vorliegenden Ausschnitt aus ihrem Lebenswerkes leitet sie mit einer »Autobiographischen Hinführung« ein (Abschnitt 1., 19­66). Hier wird deutlich, wie vielseitig neben ihrer familiären Herkunft ihre Lehrer-, Schüler-, Studenten- und Mitarbeiterschaft in Deutschland, in England und in Übersee war und ist ­ und wie sich ihr Denken Stück für Stück »umkrempelte« (44), weil sie sich einer dialogisch-systematischen Theorie und Praxis verpflichtet wusste. Das, was bei Tillich und Bonhoeffer vorgedacht wurde, hat sie als »Grenzgängerin«, aufgewachsen mitten im Konfliktfeld zwischen Nationalsozialismus und Bekennender Kirche, aufgegriffen und auf ihre Weise im Blick auf das »Schwarze Lächeln Gottes« weiterentwickelt.

Die folgenden 12 Beiträge werden jeweils zu vieren unter die Abschnitte 2., 3. und 4. gefasst. Letztere muten in ihrem jeweiligen geographischen Fokus wie konzentrische Kreise an, die sich nach außen hin erweitern:

2. Abschnitt: Afrikanische Erfahrungen in Britannien (67­118): Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre konkretisierte sich G.s eigenständiges Wirken unter der Begleitung ihres spiritus rector W. J. Hollenweger, der ihr half, ihre ersten Erfahrungen mit schwarzen Immigrationskirchen in Oxford zu verarbeiten, und darüber hinaus ihre Dissertation mit Blick auf die weltweite schwarze pfingstlich-charismatische Bewegung begleitete. Seinem Vorbild bleibt sie treu, geht über ihn nicht hinaus, wiewohl er auch von ihrer Kreativität profitierte (264). Wie G. diesen Diskurs mit den AIC (African Independent Churches) in Großbritannien in dem von ihr mitbegründeten Birminghamer »Centre for Black and White Partnership« (CBWCP) weiterführte, wird hier von ihr verdeutlicht: Es geht um eine grundlegend neue, auf Gegenseitigkeit beruhende Ausbildung zwischen schwarzer und weißer Exegese, Theologie, Religiosität, Mentalität, die dem westlichen Christentum dazu verhelfen können soll, aus seiner Provinzialität herauszukommen. Nicht im Alleingang, sondern nur im Zusammenwirken mit ihrem Counterpart Bongani Mazimbuko, einem südafrikanischen Theologen, konnte dieses universitäre Projekt aufgebaut werden, dessen Chancen von Staat und Kirche offensichtlich unterschätzt wurden. Den damit einhergehenden Herausforderungen müssen sich die historischen Kirchen (»mainline-churches«) stellen ­ sowohl in Blick auf die Möglichkeiten von »Gotteserfahrung« als auch hinsichtlich eines alle Kirchen umfassenden Begriffs von »Heilung« oder von »Gottesdienst«.

3. Abschnitt: Die Bedeutung der afrikanischen Dispora für Europa (119­170): In den Jahren seit 1995 widmete sie sich zunehmend der Organisation der Vernetzung der Migrationskirchen in Europa untereinander. Das führte unter maßgeblicher Initiative von schwarzen Kirchenführern und Gemeindeleitern nicht nur zur Durchführung mehrerer ökumenisch-transkultureller Kongresse, sondern zur Gründung des »Council of Christian Communities of an African Approach in Europe« (CCCAAE). Somit werden diese afrikanisch-initiierten Gemeinden auch zunehmend vom ÖRK und anderen regionalen Kirchenbünden wahrgenommen ­ das ist nicht zuletzt G.s Verdienst!

4. Abschnitt: Weltweite Pfingstbewegung in der Kraft des Geistes (171­228): Immer wieder appelliert sie an die Leser, dass Mission ein dialogisches Geschehen in mehrfacher Hinsicht ist: zwischen Gott und Mensch und zwischen den verschiedenen Denominationen mit ihrer spezifischen theologischen, sozialen, geschichtlichen Herkunft und mit ihrem Auftrag in Bezug auf den jeweils Anderen. Das alle Kontexte übergreifende Merkmal einer primären Spiritualität (Harvey Cox) rückt sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Es geht um eine »Theologie der Geisterfahrung und der Neuwerdung der Gesellschaft« (192). G. sucht den Diskurs in erster Linie mit afrikanischen, afro-amerikanischen und afro-britischen Theologen, um vor dem Hintergrund der biblischen und dogmatischen Tradition herauszufiltern, inwieweit deren Denken der westlichen Theologie und ihren Kirchen als Korrektiv dienen kann. Als markantes Beispiel untersucht sie hierzu die »Mayano Frauenbewegung« in Südafrika. Sie ist eine der vielen Spuren, die uns hin zu einem Paradigmenwechsel in der Mission leiten: Wieder beruft sie sich mit Fanie S. Mkhwanzi auf eine genuin (süd-)afrikanische theologische Stimme: »Mission happens where ordinary people are empowered and priviliged ðto practice goodness to the peopleÐ in their dayly struggle with the forces of evil« (225).

Der 5. und der 6. Abschnitt widmen sich der allgemeinen Theoriebildung mit ihren Erörterungen pädagogisch-interkultureller (229­276) und praktisch-theologischer Fragen (277­324): Hier wertet G. Erfahrungen eines »Tisches für alle« aus und formuliert Kriterien für ökumenisch-interkulturelles Lernen. Sie zieht Konsequenzen für die Theorie einer dynamisch und interkulturell kommunizierenden Gesellschaft, in der keiner den anderen auf dessen jeweilige »Kultur« statisch festlegen darf. Eine wichtige Frage wird hier aufgeworfen, die sich mir selbst bei der Lektüre G.s aufdrängt: Legt sie mit der poetisch-malerischen Bildsprache des »Schwarzen Lächelns« Menschen anderer Herkunft nicht auch auf eine Farbe oder eine bestimmte Vorstellung von Fröhlichkeit fest? Hier spreizt der hermeneutische Zirkel seine Schenkel, dem wir alle immer wieder unterliegen, wenn wir klassifizieren, polarisieren (»hier schwarz ­ dort weiß«), andere benennen und selbst benannt werden wollen. Wunderbar dialogisiert über dieses Problem B. Mazibuko mit ihr im Gespräch (Kapitel 6.6.). G. kämpft an dieser Front weiter, wenn sie selbstkritisch fragt: »Bedeutet Inkarnation nicht auch, dass Gott die Gestalt des anderen Menschen annimmt? Lediglich zu betonen, dass Gott mein Retter ist, könnte zu ähnlichen Fehlern führen, wie die der weißen Theologie.« (321) So bleibt manches bei ihr skizzenhaft, seiner Fragwürdigkeit bewusst, mehr fragend als beantwortend (vgl. 5.3.; 6.4.; 6.5.)

Ein Lob an dieser Stelle an das Herausgeberteam: Es zeigte sich »weniger ist mehr«. Die umsichtige Auswahl bzw. Zusammenstellung ist durchaus gelungen! Nicht etwa, weil G.s Veröffentlichungen weit verstreut wären (durch persönliche Recherche bei G. oder in diversen Bibliotheksapparaten sollte alles erhältlich sein), sondern weil in diesem Fall sehr viel Fingerspitzengefühl dazu gehört, gerade G.s theologische Entwicklung nachvollziehbar zu machen.

Trotz den immer wiederkehrenden und doch so verschiedenartigen Themenschwerpunkten ist es, wie ich meine, gelungen, einen roten Faden erkennbar zu machen, der einen kritisch reflektierenden Leserkreis ansprechen und zum Mitdenken bzw. zum Widerspruch ermutigen soll: Unser von westlicher Theo-logie geprägter Glaube steht auf dem Prüfstand angesichts des weltweiten charismatisch-pfingstlichen Aufbruchs, ohne diesen fälschlich zu idealisieren, sondern um von ihm zu lernen. Dieses »Kapital« geltend zu machen, gilt es in einer Gegenwart, in der manche Kirchenoberen die »Eine-Welt-Ökumene« lieber von der Tagesordnung genommen sähen, um sie durch handlichere Themen zu ersetzen. Das »schwarze Lächeln Gottes« begegnet diesem Trend. Es ist freundlich, nicht aufgesetzt, sondern verbindlich. Es regt zum aktiv-missionarischen Christsein und zum Nach-Denken an ­ auch dank G.s Wirken, dem ich die entsprechende Nachhaltigkeit wünsche. Ein lesetechnisches Problem, für das sie nichts kann: Schlechtes Papier oder zu wenig haltbare Drucker-»Schwärze« sorgen dafür, dass der Text bei leichter Berührung verschmiert. Das ist man vom renommierten Lembeck-Verlag nicht gewohnt!