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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1071–1074

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bevans, Stephen B., and Roger P. Schroeder:

Titel/Untertitel:

Constants in Context. A Theology of Mission for Today.

Verlag:

Maryknoll-New York: Orbis Books 2004. XXII, 488 S. m. Ktn. gr.8° = American Society of Missiology Series, 30. Kart. US$ 30,00. ISBN 1-57075-517-5.

Rezensent:

Moritz Fischer

Die beiden Autoren, die US-amerikanischen katholischen Wissenschaftler Stephen Bevans (Jg. 1944) und Roger Schroeder (Jg. 1955), sind als Mitglieder der Ordensgemeinschaft Societas Verbum Dei (SVD) sowohl auf praktischem als auch auf theoretischem Terrain »in Sachen Mission« versiert. Sie sind Lehrstuhlinhaber am Institut der Catholic Theological Union in Chicago. Bevans Erfahrungen aus der Herausgeberschaft der Mission Studies und der Reihe New Directions in Mission fließen spürbar in Teil I (Kapitel 1 bis 2) und Teil III (Kapitel 9 bis 12) ein. In Ersterem werden wichtige biblisch- und fundamentaltheologische Fragestellungen herausgearbeitet (1­72). Letzterer stellt eine zusammenfassend-auswertende Reflexion hinsichtlich der gegenwärtigen missionstheologischen Debatte dar (281­ 347). Schroeder ist durch seine Mitverantwortung für das englischsprachige Kooperationsprojekt »The History of World Christian Movement« prädestiniert, was seine Beiträge in Teil II unter der Überschrift »Historical Models of Mission« mit den Kapiteln 3 bis 8 zeigen (73­279). Bei den Teilen II und III handelt es sich jeweils nicht um kirchengeschichtliche bzw. aktualtheologische Durchgänge entlang wechselnder historischer Ereignisse, Konzilien, missionarischer Aktivitäten, lehramtlicher Dokumente und ökumenischer Kirchenversammlungen als den so genannten »Kontexten«. Vielmehr befragen und erschließen die Autoren diese verschiedenen Kontexte mit Hilfe des Instrumentariums von sechs thematischen »Konstanten«. Sie wollen dem Leser helfen zu verstehen, wie »Kirche« im Wechsel der Zeiten und an verschiedenen Orten der Welt jeweils ihre Identität als Gemeinschaft definierte: Wie, wodurch, wo und wann nimmt sie an Jesu Mission Anteil? Wie entwickelt sie sich in diesem Sinne und treibt seine Mission weiter (35)?

Was ist mit den so genannten »Konstanten« gemeint? Bevans und Schroeder erarbeiten ihr Werk mit Hilfe eines ganz bestimmten historisch-dogmengeschichtlich wie systematisch-fundamentaltheologisch orientierten Ansatzes (Kapitel 2). Sie folgen damit einer dreifachen Typologie, die sie von der Deutschen Dorothee Sölle und dem Kubaner Justo L. González übernehmen. Letztgenannte sind beide der Befreiungstheologie verpflichtet: Bei Sölle geht es um die drei Paradigmen »orthodox/konservativ«, »liberal« und »radikal/befreiungstheologisch«, die den drei Theologietypen »A«, »B« und »C«, die Gonzáles herausstellt, entsprechen. Bei diesem Modell werden die drei Typen quer zu theologiegeschichtlich prominenten Systemen, Stilen und sechs dezidierten Themen der Dogmatik durchdekliniert (vgl. die Tabelle, 37). Als Konstanten gelten die folgenden sechs dogmatischen Fragestellungen: Christologie, Ekklesiologie, Eschatologie, Soteriologie, Anthropologie und ­ bezeichnenderweise ­ Kultur.

Dieses systematische Konzept bedeutet, dass hier kirchen- bzw. missionsgeschichtliche und systematisch-theologische Fragestellungen und ihre jeweiligen Interessen miteinander verzahnt werden, um auf höherem gedanklichem Niveau ein drittes zu erreichen: »A story of the encounter of Eternal Word with changing worlds« (Harvie Conn, vgl. 1). Es ist deutlich, dass Bevans und Schroeder sich selbst mit ihrer Perspektive dem Typ »C« zurechnen (XVI).

Es liegt hier ein gedanklich dicht geknüpftes ‘uvre vor, das inner- wie überkonfessionell ähnlich einflussreich zu werden verspricht wie das Werk des südafrikanischen Missionstheologen David J. Bosch (1929­1992): Transforming Mission. Paradigm Shifts in Theology of Mission (1991). Beide Theologien verbindet, dass sie in derselben theologischen Reihe (»American Society of Missiology Series«) erschienen sind. Bevans und Schroeder erheben nicht den Anspruch, Boschs Arbeit zu ersetzen. Vielmehr erweisen sie ihm die Reverenz, indem sie auf ihm aufbauen wollen. Der Herzschlag seiner Missionstheologie schlägt auch in der ihren weiter, wenn sie ihn, anlässlich der Begründung der Hauptthese ihres Buches: (»Mission as Prophetic Dialogue«) zitieren: »But it is prophetic dialogue because it calls people beyond; it calls people to conversion; it calls people to deeper and fuller truth that can only be found in communion with dialogue¹s trinitarian ground. Mission today will be done in what David Bosch calls ðbold humilityÐ, modeled after mission in Christ¹s way of humilty and self emptying and bold proclamation of God¹s ðalreadyÐ and ðnot yetÐ reign« (285). Im systematischen Vergleich der beiden Missionstheologien nimmt sich Boschs Transforming Mission allerdings schlichter aus: Bei ihm wird »nur« ein und dasselbe einfache Konzept ­ das des Paradigmenwechsels ­ entlang des neutestamentlichen Zeugnisses und der Theologiegeschichte angewandt. Im Unterschied dazu wird in Constants in Contexts nicht nur schwerpunktmäßig die Apostelgeschichte als neutestamentliche Schrift verarbeitet und der inzwischen fortgeschrittene, aktuelle Diskussionsstand aufgenommen, sondern die Erarbeitung des Themas geschieht konzeptionell erheblich differenzierter, nämlich anhand der genannten sechsfach-perspektivischen, nach drei theologischen Thementypen strukturierten Fragestellungen.

Es fragt sich dennoch, ob uns diese neue Missionstheologie bei all ihrer denkerischen Brillanz nicht nur formal, sondern auch inhaltlich zur Weiterentwicklung unseres wissenschaftlichen Verständnisses von Missionstheologie verhilft. Einen aktuellen Hinweis dazu lieferte jüngst die Diskussion auf der Weltmissionskonferenz 2005 des ÖRK in Athen. Dort pflichtete mit Robert Schreiter einer der Hauptreferenten dem Kerngedanken, in welchen Constants in Context gipfelt, zu: Unter der Überschrift »Reconciliation as Prophetic Dialogue« haben bereits Bevans und Schroeder die Bedeutung des Auftrages der Kirche Christi zur Versöhnung (2Kor 5,19) herausgestellt (389­395). Hier entfalten sie den Versöhnungsgedanken anhand der Notwendigkeiten von persönlicher, kultureller, politischer und innerkirchlicher Versöhnung. Nur so könne die trinitätstheologisch gedachte Missio Dei zu ihrer Entfaltung kommen. Die dreifache Tiefenstruktur von Mission wird beschrieben mit dem Wort (Zeugnis), der Tat (Diakonie) und dem Sein (Zusammenleben und Martyrium). Vier Tätigkeitsgebiete sind von daher durch die Kirche zu erschließen: Seelsorge; Evangelisierung bisher Unerreichter; Einsatz für die »Eine Welt« in Entsprechung zu den in den Zielsetzungen des ÖRK genannten Aufgaben von »Frieden/Gerechtigkeit/Bewahrung der Schöpfung«; Re-Evangelisierung der sich am Rande der Kirche Ansiedelnden. Der prophetische Dialog verhilft der Kirche dazu, in den wechselnden Kontexten ihre Konstanten nicht nur zu bewahren, sondern zu entfalten.

Zwei Beobachtungen möchte ich an dieser Stelle weitergeben: Erstens scheint der theologische Blickwinkel ihrer Debatte eher binnenkirchlich-katholisch festgelegt zu sein. Ihr Kirchenbegriff schwankt zwischen einem unausgesprochen konfessionellen und einem hypostatisch-allgemeinen, der schwammig ist. Dies liegt zweitens auch daran, dass bei ihrer fundamentaltheologischen Perspektive, die Bevans und Schroeder einnehmen, letztlich alle Theologie unter die Kategorie Missionstheologie subsumiert wird. Wie lassen sich dann aber noch eindeutig missionstheologisch profilierte Aussagen im Gegenüber zu den anderen Disziplinen machen? Missionswissenschaft stünde in der Gefahr, von diesen ignoriert zu werden.

Die Stärken des Entwurfes von Constants in Context liegen umgekehrt darin, dass die anderen theologisch-wissenschaftlichen Teilgebiete sich ihrer je eigenen missionstheologischen Relevanz im Horizont des Gesamtkomplexes der Theologie als Wissenschaft bewusst werden könnten. Mit anderen Worten: man hat bei Constants in Context den Eindruck, eine »Missionsdogmatik« in der Hand zu haben, die in sich konsistent ist und sich sehr gut liest und mit der alles gesagt scheint, aber immer noch vieles fraglich bleibt. Das betrifft zum Beispiel die Frage nach dem kontextuellen Geltungsanspruch, mit dem die beiden im Sinne einer ökumenischen Missionstheologie das Wort ergreifen:

Sie haben nämlich ein ähnliches Problem wie D. Bosch es hatte als »weißer südafrikanischer« Theologe im damaligen »Land der Apartheid«, wenn er die Stimme für die Kirche Südafrikas erhob und missionstheologische, für die gesamte Ökumene zutreffende Aussagen machen wollte. Sie machen sich zwar identifizierbar als »weiße, männliche, katholische, ordinierte Ordensmitglieder im Alter von 50 Jahren, US-Amerikaner und Professoren« (XVI) ­ und sie setzen sich als solche für die Grundanliegen der Befreiungstheologie ein. Dieses Mandat wird ihnen aber von Seiten der primär Betroffenen abgesprochen. Michael Nai Chiu Poon aus Singapore, eine theologische Stimme der Zweidrittelwelt, auf der inzwischen annähernd drei Viertel der Weltchristenheit leben, möchte Bevans und Schroeders Kirchenkritik als Lippenbekenntnis entlarven: Ihnen fehle der Zugang zur sozialen Identität der Kirche, deren immer größere Bedeutung etwa in Ostasien jetzt erst deutlich werde (vgl. die Rezension in Mission Studies 22.1/2005, 139­144). Dies sind wichtige Einwände, die ich aber nicht zu schwer gewichten möchte. Immerhin nehmen sich Bevans und Schroeder auch der Frage des immensen Wachstums der weltweiten pfingstkirchlich-charismatischen Bewegungen und diesbezüglicher Entwicklungen an und werfen einen kurzen Blick auf die Unabhängigen Kirchen (vgl. 266). Letzteres tun sie aber leider nur am Rande, ganz im Gegensatz zu der theologisch ernstzunehmenden Bedeutung, die die klassischen Kirchen bis jetzt allesamt zu ignorieren scheinen. Die Begriffe »mainline churches« oder »Missionskirchen« sucht man vergeblich im Index. Hier zeigt sich eine theologische Schwäche, die im Fehlen der missionstheologischen Reflexion pneumatologisch-theologisch brennender Fragen besteht. Dazu gehören etwa: Welche Motive bewegen den oder die heute Missionierenden? Wie steht es mit den Themen Heil und Heilung oder mit der Bedeutung der biblisch bezeugten Charismen? Welche Rolle spielt der Heilige Geist ­ nicht nur als trinitätstheologisch zu beschreibende »Person«, sondern in seiner aktuellen Vollmacht, die die Kirche von ihm erhält? Was hat es mit der pfingstkirchlich-theologischen Lehre und Praxis auf sich, die solche Kirchen, Strömungen und Gruppierungen unter Stichworten wie »power encounter« für sich reklamieren?

Auch wenn diesbezügliche Antworten noch ausstehen, kann der interessierte Leser in dem fundamentalen Werk Constants in Contexts viele wertvolle Anregungen, Zusammenfassungen und systematische Reflexionen finden. Ich plädiere für seine Übersetzung ins Deutsche, um dem Jahrzehnte alten Desiderat einer umfassenden, aktuellen, ökumenisch relevanten Missionstheologie, die wir hiermit zweifelsohne vorliegen haben, im hiesigen Sprachraum Abhilfe zu leisten. Studierende aller Konfessionen bekämen ein gediegenes Arbeitsbuch in die Hand. Eine vorzügliche Verständnishilfe sind die verschiedenen, auf das ganze Buch verteilten graphischen Übersichten und Landkarten, die helfen, die historische, die systematisch-theologische und die geographisch-missionsgeschichtliche Perspektive in ihrem jeweiligen Zusammenhang nachvollziehbar zu machen.

Was die ansonsten spannende Lektüre leider erschwert, ist, dass der Index zu wünschen übrig lässt, da er nicht nach Personen- und Themenstichworten getrennt gegliedert und relativ kurz gehalten ist. Zudem erscheinen die Anmerkungen nicht als Fußnoten am jeweiligen Seitenende, sondern im Anhang. Das wäre noch zu verschmerzen, wenn die Benutzerfreundlichkeit nicht auch darunter leiden würde, dass ein eigenes Literaturverzeichnis komplett fehlt. In den Anmerkungen erscheint leider nach der bibliographisch vollständigen Erstnennung von Werken bei späteren Verweisen auf dieselben nur Kurzzitation. Mangels Literaturverzeichnis lassen sich diese Quellen oft nur nach langwieriger Recherche mit Suche nach der Erstzitation aufspüren.

Trotzdem: Auch bevor diese Mankos in einer weiteren Auflage bzw. Übersetzung abgestellt sind, liegt mit Constants in Context tatsächlich eine überkonfessionell rezipierbare Missionstheologie vor, bei der damit zu rechnen ist, dass ihrer Thesen im Rahmen der Ökumene lebhaft diskutiert werden.