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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

426 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Williams, J. Rodman

Titel/Untertitel:

Systematische Theologie aus charismatischer Sicht. Bd. 1. Übers. aus dem Amerik. von G. Walter, H. Ralenkötter, W. Neumeister.

Verlag:

Wuppertal: One-Way-Verlag 1995. 305 S. gr.8° = One Way Theologie, 9501. ISBN 3-927772-27-5.

Rezensent:

Reinhard Hempelmann

Der Vf. ist reformierter Theologe, der sich seit 1965 der charismatischen Erneuerung verpflichtet weiß und sein theologisches Denken bewußt im Zusammenhang seines Engagements in dieser Frömmigkeitsbewegung versteht. Das Buch (Titel der 1988 erschienenen amerikanischen Originalausgabe: Renewal Theology) ist der Erste Band in einer vierbändigen Reihe, die im Aufbau traditionellen Themen und Anordnungen verpflichtet ist. Die behandelten Themen sind entsprechend nicht die besonderen Anliegen der charismatischen Bewegung, sondern die klassischen Loci der Dogmatik. In Sprache, Argumentationsformen und Anliegen geht es dem Buch um die Explikation der christlichen Glaubenslehre für die christliche Gemeinde. Demgegenüber tritt der Dialog mit europäischen und amerikanischen Gegenwartstheologen in den Hintergrund. Das Buch ist verständlich geschrieben und übersichtlich gestaltet. Der Anmerkungsteil bleibt auf Wesentliches konzentriert; ein Sach-, Personen- und Bibelstellenregister geben wichtige Hilfestellungen für den Leser. Die "Einführung" (15 ff.) behandelt Wesen, Aufgaben, Funktion und Methodik der Theologie. Der Vf. sieht die Pneumatologie als einen Bereich an, dem zentrale Aufmerksamkeit gebührt. Er setzt ein Schriftverständnis voraus, das die Unmittelbarkeit der Schriftinspiration nicht in fundamentalistischer Weise begreifen möchte, die den menschlichen Faktor weitgehend eliminiert. Zwischen dem Zeugnis der Schrift und dem, was die christliche Gemeinde durch den innewohnenden Geist erkennt, gibt es dem Vf. zufolge grundsätzlich keinen Widerspruch. Hinsichtlich der Normativität hat die Schrift Vorrang vor dem inneren Geistzeugnis. Im Blick auf die Frage nach einer natürlichen Theologie werden die Genzen einer Gotteserkenntnis remota fide unterstrichen. Der bibeltheologische Bezug wird bei allen angesprochenen Themen: "Gotteserkenntnis" (37 ff.), "Gott" (61 ff.), "Trinität" (109 ff.), "Schöpfung" (127ff.), "Vorsehung" (159 ff.) jeweils ausführlich verdeutlicht. Über weite Strecken sind die Aussagen Auslegung und Zusammenfassung biblischer Texte.

In der Schöpfungslehre vertritt der Vf. eine Position jenseits von Kreationismus und Evolutionismus. Im Anschluß an Calvin sind die zentralen Stichworte der Schöpfungsbestimmung der Wille Gottes sowie der Lobpreis seiner Herrlichkeit. Die "charismatische Sicht" des Vf.s wird am deutlichsten in denjenigen Kapiteln des Buches, die die Themenbereiche "Wunder" (191 ff) und "Engel" (231 ff.) behandeln. Hier gewinnt sein Gedankengang eine unverkennbare, die Anliegen der charismatischen Erneuerung verteidigende Struktur, insbesondere gegenüber den Einsprüchen einer dispensationalistisch orientierten Schrifthermeneutik. Vor allem im Kapitel über die Wunderfrage beschäftigt sich der Vf. ausführlich mit der These, daß die die apostolische Verkündigung begleitende Wundergabe auf die Frühzeit der Kirche beschränkt sei. Die Stimmen Luthers, Calvins, Wesleys und vor allem B. Warfields werden herangezogen, um eine die Wunder in der nachapostolischen Zeit verneinende Sicht zu demonstrieren, die dann mit Emphase abgelehnt wird. Kritisch äußert sich der Vf. in diesem Zusammenhang auch zu evangelikalen Stimmen, die die in der Bibel bezeugten Wunder verteidigen, zugleich jedoch ihr Fortbestehen in der Geschichte der Kirche und der heutigen Gemeinde verneinen. Im Blick auf die charismatische Erneuerungsbewegung bemerkt er, daß hier das christliche Zeugnis, wie in Mk 16,17 berichtet, von Wundern begleitet ist. "Wer an der Erneuerung teilhat, bestätigt eindeutig, daß es weiterhin Wunder gibt ... Darum war das Ende von Wundern niemals das Werk des Herrn, sondern es handelte sich um ein Versagen des Volkes Gottes" (228). Solche Thesen kommen ganz aus der vom Vf. vorausgesetzten charismatischen Plausibilitätsstruktur. Die jeder Hermeneutik zugrundeliegende Verhältnisbestimmung von gegenwärtiger Erfahrung und Textwahrnehmung gewinnt dabei keine reflexive Gestalt und wird vernachlässigt. Auch wird den Erfahrungen von bleibender Krankheit und anhaltender Begrenzung keine weitergehende Beachtung zuerkannt.

Stellt man das Buch des Vf.s in den Kontext gegenwärtiger systematisch-theologischer Entwürfe, fällt sein primär reproduktiver Charakter ins Auge, seine Orientiertheit an traditionellen Themen und Inhalten und seine spezifisch charismatisch motivierten Perspektiven. Zwar fordert der Vf. von der Systematischen Theologie Zeitgenossenschaft, er selbst praktiziert diese jedoch nur begrenzt. Die Überlegungen greifen eklektisch moderne Fragestellungen auf, artikulieren christliche Orientierungen jedoch ohne nähere Berücksichtigung der modernen exegetischen und systematischen Diskussion. Herausforderungen und Fragestellungen, die mit der Aufklärungskultur und dem historischen Bewußtsein zusammenhängen, Phänomene wie der moderne Atheismus, die Renaissance des Religiösen wie auch seine unverkennbare Pluralisierung, berühren Gestalt und Anliegen der Ausführungen des Vf.s praktisch nicht; sie verbleiben gleichsam in einem vorpluralistischen Kontext.

Bestimmend in der Darlegung der Themen ist das Aufzeigen biblischer Zusammenhänge und ein Rekurs auf lehrmäßige Ausdrucksformen der reformatorischen Theologie, insbesondere in der reformierten Gestalt. Liest man sein Buch im Zusammenhang der Ausdrucksformen charismatischer Frömmigkeit, kann man ihm durchaus bescheinigen, daß es innerhalb einer weit verbreiteten und ökumenisch höchst bedeutsamen Frömmigkeitsbewegung ­ deren Anliegen und Stärke nicht auf dem Gebiet theologischer Reflexion liegt ­ einen sinnvollen Beitrag leistet, die eigene Glaubenserfahrung in einen größeren theologie- und frömmigkeitsgeschichtlichen Kontext einzuordnen.