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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1066–1068

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hoping, Helmut [Hrsg.]:

Titel/Untertitel:

Konfessionelle Identität und Kirchengemeinschaft. Mit einem bibliographischen Anhang zu »Dominus Iesus«.

Verlag:

Hrsg. unter Mitarbeit von J.-H. Tück. Münster-Hamburg-London: LIT 2000. 146 S. gr.8° = Studien zur systematischen Theologie und Ethik, 25. Kart. Euro 15,90. ISBN 3-8258-4866-3.

Rezensent:

Theodor Dieter

Der Band enthält drei Vorträge, die bei der Eröffnungstagung des Ökumenischen Instituts Luzern am 30. Oktober 1999 unter dem Thema »Konfessionelle Identität und Kirchengemeinschaft« gehalten wurden, und zwei ergänzende Studien.

Die Studie des katholischen Theologen Jan-Heiner Tück, »Abschied von der Rückkehr-Ökumene. Das II. Vatikanum und die ökumenische Öffnung der katholischen Kirche« (11­52), beginnt mit einem informativen Rückblick auf »Das Einheitsmodell der katholischen Kirche vor dem II. Vatikanum«, das die »Einheit durch Rückkehr« vor Augen hatte (15­23). Diese Erinnerung ist nützlich, um nicht zu vergessen, welch weiten Weg die römisch-katholische Kirche bis zu den Dokumenten des II. Vatikanums zurückgelegt hat. In einem zweiten Teil belegt Tück die These, dass dieses Konzil das »traditionelle Modell der Rückkehr-Ökumene fallengelassen« (13) und die nichtkatholischen Kirchen neu gewürdigt hat (23­43). Tück will dabei nicht einer »Hermeneutik des Bruchs« folgen, sondern annehmen, dass auf dem Konzil »das überkommene Selbstverständnis der Kirche nicht von Grund auf in Frage gestellt wurde« (24). Tück erläutert das »subsistit« in Lumen gentium 8 als »vorsichtige Zurücknahme des exklusiven Kirchenverständnisses« (30), was »den Freiraum eröffnet, Elemente der Heiligung und Wahrheit auch in nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften anzuerkennen« (29).

Die hier zu erörternden Themen werden sorgfältig dargestellt. Was man sich wünschte, wäre eine tiefer gehende Analyse, wie die »Abkehr vom Modell der Rückkehr-Ökumene« und »die in der Tradition verankerte Lehre vom einzigartigen Status der katholischen Kirche« (41) zusammen gedacht werden können. Dieser Wunsch wird noch stärker im dritten Teil (43­52), der sich mit »Dominus Iesus« und der durch diesen Text ausgelösten Debatte beschäftigt. Die in ihm gegebene Interpretation des »subsistit« wird als eine mögliche Lesart von Lumen gentium 8 verstanden, auch wenn Tück sie nicht favorisiert. Hier wäre eine genauere Verhältnisbestimmung der Interpretationen von Lumen gentium 8 wichtig gewesen, um die These von der Abkehr von der Rückkehr-Ökumene im II. Vatikanum präzise zu formulieren und ausreichend zu begründen. Ist diese Abkehr möglicherweise unvollendet geblieben und die Frage nicht wirklich gelöst, so dass es jetzt Sache der Kirchenpolitik (und der Kirchenlehre-Politik!) ist, die Gewichte entweder nach der einen oder nach der anderen Richtung zu verschieben? ­ Problematisch ist es auch zu sagen, »dass ein ekklesiologischer Relativismus, der die eine Kirche Jesu in der Vielfalt der christlichen Konfessionskirchen gleichermaßen verwirklicht sieht, mit dem Selbstverständnis der katholischen Kirche unvereinbar ist« (49, vgl. schon 41). Evangelische Kirchen brauchen nicht auf dem »gleichermaßen« im Zitat zu bestehen, denn wenn sie von sich als »simul iusta et peccatrix« sprechen und das »ecclesia semper reformanda« betonen, werden sie nicht zögern, ekklesiale und sogar ekklesiologische Defizite und Defekte in sich wahrzunehmen und zuzugeben, dass die Kirche Jesu Christi in ihnen nicht immer voll verwirklicht ist. Warum sonst wären sie immer der Reformation bedürftig? Aber sie werden energisch widersprechen, wenn mit dem Etikett »ekklesiologischer Relativismus« die Auffassung versehen wird, dass da, wo außerhalb der römisch-katholischen Kirche die Kirche gründenden Elemente der rechten Evangeliumsverkündigung und der rechten Spendung der Sakramente in Kraft stehen, auch Kirche Jesu Christi verwirklicht ist. Immerhin ist ja auch das Konzil zu dem Urteil gekommen, dass der Heilige Geist sich nicht weigert, ihre Gemeinschaften »als Mittel des Heils zu gebrauchen« (UR 3,4). Die ohne weitere Diskussion und vor allem ohne Differenzierung übernommene Formel vom »ekklesiologischen Relativismus« passt nicht gut zur Rede von der Abkehr von der Rückkehr-Ökumene.

In seinem Aufsatz »Katholische Einheitshoffnung und Entkonfessionalisierung« (53­69) zeigt Markus Ries am Beispiel der Schweiz in aufschlussreicher Weise, wie sehr die Entwicklung der Ökumene auch von regionalen Gegebenheiten und ihren Wandlungen bedingt ist: vom Ende des so genannten »zweiten konfessionellen Zeitalters« (1840­1950), das zur Ausbildung einer »katholischen Sondergesellschaft« (vgl. 55) geführt hatte, auf Grund der breiteren sozialen Integration von Katholiken, und heute umgekehrt vom Prozess der Entkonfessionalisierung, der das ökumenische Problem zum Verschwinden zu bringen scheint: »Reformiert und Katholisch sind im Blick auf die Inhalte des tatsächlich Geglaubten je länger je weniger zu unterscheiden Š Weit rascher als Kirchenleitungen und theologisch Interessierte mit dem Brückenbau vorankamen, verschwand in der alltäglichen Wahrnehmung der zu überwindende Graben.« (67)

In seinem Beitrag »Resistenz und Konvergenz. Zur Gesprächskultur reformierter Ekklesiologie« (71­87) sieht Klauspeter Blaser den »Wille[n] zur Konvergenz« als »ein Merkmal reformierter Ekklesiologie« (75). Er exemplifiziert ihn am Consensus Tigurinus (1549) als frühem Beispiel für »versöhnte Verschiedenheit« wie an der »Leuenberger Konkordie« (1973). Die Spannung von Konvergenz und Resistenz erläutert er an der unterschiedlichen Stellungnahme von reformierten Kirchen zu den ersten beiden Teilen der Lima-Dokumente (weitgehende Zustimmung zum Tauf- und Herrenmahlsdokument) und zu deren letztem Teil (Widerspruch gegen das Amtsdokument). In den vier abschließenden, eher systematischen Überlegungen (»Christliche Identität zwischen Konfessionalismus und Pluralismus«) müsste geklärt werden, wo und inwiefern Reformierte Konvergenz suchen und wo und inwiefern sie Resistenz praktizieren und aus welchem Grund sie das tun. Was zu Inhalten und Begründung gesagt wird, bleibt eher vage. Die gravierenden ökumenischen Probleme aber würden erst in der Näherbestimmung des Gesagten diskutierbar werden. So wird auch nicht recht klar, wie sich »christlich« und »reformiert« nach Meinung Blasers zueinander verhalten.

Helmut Hoping erörtert in einem sehr erhellenden Text das Problem, das das Papstamt für den Weg der Kirchen zur Einheit darstellt, und zwar in der Unterscheidung von Petrusdienst und Papstamt: »Einheit der Kirchen und Petrusdienst. Zur ökumenischen Zukunft des Papstamtes« (89­108). Er beginnt programmatisch so: »Der Leib Christi, der die Kirche ist, manifestiert sich in verschiedenen Kirchen. Zum Leib Christi gehört nicht nur die Einheit, sondern gleichursprünglich die Verschiedenheit.« (91) Das kirchliche Amt dient mit Evangeliumsverkündigung und Sakramentenspendung der Einheit der Kirche von der Gottesdienstgemeinde bis zur universalen Kirche, was auch Lutheraner ­ anders als Reformierte ­ akzeptieren können. Zum Petrusdienst nach dem Neuen Testament gehören die Aufgabe, die Brüder im Glauben zu stärken, eine Sprecherrolle für die Zwölf und die Aufgabe der Überlieferung und Auslegung des Evangeliums.

Historisch-kritisch ist nicht haltbar, dass »gemäß den Zeugnissen des Evangeliums« dem Petrus »unmittelbar und direkt« der »Jurisdiktionsprimat über die gesamte Kirche Gottes Š verheißen und übergeben« (vgl. 97, zitiert ist DH 3053) sei. Für eine »Gemeinschaft geeinter Kirchen« ist nach katholischem Verständnis ­ so Hoping ­ allerdings die Anerkennung notwendig, dass ein solcher Dienst ­ unter dem Evangelium ­ »zur bleibenden Verfassung der Kirche Jesu Christi gehört und aus historischen Gründen dem Bischof von Rom zukommt« (98). Dieser Petrusdienst kann freilich nicht nach dem »gegenwärtige[n] Modell der päpstlichen Pastoralmonarchie« (105) gestaltet sein. Tiefgreifende Umstrukturierungen und ein neues Selbstverständnis würden notwendig sein. Freilich soll das »Wesentliche« des Petrusdienstes im Papstamt bewahrt werden (»Ut unum sint«, Nr. 95). Die Frage zu beantworten, worin dieses »Wesentliche« besteht, »ist Aufgabe aller Theologen, die von einer ökumenischen Zukunft des Petrusdienstes überzeugt sind und deshalb dem römischen Bischof in einer Gemeinschaft geeinter Ortskirchen eine unverzichtbare Funktion zusprechen« (108).

Urs von Arx bietet eine aufschlussreiche Studie »Identität und Differenz. Elemente einer christkatholischen Ekklesiologie und Einheitsvision« (109­136). Seine »ekklesiologische Skizze« (114) fragt, wo die vorgegebene Einheit der Kirche zu entdecken sei. Dazu setzt sie bei der Lokalkirche an (»Bistum«). Die personale episkopé in ihr wird von einem Bischof/einer Bischöfin, eingebunden in ein synodales Gefüge, wahrgenommen, wobei alle Getauften an Leben und Leitung der Kirche partizipieren sollen. Diese Lokalkirche ist gleichzeitig mit der Universalkirche (genauer: der universalen Gemeinschaft von Lokalkirchen) und identisch mit ihr, wobei es verschiedene zwischen der lokalen und universalen Dimension der Kirche vermittelnde Organisationsgestalten von Lokalkirchen geben kann. Sie sind gegenwärtig nur teilweise realisiert. Von Arx ist skeptisch gegenüber den Aussichten einer ökumenischen Reflexion auf eine neue Ausübung des päpstlichen Primats, wie sie »Ut unum sint« erbittet. In jene Skizze wird die Frage von Identität und Differenz so eingezeichnet, dass die Lokalkirchen, die in Kirchen- und Eucharistiegemeinschaft miteinander stehen, sich als theologisch identisch mit Bezug auf Glauben, Gottesdienst und Amt erkennen. Da sich diese drei Größen jedoch in unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen und kulturellen Kontexten artikulieren, kommt es zu einer Vielfalt, die immer wieder nach dem Wesentlichen im Vielen fragen lässt und Unterscheidungen (etwa zwischen dogma und theologoumena) zu treffen nötigt. Die Frage, wie mit verschiedenen konfessionellen Traditionen an einem Ort umgegangen werden soll, lässt von Arx am Schluss offen, freilich in der berechtigten Erwartung, dass seine Studie Mittel zu ihrer Beantwortung bereitstellt.

Die erwähnten Texte sind eher locker auf das Thema »Konfessionelle Identität und Kirchengemeinschaft« bezogen. Sie bilden weniger ein Ganzes als vielmehr ein Kaleidoskop, was aber gerade den Reiz dieses anregenden Buches ausmacht.