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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1060 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Heimbrock, Hans-Günter:

Titel/Untertitel:

Religionsunterricht im Kontext Europa Einführung in die kontextuelle Religionsdidaktik in Deutschland.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2004. 254 S. m. Abb. gr.8°. Kart. Euro 22,00. ISBN 3-17-018290-0.

Rezensent:

Peter Schreiner

Das Buch des Frankfurter Praktischen Theologen und Religionspädagogen leuchtet das Feld einer kontextuellen Religionsdidaktik aus verschiedenen Perspektiven und in regionalen, gesamtkulturellen und europäischen Horizonten aus. Es hat den Anspruch eines Lern- und Studienbuches auch für die Lehrerbildung. Hilfreich sind dazu die Einleitungen, Zwischenbilanzen und Anregungen zur Eigenarbeit. Ergänzend zu dem Buch wird auf eine Internet-Seite (Homepage) verwiesen, die sich über www.kohlhammer.de erschließen lassen soll. Hier werden teils zusätzliche Materialien angeboten, teils werden Texte aus dem Buch wiederholt.

Eine kontextuelle Religionsdidaktik bezieht Religion eng auf den Lebenszusammenhang und auf lebensweltorientierte Lernprozesse. Dabei kann sich »Kontext« beziehen auf einen Text, auf das Subjekt oder auf die Perspektive der Lebenswelt. Das Buch zeigt ein Interesse an Europa, religionspädagogisch, kulturell und theologisch. Der lebensweltorientierte Ansatz, den H. religionspädagogisch und theologisch favorisiert, wird »im Kontext Europa« verortet. Der europäische Horizont wird als »Lernchance für die Religionspädagogik« (26) eingeführt. Zunächst wird »Europa« in geographischer und kultureller Hinsicht beschrieben. 12 nationale bzw. regionale (Zürich) Kontexte des Religionsunterrichts in der Schule werden vorgestellt. Der Blick »über den eigenen Tellerrand« soll dazu verhelfen, die eigene Situation kritisch zu beleuchten.

Gefragt wird dann, welchen Beitrag Religion im Integrationsprozess Europas »spielen« kann. Das Plädoyer für mehr Beachtung von Religion in europäischen Diskussionen bleibt vage. Kapitel 2 stellt den Kontext Schule in religionspädagogischer Perspektive dar und führt dazu mit erfahrungsnahen Beschreibungen des schulischen Alltags ein. Darauf werden unterschiedliche Theoriemodelle von Schule bezogen, die eine Konzentration der Schule auf ihre wesentliche Aufgabe des Unterrichtens einfordern (Giesecke), Schule als Lern- und Lebensraum hervorheben (H. v. Hentig) oder zur Bildung von Kultur beitragen sollen (Norwegen). Im Zusammenhang von »Schule, Bildung und Religion« wird die EKD-Denkschrift »Identität und Verständigung« (1994) zum Religionsunterricht vorgestellt und anhand aktueller Diskussionen eine neue Wahrnehmung und Gestaltung von Religion in der Schule gefordert. Das Modell einer interreligiösen Schule in den Niederlanden (82 ff.) wird vorgestellt, ohne allerdings zu erwähnen, dass dieser bemerkenswerte Versuch letztlich in der Praxis gescheitert ist. Reichhaltig wird im folgenden Kapitel argumentiert, dass die moderne Stadt ein besonders instruktives Lernfeld für die kontextuelle Wahrnehmung von Religion ist.

Mit »Kontext und Kontextualität«, »Kultur« und »Religion« werden in den folgenden Kapiteln drei zentrale Begriffe des Ansatzes kontextueller Religionsdidaktik erläutert. Sie lesen sich als fundierte Einführung in die bestehende Diskussionslage. Erkennbar werden ein komplementäres Verständnis von Kontext und Kontextualität, ein breiter Kulturbegriff und ein dynamisches Verständnis von Religion als Bestandteil von Kultur.

Für die Religionspädagogik ergeben sich für H. daraus als zentrale Aufgaben: 1. Religiöse Lesefähigkeit als Kulturtechnik; 2. Wahrnehmung der Veränderungen an Weltbildern und Religionen; 3. Kultivierung von Differenz.

H. entfaltet einen »doppelten« Religionsbegriff, der seinem Konzept zu Grunde liegt. Seine Ausgangsdefinition »Religion ist Ausdruck von Differenz« und »Religion thematisiert das Ganze« wird erläutert und weiterführend mit den Schlüsselbegriffen Säkularisierung, Synkretismus und Modernität diskutiert. Er argumentiert gegen die These des Religionsverlustes und führt »Synkretismus« als adäquatere Beschreibung ein.

Das abschließende Kapitel »Religionsunterricht als regionale Didaktik« konkretisiert den Ansatz kontextueller Didaktik in unterrichtspraktischer Weise. H. argumentiert, dass man die kontextuelle und lebensweltliche Orientierung des Religionsunterrichts für die Lernpraxis in der Schule unter der Leitformel des Regionalbezugs weiterführen kann. Der Begriff Religion ist somit in sozialökologischer, lebensweltlicher und didaktischer Hinsicht zu klären. Der Bezug auf Heimat, auf den Nahbereich, auf Konzepte des sozialen Wandels verbindet sich zu einem kritischen Lebensweltansatz, der immer schon über Lebenswelt hinausblickt. Warum allerdings eine Lebensweltorientierung eine »reflexive Brechung des Selbstverständlichen« (216) bedeuten soll, bleibt unklar. Religionspädagogisch wird ein weltoffenes und kritisches Heimatverständnis gefordert, denn »Beheimatung ist immer auch ein Stück Heimat in der Fremde, Durchgang und Passage, magische Anziehung und Flucht zugleich« (217).

Auch wenn es einem Lern- und Studienbuch durchaus angemessen ist, viel mit Fragen zu arbeiten und keine vorschnellen Antworten zu geben, so könnte doch erwartet werden, dass dem im Titel des Buches erwähnten »Kontext Europa« mehr Aufmerksamkeit zukommt. Das beginnt mit der Vermeidung überflüssiger Fehler, so wenn der Europarat mit dem Europäischen Rat (24) verwechselt wird oder wenn auf der gleichen Seite die Einwohnerzahl Europas mit 300 Mio, die der EU jedoch mit 480 Mio angegeben wird.

Die Darstellung der Situation des Religionsunterrichts in 12 Ländern gerät zu knapp, als dass wirklich ein substantieller Eindruck gewonnen werden könnte. Auch verwischt die herausgestellte »Besonderheit« eines konfessionellen Religionsunterrichts wie in Deutschland das Faktum, dass die Mehrzahl der bestehenden Modelle in Europa nach wie vor konfessionell ausgerichtet sind. Hinzu kommt, dass sich der »medial-innovative« Charakter des Studienbuches, der in der Verknüpfung zu einer im Internet zur Verfügung stehenden Homepage bestehen soll, nur mit Hilfe einer Suchmaschine erschließen lässt, nicht jedoch direkt über die angegebene Seite des Verlages. Studierenden ist da Ausdauer zu wünschen, um solche Hürden überwinden zu können.