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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1053–1055

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wallich, Matthias:

Titel/Untertitel:

@-Theologie. Medientheologie und Theologie des Rests.

Verlag:

St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2004. 752 S. 8° = Mannheimer Studien zur Literatur- und Kulturwissenschaft, 34. Kart. Euro 48,00. ISBN 3-86110-377-X.

Rezensent:

Burghard Bock

Mit einer erstaunlichen, im Jahr 2003 eingereichten Arbeit wurde der Systematische Theologe Matthias Wallich für »Christentum und Kultur« am Saarbrücker Institut für Katholische Theologie habilitiert. Buchhandel.de und Amazon.de listen den Autor der über 750 Seiten lediglich als Herausgeber. Ebenfalls ungewöhnlich wirkt für einen theologischen Entwurf die Erscheinungsweise in einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Reihe. Ein Herausgeber dieser Reihe, Jochen Hörisch, wird jedoch neben den Gutachtern Gotthold Hasenhüttl und Karl-Heinz Ohlig als akademischer Vater genannt.

W. untersucht die Schnittstellen (von ihm als »zusammenführende Nahtstellen« interpretiert), die eine Medientheologie mit den Themenfeldern Medientheorien/Konstruktivismus, Postmoderne und Psychoanalyse verbinden, um neue Verstehensmöglichkeiten zu eröffnen. Das opus magnum möchte als »medientheologischer Gesamtentwurf« (17) »eine systematische Aufbereitung fundamentaltheologischer Grundprobleme der Mediengesellschaft leisten« (15).

Die erörterten Medientheorien sind nicht empirisch orientiert und sollen einen Transfer zur Theologie in Aussicht stellen. Trotz ihres Umfangs ruht die Untersuchung bei historischen Themen auf bisherigen historisch-kritischen Ergebnissen und existenzialen Interpretationen. Auch Medienethik wird nicht behandelt. Das Ergebnis soll keine ausgefeilte Dogmatik sein, sondern »die fundamentale Anbindung der Medientheologie an die einzelnen dogmatischen Traktate« (31) erzielen. Denn: »Es reicht für das Christentum nicht aus, die neuen Medien zu nutzen. Zu einer für seine Fortexistenz erforderlichen Inkulturation muss es sich mit neuen Kulturräumen auseinandersetzen« (68).

Die Grundlegung der @-Theologie folgt keiner klassischen Anordnung der dogmatischen loci. Es gibt drei Hauptteile (I., III., V.), die von zwei so genannten Passagen (II., IV.) unterbrochen werden ­ diese beiden Zwischenteile sollen die Hauptteile sowohl zusammenfassen als auch vorbereiten. Der erste dogmatische Hauptteil (I., 31­142) enthält je ein Kapitel (samt maßgeblichen Gewährsleuten) zu medienanthropologischen (N. Bolz, D. de Kerckhove, J. Baudrillard), medienekklesiologischen (B. Groys, P. Weibel) und medieneschatologischen (u. a. M. McLuhan, V. Flusser, F. Hartmann, P. Virilio) Aspekten. Er korrespondiert dem zweiten dogmatischen Hauptteil (V., 481­713). Dieser besteht aus vier Kapiteln, die sich den Spezifika der @-Theologie hinsichtlich der Sakramentenlehre (J. Hörisch), des Offenbarungsverständnisses (Konstruktivisten, Virtualitätstheoretiker), der Christologie (M. Serres, S. Zizek) sowie schließlich der Gotteslehre (P. Sloterdijk) nähern.

Die zwei Passagen verknüpfen die dogmatischen Hauptteile mit dem mittleren Hauptteil, der die @-Theologie medienhermeneutisch begründen soll. Die erste Passage (II., 143­218) spannt in drei Kapiteln zunächst den Problemhorizont auf, erläutert dann zwölf Thesen zur Strategie der @-Theologie und nennt schließlich deren Programm. Der mittlere Hauptteil (III., 219­460) erläutert in wiederum drei Kapiteln die Grundlagen der Hermeneutik, entwickelt als Basis einer Medientheologie eine Theologie der Beziehung und deutet @-Theologie dann als Theologie des a (benannt nach dem ðObjekt aÐ bei J. Lacan und S. Zizek), d. h. als »Theologie des Begehrens«. Die zweite Passage (IV., 461­480) diskutiert als retardierendes Moment vor dem letzten Hauptteil (V., s. o.) medientheologische Optionen.

Was ist angesichts der Fülle des aufgearbeiteten Materials nun die @-Theologie? Folgt man dem Programm am Ende der ersten Passage, eruiert sie »die Herausforderungen und Chancen der Theologie« angesichts der »neuen Bedingungen der globalisierten Informations- und Medienkultur« (205). Die folgenden Seiten apostrophieren sie weiterhin u. a. als relationale Theologie, Interface-Theologie, typisch westliche Theologie, keine A-Theologie (von der Tod-Gottes-Theologie herkommend nach Th. J. J. Altizer und Mark C. Taylor), Theologie der Faktizität, nicht originell, eine Proto-Theologie, Theologie der Frage, schwache Theologie, Sinnwissenschaft, Theologie im Anschluss, offene Netztheologie ohne autoritäre Absicherung, Recycling-Theorie, ðwork in progressÐ, aktuelle Form der Apokalyptik, hermeneutische Theologie, einmal mehr: Theologie des Begehrens, Theologie der Unmöglichkeit und eine unmögliche Theologie, und, wie im Titel, Theologie des übersehenen Rests. Das sind eine Menge Verstehensmöglichkeiten, postmodern inspiriert vom »mediale[n] Umfeld der Clip- und Zapp-Kultur« (13). Sie verdunkeln etwas die so genannte Grundformel »Christentum als Wertschätzung/Universalisierung des ausgeschlossenen Partikularen, des Rests« (31) ­ quasi eine für das 21. Jh. tiefer gelegte vorrangige Option für die Armen. Dabei gerät die durchgehende, immer ja auch normative Beschreibung der »Disneyfizierung« unserer »weichen Klick-Kultur« (63 u. ö.) zur stereotypen Kulturkritik, obwohl wir doch über die Zukunft und darüber, wer oder was in welcher Perspektive gerade der ausgestoßene Rest ist, keine Gewissheit haben können: Gebildeten Kirchenvätern wie Hieronymus und Augustin erschien das Neue Testament anfangs als viel zu vulgär, um sich damit zu beschäftigen. Die Geschichte ging dann anders weiter. Insofern wäre eine @-theologische Ethik von Interesse.

Der (teils spielerische) Umgang mit dem Klammeraffen @ (vgl. z. B. 144f. 208.212) überfordert den überdeterminierten, rauschenden Signifikanten. Die sechs Belege für seine angebliche Inflation im Printbereich (18 u. 144, Anm. 8) erschienen alle während der Börsenblase 1998­2000 (wobei u. a. die Zeitschrift »Konr@d« schon Ende 1999 eingestellt wurde und »Homo s@piens« von R. Kurzweil im Original lediglich »The Age of Spiritual Machines« heißt). Andere für Marketingzwecke umkringelte Minuskeln (Beispiele: http://www.tzi.de/~jeronimo/gdm/album.htm) hängen in Gestaltung und Bedeutung zwar vom @ ab, zeigen aber ebenfalls seinen inzwischen eingeebneten Rang. Trotzdem ist das @ als Zeichen und Nicht-Zeichen interessant: ð@-TheologieÐ findet man in Online-Katalogen am besten per Suchwort ðAt-Ð oder ðat-TheologieÐ (obwohl sie nichts mit der AT-Theologie des Rests bei Jesaja und Micha zu tun hat) ­ und ein @ bei Google eingegeben ergibt: Nichts. Das @ existiert gewissermaßen zwischen 0 und 1 und scheint gut zu der Theologie zu passen, die W. als angemessen für die Zukunft vorschlägt.

Die @-Theologie soll sich als anschlussfähig erweisen, sperrt sich jedoch durch das Überangebot an Material und die Vielfalt der in der Theologie bisher kaum eingeführten Sprachspiele (die bei der Lektüre schon auch die Trennung von inhaltlicher Darstellung und Einordnung des Autors verschwimmen lassen können) ­ sowohl für Interessenten innerhalb als auch außerhalb von Theologie und Kirche. Es handelt sich um eine Investition in die Zukunft, von der nicht klar sein kann, ob sie sich auszahlen wird.

W.s Buch lädt ein zu einer Gratwanderung, die große Mühen abverlangt, aber bei der auch frischer Wind zu erwarten ist: Vor allem die monumentale Aufarbeitung von und Anschlusssuche für Medientheorien sowie der anregende Versuch (der allein schon eine Monographie in der Monographie darstellt), die (Neo)Psychoanalyse samt ihres Vor- und Querdenkers Slavoj Zizek ins Gespräch mit verschiedenen dogmatischen Aspekten zu bringen, versprechen in der Tat neue Verstehens- und Fragemöglichkeiten. Auf die sollte sich einlassen, wem etwas an der Zukunft von Theologie und Kirche liegt. Man sollte allerdings bedenken, dass irgendwie alles mit allem zusammenhängt und eine Überwahrnehmung von Beziehungen als Pathologie gedeutet werden kann: Nach Luhmann entsteht anschlussfähiger Sinn durch Komplexitätsreduktion.