Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1050 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Nicol, Martin, u. Alexander Deeg:

Titel/Untertitel:

Im Wechselschritt zur Kanzel. Praxisbuch Dramaturgische Homiletik.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 208 S. gr.8°. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-525-60257-X.

Rezensent:

Reiner Marquard

Martin Nicol hat 2002 seine programmatische Schrift zur ðDramaturgischen HomiletikÐ (Einander ins Bild setzen, Vandenhoeck & Ruprecht) veröffentlicht. Impulse vornehmlich aus den USA und Kanada (New Homiletics) führen zur Frage nach einer sog. erneuerten Homiletik. In dieser Homiletik, die an die Grammatik des Filmemachens angelehnt ist, spielen Fragen der Didaktik eine entscheidende Rolle: ðMoves & StructureÐ werden zu Deutewörtern einer Homiletik, die einen Wechsel zum ästhetischen Paradigma vom »RedenÜber« (Predigt als Vortrag) zum »RedenIn« (Predigt als Inszenierung) vollzieht. Rezeptionsästhetik ist längst in der Homiletik etabliert. Nicol/Deeg dynamisieren den Schub. Schon die formale Gestaltung einer am Internet orientierten Buch-Ästhetik wie die sprachlich am Feuilleton angelehnte (neue) theologische Sprachlehre lassen aufmerken. Das neue Buch ist weniger am Schreibtisch als im Atelier entstanden. Es ist ein Werkstattbericht über die Erlanger (und die mittlerweile hinzugekommenen Braunschweiger) homiletischen Erkenntnisgewinne, die über das erste Stadium zaghafter (Selbst-)Versuche hinausgekommen sind. Nachdem noch einmal die Grundbegriffe Dramaturgischer Homiletik entfaltet werden (ðHomiletik & HermeneutikÐ), beginnt sozusagen der im Titel angezeigte Wechselschritt Tempo aufzunehmen: »Wort & Move« (Von der bewegten Bewegung); »Titel & Mittel« (Von Gehalt und Sprachgestalt); »Moves & Structure« (Vom Teil und dem Ganzen); »Bibelwort & Kanzelsprache« (Vom Wechselspiel der Texte); »Künstlerwort & Kanzelsprache« (Vom eigenen und geliehenen Wort); »Ritual & Rede« (Von Predigt und Liturgie); »Predigt & Person« (Vom Reden und Hören). Das Herzstück des Buches sind sog. »Homiletische Werkstücke« (11): Auszüge aus Predigten, Andachten, Ansprachen, Gedichten, journalistischen Texten, Verweise auf Musikstücke und Filmszenen ­ ein reichhaltiges Repertoire von ðMusterMovesÐ aus allen möglichen Stilrichtungen ­ fermentieren die einzelnen Kapitel mit kommentierenden Anmerkungen. Das Buch ist leicht und unbeschwert lesbar. Es atmet den Geist einer geradezu leidenschaftlichen Freude an homiletischer Atelierarbeit; es hat Esprit!

Woran sollte im homiletischen Atelier weiter gearbeitet werden? Karl Barths Diktum von 1922 (Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie), dass wir beim Predigen etwas sollen, was wir nicht können, und im Wissen um beides Gott die Ehre geben, stellt ja die Frage nach der hermeneutischen Funktion der Distanz im Predigtgeschehen. Was ist gegenüber der Warnung Barths (Homiletik [1932/33.1966]) vor einer »Zwischenhandelsfunktion« (a. a. O., 8; Nicol/Deeg, 113) des Predigenden das von Nicol/Deeg geforderte »echte, freie Wechselspiel zwischen Bibelwort und unserer Sprache« (ebd.), wenn die Predigt-Sprache durch ein Wechselspiel zur Bedeutungsträgerin der metaphorischen (Christus-)Prädikation wird? Nicol/Deeg warnen zu Recht vor »vereinnahmender Distanzlosigkeit« (108) ­ was heißt demgegenüber aber dann »die Kanzelrede auf ein Bibelwort [zu] fokussieren« (121)? »Gott als Geheimnis der Welt« (Nicol/Deeg verweisen [14.18.151] gerne auf den Titel des gleichnamigen Buches von Eberhard Jüngel [1977]) darf nicht zum homiletischen Rätsel ermäßigt werden, das dann im Sinne einer dramaturgischen Performance literarisch aufgelöst erscheint. Nicol/Deeg warnen zwar immer wieder vor diesem Fehlgriff, können aber trotz allen Beteuerungen nicht präzise bestimmen, was metaphorische Rede ist. »In Metaphern denken« (43; vgl. auch 29 f.64.148.194) kann nicht bedeuten, dass zwischen Wirklichkeiten gewechselt wird (29), sondern dass der Wirklichkeit unter metaphorischer Rede ein Wahrheitsbezug angeboten wird, der nicht anders als metaphorisch zum Ausdruck gebracht werden kann. Was zum Ausdruck gebracht wird, präsentiert sich als Erkenntnis- und Erfahrungsgewinn, es entzieht sich aber zugleich in der metaphorischen Rede einer homiletischen Instrumentalisierung. D. h. aber dann, dass metaphorische Rede keine Methode ist, sondern wesentlich theologische Grammatik, in der sich aussagt, als was Gott wer ist. Das Problem der Homiletik ist nicht die Homiletik an sich, sondern das Wort vom Kreuz, dessen homiletische Relevanz sich an 2Kor 12,9 zu bewähren haben müsse.

»Die Ausarbeitung einer theologischen Metaphorologie ist sowohl für die Dogmatik als auch für die Praktische Theologie ein dringendes Desiderat.« Das Zitat ist über 30 Jahre alt. Eberhard Jüngel hatte mit diesem Diktum seinen Aufsatz Metaphorische Wahrheit (1974) beschlossen. Es kann sein, dass die evangelische Homiletik vor einem großartigen Aufbruch steht, der unseren Gottesdiensten und unserer Kirche gut anstünde. Martin Nicol und Alexander Deeg sind ernsthafte Protagonisten dieses Aufbruchs. Wer gerne predigt und trotzdem mit seinem Predigen Mühe hat, wer unter dieser Aufgabe bleiben will (Tilmann Riemenschneider hat auf seinem Rothenburger Heiligblutretabel den Jünger Johannes unter die Hand Jesu skulptiert ­ dorthin, wo die Predigenden hingehören!), der wird dankbar zu diesem Buch greifen und neugierig auf das nächste warten.