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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1042–1044

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hosselmann, Roland:

Titel/Untertitel:

Wende zur kultischen Ontologie im Anliegen des Heils.

Verlag:

Eine kontroverstheologische Erinnerung an Hans Asmussen. Münster: LIT 2004. 358 S. gr.8° = Studien zur systematischen Theologie und Ethik, 40. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-8258-7175-4.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Diese Untersuchung zu Hans Asmussen, die im Sommer 2003 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät Münster (Eckhard Lessing) als Dissertation angenommen worden ist, will sowohl an Asmussen erinnern als auch die These erhärten, dass die Gründe dafür, dass er in Vergessenheit geraten ist, nicht nur in der Ablehnung seiner theologischen Aussagen durch seine Zeitgenossen zu suchen sind, sondern in seiner Hinwendung zu einer kultischen Ontologie theologisch verankert sind. Immerhin war Asmussen wesentlich, wenn nicht sogar ursächlich am Zustandekommen der Barmer Theologischen Erklärung beteiligt und vollzog auf Grund seiner Erfahrungen im Kirchenkampf eine Wende von einer typisch evangelischen Position, das Christusgeschehen aktualistisch zu verstehen, zu einem kultisch-ontologischen Verständnis: In der Kirche, insbesondere mit dem Gottesdienst, wird das Heil abgebildet und vermittelt, da mit Christus das Neue Sein als eine objektive Größe begriffen wird. Daraufhin treten Themen wie das Amt, die Sakramente, die Hagiologie, die Mariologie in den Vordergrund, denn es ging Asmussen um die Sichtbarkeit der Kirche; er hatte die Una sancta im Blick. Das brachte ihm die Ausgrenzung seiner Weggenossen von Barmen und das anschließende Vergessenwerden ein. Doch auf der anderen Seite steht die Hochschätzung, die Asmussen und sein Werk auf katholischer Seite erfahren. Sie ist seit 1940 belegbar und gipfelte in einem Symposion der Katholischen Fakultät in Salzburg zu seinem 100. Geburtstag im Jahre 1998. Eine dort eingerichtete Forschungsstelle widmet sich seinem als ökumenisch begriffenen Werk, denn er wird als lutherischer Konvergenztheologe eingestuft.

Im ersten Teil zeichnet der Vf. in biographisch-zeitgeschichtlicher Perspektive die kirchenpolitischen und die damit verbundenen theologischen Äußerungen Asmussens nach. Er setzt sich dabei kritisch mit anderen biographischen Darstellungen auseinander und bündelt diese Auseinandersetzung in fünf Schwerpunkten: 1. kritische Würdigung der Asmussen-Biographie von E. Konukiewitz, 2. Sturz Asmussens als Präsident der Kirchenkanzlei, 3. Stuttgarter Schuldbekenntnis und Darmstädter Wort, 4. Vorwurf der katholisierenden Tendenzen, 5. Allotria-Vorwurf Barths.

In zweiten, systematisch-theologischen Teil geht der Vf. auf die Wende zur kultischen Ontologie ein, die er für das Jahr 1935 ansetzt: Asmussen erfuhr diese Zeit als Umbruchszeit und beschrieb sie als eine Reaktion auf den Zerfall der Bekennenden Kirche. Er war der Ansicht, dass sich in diesem Umbruch erweisen müsse, dass die Kirche der Leib Jesu Christi ist. Vor 1935 verstand er die Offenbarung als einen unverfügbaren und unmittelbaren Akt: Die Kirche existiere im Akt. Asmussen hob die protestantischen Exklusivpartikel hervor und betonte, dass die Unmittelbarkeit der Offenbarung der Gleichzeitigwerdung mit Christus im Medium der Schrift geschieht. Nach 1935 klangen seine Aussagen völlig anders: Die Kirche existiert ununterbrochen im Gang der Geschichte, die Offenbarung Gottes ist konstant und kausal im Mysterium der Kirche gegenwärtig, was er nun als das Neue Sein begreift. Da sich die Offenbarung in der Kirche, Jesus Christus sich in seinem Leib objektiviert, wird der Satz über die Unverfügbarkeit der Offenbarung aufgehoben, denn im Gefüge der Kirche ist Christus auch eine Gabe, mit der sie umgeht. Die Schrift ist nun die erste Stufe der Tradition. Nach Asmussens eigenen Aussagen kam er zu dieser Wende durch den Kirchenkampf. Im Kampf gegen die DC erkannte er, dass auch eine Selbstkorrektur bisheriger protestantischer Theologie von Nöten war, da Protestanten Kirche werden mussten, um gegen die Kirchenzerstörung zu bestehen. Im Zusammenschluss von Lutheranern und Reformierten für die Aufstellung der Barmer Theologischen Erklärung sah er ein verheißungsvolles Zeichen für diese Selbstkorrektur, das aber weitergeführt werden musste in Richtung Ökumene und Una sancta. Diese Richtung machte er auch in seiner dreibändigen Gottesdienstlehre (1936/1937) deutlich:

Der Gottesdienst wird als etwas Eigenständiges gegenüber dem Bereich der Lehre und Theologie aufgefasst. Der Gottesdienst ist kein Stück angewandter Theologie, sondern die gesamte Theologie, auch die Exegese, Kirchengeschichte, Dogmengeschichte etc., ruht im Gottesdienst. Der Mensch wird als aktives Subjekt dieses Vorgangs erkannt und beim Abendmahl in dessen Opfervorgang integriert. Die Rechtfertigungslehre erhält den Status einer korrektiven Funktion. Asmussen erkannte, dass ein Rückgriff in der Gottesdienstlehre auf die Reformationszeit nicht mehr ausreicht, sondern ihre gesamte Geschichte seit Jesus Christus zu beachten ist. Sein bedeutendstes Werk liegt in der Schrift »Die Kirche und das Amt« von 1939 vor. Darin lehnte er Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche ab, setzte sich mit Calvin und Gerhard auseinander und warf beiden vor, mit dieser Unterscheidung die Säkularisierung der Kirche eingeleitet zu haben. Dagegen wollte er ein Amt(sverständnis) stellen, das die Sakramente einsetzt. Der Amtsträger wird zum Heilsvermittler, der göttliche Kräfte darreichen kann.

Asmussens theologische Aussagen gründen in der Christologie. Der Vf. stellt heraus, dass die Christologie ein Kontinuum im Denken von Asmussen bildet und nicht, wie andere Interpreten meinten, eine ontologische Anschauung, die sich erst nach und nach bei ihm durchgesetzt habe. Auch das Kontinuum des finitium capax infiniti tritt in den Vordergrund, das er gegen das reformierte finitium non capax infiniti verteidigte, wofür er eine Mariologie formulierte. In der Unterscheidung von Kirche und Staat erkannte Asmussen nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches ebenfalls die Unzulänglichkeit der Zwei-Reiche-Lehre.

Der Vf. legt anschließend ausführlich die Struktur der Ontologie dar, wie Asmussen sie in seinen späteren Schriften ausführte. Im dritten Teil der Untersuchung geht der Vf. auf die kontroverstheologische Perspektive ein: auf die Zustimmung, die Asmussen bei katholischen Theologen, und die Ablehnung, die er bei evangelischen Theologen gefunden hat. Danach versucht der Vf. eine Synthese, die er anhand eines Werkes von W. Lehmann, einem Freund und Schüler Asmussens, erarbeitet. Lehmann hat den Allotria-Vorwurf Barths gegen Asmussen umgekehrt und seinerseits Barth die Schuld daran gegeben, dass Barmen nicht jene Wirkung entfacht hat, die sich beide ­ Asmussen und Barth ­ für die BK und dann für die EKD erhofft hatten. Der Vf. macht deutlich, dass es auf Grund dieses persönlichen Vorwurfs von Barth zu keiner Sachklärung kam, betont aber, dass mit Barmen nicht festgestellt wurde, dass die Heilszueignung mit dem Gottesdienst kausativ erfolge und der Amtsträger Repräsentant Christi sei. Insofern kann er keine gerade Linie von Barmen zu Barth oder Asmussen feststellen. Für Asmussen gilt vielmehr, dass ihm im Laufe der Kriegs- und Nachkriegsjahre die Una sancta zu einem Anliegen geworden ist, das sein weiteres Werk bestimmt hat. Der Vf. stellt in seiner Würdigung Asmussens darum auch dessen ökumenische und weniger dessen kontroverstheologische Bedeutung in der Vordergrund, die es heute wieder fruchtbar zu machen gilt.

Der Vf. hat zu Beginn seiner Untersuchung zum Ausdruck gebracht, dass er eine systematisch-theologische Arbeit vorlegt, obwohl Asmussen kein ausgesprochener Systematiker gewesen ist (19). Angeregt durch diese Untersuchung hält der Rezensent auch eine praktisch-theologische Perspektive für sinnvoll, wenn es darum geht, wie Asmussens Werk ökumenisch fruchtbar gemacht werden kann, denn Asmussen war auf Grund seiner Erfahrungen zu jener Wende zur kultischen Ontologie hin gekommen. Der Vf. stellt ebenfalls heraus, dass diese Wende in dem von Barmen aufgeworfenen Gedanken begründet liegt, ob nicht die Möglichkeit besteht, dass die Kirche in ihrer äußeren Gestalt vom Wort Gottes bestimmt wird. Asmussen stellte die Frage, ob nicht eine Wirklichkeit dieser Möglichkeit vorausgeht. Wenn man diese Frage bejaht, dann ist in der Kirche ­ in den Konfessionen ­ die Bestimmung am Werk, dass sie eine Kirche werden soll und damit die Konfessionsgrenzen zur Sichtbarkeit dieser einen Kirche hin überschreitet. Diese Bestimmung wahrzunehmen, ist sicherlich eine Sache der Erfahrung und damit auch der Praktischen Theologie. Diese Perspektive ermöglicht Asmussen mit seiner Gottesdienstlehre, da er den Gottesdienst nicht als eine Sache angewandter Lehre oder Theologie versteht, sondern weiß, dass der Gottesdienst etwas Eigenständiges in sich trägt.