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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1038–1040

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Harasta, Eva:

Titel/Untertitel:

Lob und Bitte. Eine systematisch-theologische Untersuchung über das Gebet.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2005. IX, 251 S. 8°. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-7887-2113-8.

Rezensent:

Doris Hiller

Die an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg eingereichte Dissertation von Eva Harasta reiht sich ein in die Diskussion um das Verständnis des Gebets in der Systematischen Theologie. Der Betreuer und Erstgutachter Michael Welker steht für die dogmatische Ausrichtung der Arbeit, die zu gleichen Teilen aus systematisch-theologischen und exegetischen Untersuchungen besteht. Das Zweitgutachten hat Helmut Schwier erstellt.

Von dem in den Augen der Vfn. eher funktionalen Verständnis des Gebets in der Systematischen Theologie möchte sich die Arbeit in der Orientierung an dem Zusammenhang der sprachlichen Grundformen des Gebets ­ Klage, Bitte, Lob und Dank­ abheben. So wird gefordert, dass »die Bestimmung dieses Zusammenhangs Š den dogmatischen Begriff des Gebets zu prägen« (1) habe. Dabei komme dem Verhältnis von Lob und Bitte eine besondere Funktion zu, weil die Klage auf die Bitte hin orientiert sei und sich der Dank aus dem Lob entwickle (233).

Die Grundanfrage der Vfn. an die Diskussion um das Gebet in der Systematischen Theologie richtet sich gegen ein abstraktes, d. h. nicht den sprachlichen Elementen entsprechendes (Ebeling), den Gebetsbegriff vom Vollzug des Betens trennendes (Hiller) Verständnis. Dort, wo doch auf die Gebetsformen rekurriert werde, geschehe dies entweder einseitig auf Bitte und Dank beschränkt (Brümmer) oder diese würden nicht aus konkreten Gebetstexten entwickelt (Härle). Dem Konzept der Vfn. näher liegend erscheinen die Charakterisierungen des Gebets bei Schlink und Wainwright. Auch wenn sie zu einer Dominanz der Doxologie neigen, so wären doch vor allem mit Schlinks materialdogmatischer Ausrichtung zwei Kriterien gefunden, die einen systematisch-theologischen Gebetsbegriff erfassen könnten: die Art der personalen Kommunikationsstruktur und die Bezugnahme auf Gottes Handeln und Wesen.

Ob die Vfn. mit ihrem kritischen Durchgang insbesondere dem fundamentaltheologischen Anliegen einer Reflexion auf das Gebet gerecht wird, sei dahingestellt. Um ihr eigenes Anliegen zu unterstreichen, einen Gebetsbegriff nicht vom Vollzug des Betens zu lösen, beginnt sie selbst mit einer exegetisch ausgerichteten Studie zu den Psalmen 15­24, der noch eine gesonderte Untersuchung zu Ps 22 folgt. Die Psalmen geben »der Tiefenstruktur des Gebets vorbildhaft Ausdruck« (37), indem sie für das sprachlich artikulierte Vertrauensverhältnis zwischen JHWH und den Glaubenden stehen. Die Vfn. arbeitet an der Konzeption der Psalmengruppe heraus, wie dort in der jeweiligen Perspektive auf Gott und Gottes Geschichte die Verschränkung der einzelnen Gebetselemente zum Ausdruck kommt. Der direkten Anrede Gottes in der Bitte korrespondiert die indirekte im Lob. Während der Dank auf Gottes Handeln als geschehenes zurückblickt, blickt die Bitte auf zukünftiges Handeln Gottes. Wie sich hier die Klage einpasst, wird an Ps 22 demonstriert. Hier wird die Parallelstruktur von Lob und Klage deutlich, insofern beide auf das Vertrauen rekurrieren, das Lob bestätigend, die Klage zweifelnd. Im Bezug auf das Vertrauensverhältnis ist eine der Klage folgende Bitte möglich.

Das an den Psalmen aufgezeigte Ineinandergreifen der Gebetselemente lässt das Verhältnis von Lob und Bitte als sensiblen Punkt erscheinen, insofern hier die Bezüge am wenigsten deutlich zu Tage treten. Zur Klärung tragen Untersuchungen zu Calvins und Barths Gebetsbegriff bei, insofern Calvin dem Lob, Barth der Bitte den Vorrang im Gebetsverständnis gebe. Für Calvin ist das Gebet wesentlich Ausdruck zur Verherrlichung Gottes als menschliche Reaktion auf Gottes Rechtfertigungshandeln. Zwar gibt es auch bei Calvin keine unmittelbare Beziehung zwischen Lob und Bitte, allerdings erweist sich das Bittgebet im Horizont der Buße als Form der Verherrlichung Gottes und korrespondiert so dem grundsätzlichen Lobcharakter des Gebets.

Bevor Lob und Bitte in Barths Theologie betrachtet werden, fügt die Vfn. an Calvin anschließend eine Auslegung des Vaterunsers an, die den gegenüber den Psalmen veränderten Charakter des Bittgebets im Horizont der christologisch-pneumatologisch begründeten eschatologischen Perspektive herausarbeitet. Die Bitte ­ so die Vfn. ­ ist nun nicht mehr allein auf Gottes zukünftiges Handeln gerichtet, sondern beansprucht das göttliche Handeln für die Gegenwart des Betenden. Gott und Mensch bilden kein Gegenüber mehr, sondern das Handeln des Betenden wird in das Handeln Gottes einbezogen. Barths in der Schöpfungs- und Versöhnungsethik ausgearbeitetes Gebetsverständnis scheint dies zu bestätigen, insofern es sich in der Grundbewegung von Lob und Dank über Buße und Bitte zu Lob und Dank auf das Bittgebet konzentriert. Das Bittgebet ist nach Barth der rechtmäßige Ausdruck der gehorsamen Freiheit der Gotteskindschaft. Inwiefern sich Barth hier wesentlich von Calvin unterscheidet, bleibt unter der soteriologischen Grundausrichtung Barths allerdings ebenso undiskutiert, wie die Behauptung, Barth würde das Lob aus dem Gebetsbegriff ausscheiden, dahingehend reflektiert wird, dass nach Barth Theologie grundsätzlich nur angemessen vom Gebet her betrieben werden kann.

Weil das Schlusskapitel ausschließlich eine Zusammenfassung der vorhergehenden Kapitel ist, das die vorangestellte These einer besonderen Bedeutung des Verhältnisses von Lob und Bitte bekräftigt, wird zwar das Ergebnis gesichert, seine theologische Bedeutung aber bleibt offen. Weshalb bedarf es der Konzentration auf diese beiden Gebetselemente? Verfällt die Vfn. nicht selbst einer Schematisierung, der sie durch ihre Beschreibung der dynamischen Verschränkung aller Gebetselemente, einschließlich der Kritik an Barths Auslassung der Klage, doch gerade zu entgehen versucht?

Undiskutiert bleiben außerdem Ansätze, die z. B. das Bittgebet als adäquaten Ausdruck des Gottesverhältnisses ablehnen (Schleiermacher), oder Pannenbergs aus dem gottesdienstlichen Vollzug abgeleitete Begründung des Gebets im Dank. Dass die Vfn. darauf verzichtet, sowohl Ebelings als auch Jüngels Aufsätze zum Gebet aufzunehmen, ist ebenso wenig einleuchtend, wie die Nichtberücksichtigung einer Studie, die sich explizit um eine biblisch-theologische Begründung des Gebets in den Glaubenserfahrungen der Psalmen bemüht (Schneider-Flume).

Die Arbeit hebt ins Bewusstsein, dass eine theologische Diskussion des Gebets die einzelnen Gebetselemente und Ausdrucksformen in ihrer jeweiligen Bezogenheit aufeinander nicht aus dem Blick verlieren darf, will sie dem im Gebet geäußerten Vertrauensverhältnis zwischen Gott und Mensch als Grundbewegung der Beziehung von Gott und Mensch gerecht werden. Weitere Fragen zum theologischen Ort des Gebets, zu seiner Bedeutung für das Gottesverhältnis oder zu seiner hermeneutischen Funktion im Reden von Gott und Mensch bleiben jedoch offen.