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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1036–1038

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bollig, Michael:

Titel/Untertitel:

Einheit in der Vielfalt. Communio als Schlüsselbegriff des christlichen Glaubens im Werk von Gisbert Greshake.

Verlag:

Würzburg: Echter, 2004. 426 S. gr.8° = Bonner Dogmatische Studien, 37. Kart. Euro 35,00. ISBN 3-429-02575-3.

Rezensent:

Michael Markert

Der Band veröffentlicht eine Dissertation, die im Wintersemester 2003/04 von der Katholisch-Theologischen Fakultät Bonn angenommen wurde. Ihr geht es darum, im vorliegenden Werk des in Freiburg lebenden Gisbert Greshake (* 1933) den Zusammenhang seiner Theologie von einem Leitmotiv her zu erweisen. Ausdrücklich wird dabei auf das seit Karl Rahners Vorschlag diskutierte Anliegen, in Kurzformeln den zentralen Kerngehalt des Glaubens einfach und allgemein verständlich zu kommunizieren, zurückgegriffen. Eine solche Kurzformel des Glaubens könne der Begriff communio sein, ein Schlüsselbegriff, von dem her sich der innere Zusammenhalt und die Perspektive der Theologie erschließen lassen. Über den Aufweis des Schlüsselbegriffs Communio für das Werk Greshakes hinaus geht es dabei um eine systematische Perspektive für die Theologie insgesamt.

Ein Blick auf das präsentierte Werk Greshakes im irgendwie ungeordnet erscheinenden Literaturverzeichnis (415­418) weist, zumindest quantitativ, die Arbeitsschwerpunkte Eschatologie, Sünden- und Gnadenlehre, Anthropologie sowie theologische und spirituelle Fragen im Zusammenhang mit dem Priesteramt aus. Die umfassendste Darstellung des theologischen Entwurfs dürfte in »Der dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie« (1997) vorliegen, wo auch der Vorschlag des Schlüsselbegriffs communio gründlich durchgeführt und diskutiert wird.

Es ist bemerkenswert, dass hier offenbar nicht eine Communio-Ekklesiologie zum Ausgangspunkt gewählt wird, durch die der Begriff communio in den vergangenen Jahrzehnten Prominenz in der theologischen Diskussion, nicht nur im katholischen, sondern auch im ökumenischen Bereich erlangt hat. Sehr verkürzt dargestellt lautet die Grundthese: Communio ist eine Wesensbeschreibung des dreieinen Gottes (vgl. 385), sie bildet eine Grundbeschaffenheit aller (geschöpflichen) Wirklichkeit (vgl. 403) und die Grundstruktur des Heils (vgl. 408). Insofern ist Communio der Schlüsselbegriff des Glaubens und der Theologie.B. stellt das Werk Greshakes »nach den klassischen Traktaten der Dogmatik« (16) in sieben Kapiteln dar, 1. Communio in der Lehre vom dreieinen Gott (19­77), 2. Communio in der Schöpfungslehre (79­122), 3. Communio in der theologischen Anthropologie (123­184), 4. Communio in der Lehre von Sünde und Erlösung (185­248), 5. Communio in der Gnadenlehre (249­274), 6. Communio in der Lehre von der Kirche (275­316), 7. Communio in der Lehre von den letzten Dingen (317­373). Die Aufhebung der Christologie in die Trinitätslehre sowie in die Sünden- und Gnadenlehre mag auffällig sein. Bei der Darstellung hatte B. die Entscheidung zu treffen (16), auf eine theologiegeschichtliche Herleitung oder Verortung der Theologie Greshakes zu verzichten. Das mag der Leser mitunter bedauern, stellenweise geben die Fußnoten Quellen an, die den Gedankengang tragen, mitunter werden auch Kontroversen in den Fußnoten referiert.

Im Anschluss an das Referat der Theologie Greshakes bietet B. eine kurze Zusammenfassung der Diskussion um die treffende Kurzformel des christlichen Glaubens, die so entschieden wird, dass der von Greshake vorgeschlagene Begriff communio der umfassendste sei (375­385). Erst danach wird der begriffliche Gehalt von communio bei Greshake dargestellt (385­403), bevor im abschließenden Teil »Der Ertrag des Communio-Begriffes von Gisbert Greshake für eine neue Perspektivierung theologischer Kernbegriffe« zusammengefasst wird (403­413).

Als eine vorläufige Definition von Communio wird Greshake zitiert: »Communio ist jene Größe, in der das ðGanzeÐ und dessen ðTeileÐ gleichursprünglich gegeben sind, insofern das Ganze (Einheit) in den differenzierten, strikt aufeinander bezogenen Teilen ist und die Teile (Differenzen) sich zu einem Ganzen zusammenfügen.« (388) Dabei soll die These von der »Gleichursprünglichkeit«, die sich wie ein roter Faden durch die Darstellung zieht, klar machen, dass Einheit nicht auf Kosten, sondern unter Wahrung der differenten Vielfalt zu Stande kommt. Einheit und Vielfalt stehen sich nicht als statische Größen gegenüber, sondern konstituieren sich gegenseitig in einem lebendigen und prozesshaften Miteinander von Beziehungen (vgl. 396 ff.).

Allerdings wäre über das eindrücklich Dargestellte hinaus zu fragen, wie sich dieser Ansatz an der Frage real existierender Differenzen bewährt. Dabei fällt auf, dass z. B. in der Ekklesiologie die ökumenische Dimension der Kirche überhaupt keine Erwähnung findet, wo doch gerade mit den orthodoxen, anglikanischen oder reformatorischen Kirchen strittig ist, wie einzelne Konstitutiva der communio zu gewichten sind. Der schon innerkatholisch ungelöste Konflikt, dass das Verständnis der Gleichursprünglichkeit von Ortskirche und Universalkirche im Widerspruch steht zum römisch verlautbarten Anspruch, die Weltkirche sei »eine jeder Teilkirche ontologisch und zeitlich vorausliegende Wirklichkeit« (303, Anm. 158), kommt in der Ökumene erst voll zum Tragen. Oder, um ein anderes Beispiel zu wählen, wenn in der theologischen Anthropologie der Sinn des menschlichen Lebens »in der persönlichen Communiowerdung des einzelnen und in der Mitarbeit an der Communialisierung der ganzen Schöpfung« (179) gesehen wird, ist dem als optativer oder eschatologischer Zielvorstellung sicher zuzustimmen. Es ist auch zu begrüßen, dass unter dem Leitbegriff communio und mit dem christlichen Personverständnis ein Korrektiv zur einseitigen Fixierung eines bestimmten neuzeitlichen Denkens auf das atomisierte Individuum und eine »Selbstverwirklichungsideologie« (154) markiert wird. Allerdings ist zu fragen, ob damit die emanzipatorischen Potentiale der Neuzeit und die damit einhergegangene partielle Befreiung des Einzelnen aus gesellschaftlicher und auch kirchlicher Bevormundung, von denen man in diesen Abschnitten wenig lesen kann, schon ausreichend gewürdigt sind. Ist Verweigerung der communio von Seiten des Individuums in jedem Falle Sünde (185) oder könnte nicht der Widerspruch und Freiheitsanspruch des Individuums in bestimmten Fällen auch auf eine am Maßstab der communio scheiternde und Freiheit verweigernde Vergemeinschaftung hinweisen?

Eine Kritik an der Tendenz des Communio-Begriffs, notwendige Unterscheidungen zwischen der theologischen, christologischen und zwischenmenschlichen Ebene der communio zu überspielen und damit auch Kritik an zwischenmenschlichen Formen der communio zu verdecken, wird als Widerspruch des Freiburger Fundamentaltheologen Hansjürgen Verweyen gegen die Verwendung dieses Begriffs als Inbegriff des Christlichen eindrücklich referiert (382 ff.). Es ist zu fragen, ob diese Kritik wirklich ausgeräumt oder übergangen wird. Zwar leuchtet ein, dass das geschilderte Communio-Konzept umfassender sein kann als die primär christologisch fokussierten Entwürfe bei Balthasar, Schürmann und Verweyen. Das wird aber nur dann eingelöst, wenn es gelingt, die von der Christologie, insbesondere von der Kreuzestheologie her in den Blick genommene radikale Differenz zwischen Gott und Welt, Gott und Mensch und Gott und Kirche nicht zu überspielen.

Bei allen genannten Nachfragen liegt in diesem Band eine eindrucksvolle Würdigung des theologischen Werkes Greshakes mit einer Fülle von erhellenden Einsichten vor. Darüber hinaus zeigt die lesenswerte Arbeit auch wirklich eine anregende Perspektive auf die Theologie und ihre Grundbegriffe auf.