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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

424 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schwager, Raymund

Titel/Untertitel:

Erbsünde und Heilsdrama. Im Kontext von Evolution, Gentechnologie und Apokalyptik.

Verlag:

Münster: LIT 1997. 209 S. 8° = Beiträge zur mimetischen Theorie, 4. Kart. DM 34,80. ISBN 3-8258-3115-9.

Rezensent:

Stefan N. Bosshard

In dem Sammelband von z. T. bereits veröffentlichten Beiträgen versucht der Autor die allgegenwärtigen Kräfte des Bösen neu zu verstehen und ihnen geschichtliche und systematische Konturen zu geben. Er begnügt sich nicht damit, die Mechanismen des Bösen psychologisch oder verhaltensbiologisch im Umfeld der Aggressionsneigung bei Tier und Mensch zu "erklären". Vielmehr greift er nach den anthropologischen Wurzeln, die u. a. die theologische Reflexion freigelegt hat. Teils im Rückgriff auf frühere Arbeiten, teils durch weiterführende Überlegungen nimmt Schwager eine Neufassung dessen vor, was traditionellerweise Erbsünde genannt wird, um daran den Ursprung der Gebrochenheit der menschlichen Natur zu erläutern. Zwar ist die biblische Urgeschichte von mythischen Elementen überlagert, sie enthält aber einen geschichtlichen Kern, ein Ursprungsgeschehen, das in der Folge von Generation zu Generation auf dem Weg der Nachahmung weiterwirkte. Der Begriff Nachahmung ist freilich nicht mehr jener, den das Konzil von Trient zurückgewiesen hat, er ist vielmehr aufbereitet und eingebaut in die sogenannte mimetische Theorie, die u. a. von A. Girard und A. Tomatis gestützt wird.

Auch andere Begriffe werden umgedeutet, um die Universalität der Sünde von ihrem Ursprung her sicherzustellen. Im Kontext der Evolution geschieht dies z. B. mit dem sogenannten Biogenetischen Grundgesetz, das bei Sch., nach den vergangenen Kontroversen auf anderer Ebene, nun allerdings eher metaphorisch wieder Verwendung findet.

Nach der Aufbereitung der Human- und Naturgeschichte der Sünde geht der Autor schließlich ihre Heils- und Unheilsgeschichte an. Die Diskussion und Korrektur verschiedener Ansätze situiert er im Horizont des Entstehens von Bewußtsein und der Selbstkonstitution des Menschen. Diese wurzeln in der Freiheit des Wollens, der eigenen wie der der Anderen. Weil der Anruf Gottes von Anfang an mit negativen Antworten erwidert wurde, kann er ­ mimetisch ­ weiterhin abschlägig beschieden werden. Der Mensch ist aber für sein Handeln verantwortlich, insofern seine Selbstverfügung Endgültigkeitscharakter hat.

In der Anerkennung des Bösen und seiner Identifizierung mit dem Teufel spitzt sich die Frage nach der Urverfehlung des Menschen zu. In der Selbstvergottung und ihren Wirkungen als einer kollektiven Grundtendenz der Menschheit tritt "die höchste Form der Gotteslästerung und das eigentliche Wesen des Satanischen" auf. Als religiöse Projektion wird es in den Evangelien auf Jesus gerichtet, der damit die Rolle des "Sündenbocks" übernehmen muß. Aber schon in der Bibel ist die Rede vom Teufel nur ein Bild. Das Böse findet sich vorab im menschlichen Herzen und in den Beziehungen der Menschen untereinander. Nur durch das Aufdecken von Wahrheit und Wirklichkeit und durch den Abbau von Projektionen ist es zu überwinden.

Sch. sucht die auseinandergebrochene Einheit der Schöpfungslehre an einzelnen Eckpunkten wieder zusammenfügen. Er trägt dabei vor allem den Erkenntnissen der zeitgenössischen Human- und Naturwissenschaften Rechnung, um von dieser Basis aus die klassischen Lehrsätze neu zu interpretieren oder fallen zu lassen. Die Gedankenführung bezeugt eine entschlossene Suche, die für weitere Überlegungen offen ist.