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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1018–1020

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Vetus Latina 2005. 38. Bericht des Instituts. Hrsg. v. d. Stiftung Vetus Latina. Red.: R. Gryson u. B. Steimer.



Verlag:

Freiburg: Herder 2005. 63 S. 8°.



Rezensent:

Gert Haendler

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Vetus Latina Die Reste der altlateinischen Bibel. Nach Petrus Sabatier neu gesammelt u. hrsg. von der Erzabtei Beuron unter der Leitung v. R. Gryson. 4/5: Ruth. Hrsg. v. B. Gesche. Eine Lfg.: Einleitung und Text. Freiburg: Herder 2005. 83 S. 4°. Kart. Euro 64,00. ISBN 3-451-00132-2.

Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. Nach Petrus Sabatier neu gesammelt u. hrsg. von der Erzabtei Beuron unter der Leitung v. R. Gryson. 11/2: Sirach (Ecclesiasticus). Hrsg. v. W. Thiele. 9. Lfg.: Sir 23,7­24,47. Register. Freiburg: Herder 2005. S. 641­726. 4°. Kart. Euro 64,00. ISBN 3-451-00473-9.


Grundlage der altlateinischen Form des Buches Ruth ist der Text, den ein Kopist des 10. Jh.s im arabisch besetzten Spanien geschrieben hat, der offenbar Interesse hatte für altlateinische Bibeltexte. Sein »Complutensis« ist auch als »Bibel von Alcala« bekannt, die Biblioteca de la Universidad Madrid signierte ihn als BUC 31, das Beuroner Unternehmen zählt ihn als VL 109. Das Buch Ruth wird im Anschluss an das Buch der Richter eingeordnet. Die letzten Verse 4,11­17 waren unleserlich geworden und schon im 13. Jh. fast vollständig mit einem Vulgata-Text überschrieben worden. Der ursprüngliche Text war aber erkennbar geblieben. Die Edition auf S. 36­81 bietet fast durchgängig zwei Texte: den Text L mit der altlateinischen Fassung nach VL 109 (Complutensis) sowie Text H, die Übersetzung des Hieronymus (Vulgata). Der Apparat nimmt dabei meist knapp die Hälfte der Seite in Anspruch, so dass auf der oberen Hälfte oft sechs Zeilen Text stehen. Nur für die Verse 4,11­22 kommt der Text M hinzu, der auf Ambrosius zurückgeht.Altkirchliche Zeugen sind selten. Cyprian geht indirekt auf ein Problem im Buch Ruth ein, bringt jedoch keine Textstelle. Früheste Zitate finden sich bei Ambrosius, aber bei ihm bleibt »die Frage, ob ihm eine altlateinische Version vorlag, ihm möglicherweise eine Übersetzung geläufig war oder er ad hoc übersetzt oder den Text revidiert hat« (10, vgl. auch 17). Gregor von Elvira bietet Hinweise, dass das Buch Ruth vor der Vulgata-Übersetzung bekannt war, aber einen Text bietet er nicht. Erst im 9. Jh. stützte sich Bischof Claudius von Turin bei seinem Kommentar zum Buch Ruth auf den altlateinischen Text des Complutensis, während er in seinen Erklärungen den Vulgatatext bevorzugte. Ihm lagen also zwei verschiedene Übersetzungen vor. Freilich stammte Claudius aus Spanien: »Der Text, den er zugrunde legte, stammt aus derselben Tradition wie der des Complutensis, stellt also keinen unabhängigen Textzeugen für die Vetus Latina dar« (10).

Für die Liturgie hatte das Buch Ruth wenig Bedeutung. Der Gruß »Dominus vobiscum« stammt aus Ruth 2,4 (82), doch hier stimmen Vetus Latina und Vulgata überein. Innerhalb des biblischen Kanons bildete das Buch Ruth vermutlich von Anfang an eine Einheit mit dem Richterbuch und wurde daher oft gar nicht als eigenes Buch aufgeführt. Die Vulgata-Übersetzung des Hieronymus war gerade für das Buch Ruth »eine sehr freie Übersetzung«, die stellenweise »stark vom ursprünglichen Wortlaut abweicht, wohl noch mehr als dies bei anderen Texten wie den Büchern Judith, Ester oder Tobit der Fall ist«. Zur Begründung sagt die Bearbeiterin, Hieronymus habe »ein gutes Latein schreiben« wollen (14).

In der Auslegungsgeschichte hat ein Vorgang des Buches Ruth eine größere Rolle gespielt: Ruth wurde als Moabiterin in das Volk Israel aufgenommen ­ entgegen der Vorschrift in Dtn 23,4. Durch ihre Einheiratung wurde Ruth »sogar Stammutter Davids und damit Christi« (28). Eine Auslegung bot Isidor von Sevilla, »daß Christus sich mit der Kirche vermählt, wie der Apostel Paulus schreibt (vgl. Eph 5,32). Dabei steht Boas als Typos für Christus, der sich Ruth, die als Typos für die Kirche gedeutet wird, vermählt«. Nach einer anderen Deutung »weist Ruth als fremde Frau typologisch ausdrücklich auf die Kirche aus den Heiden hin, die Christus in das Volk Gottes aufgenommen hat. Boas steht in dieser Vorstellung als Typos für Israel, das Volk Gottes« (29).

Die beiden Erklärungen sind logisch nicht vereinbar, aber die Bearbeiterin verweist auf die Gemeinsamkeit, »daß sie die Erzählung von Ruth als Vorausbild Christi sehen« (30). Es gab auch moralisierende Deutungen. Ein anonymer Autor aus dem 5. Jh. betont, »daß Boas sich nicht selbst eine Frau aus Leidenschaft gewählt hat, sondern daß Gott sie ihm gegeben hat und Boas nur das Gesetz erfüllte« (30). »Seine Demut, Keuschheit und Gottesfurcht werden gepriesen«. Aber solche Auslegung bleibt »im Hintergrund gegenüber der typologischen Deutung auf Christus«.

Bei wenigen biblischen Büchern ist die Voraussetzung gegeben, dass eine Lieferung ein ganzes Buch bietet. Die Bearbeiterin im Kloster Mariendonk hat diese Chance gut genutzt. Dem Unternehmen Vetus Latina ist zu wünschen, dass einer so tüchtigen Kraft weitere biblische Bücher zur Untersuchung anvertraut werden.

Walter Thiele beendet mit Lieferung 9 zum Vetus-Latina-Text des Buches Sirach (Ecclesiasticus) seine Arbeit für das Institut in Beuron im Alter von 83 Jahren. Er hat den Text bis zum Ende des Kapitels 24 geführt, also etwa bis zur Hälfte des Buches Sirach. Die Lieferung bietet ein Register der Schriftsteller (713­725) sowie das Inhaltsverzeichnis für den Band 11/2, der damit abgeschlossen vorliegt. Thiele hat seine Arbeit zur Halbzeit zu einem soliden Ende geführt. Fragen drängen sich auf: Wer wird die Arbeit am Buch Sirach fortsetzen? Wann wird man für den folgenden Band 11/3 einen Bearbeiter von Thieles Qualität finden? Dazu schweigt das Berichtsheft (33 bzw. 57). Auf jeden Fall gebührt Walter Thiele einmal mehr herzlicher Dank für seine intensive Arbeit 52 Jahr lang. Es wird schwer sein, einen Nachfolger für seine spezielle Arbeit zu finden. Außer Büchern und Aufsätzen hat Thiele etwa 1800 Seiten für die Vetus-Latina-Ausgabe erarbeitet.

Das Berichtsheft des Beuroner Unternehmens informiert über die Sitzung des Vorstandes am 31. Mai 2005. Der Schatzmeister bewertet »die finanzielle Situation der Stiftung gut geordnet«, die Arbeit des Instituts erscheint damit »weiterhin unter finanziellen Rücksichten mittelfristig als gesichert« (7). Bonifatia Gesche berichtet vom Abschluss des Vetus-Latina-Textes des Buches Ruth. Im Berichtsheft klingt ihre Kritik an der »freien Übersetzung« des Hieronymus schärfer: Er scheint an manchen Stellen »den genauen Sinn nicht immer verstanden zu haben« (12). Inzwischen hat die erfolgreiche Editorin die Arbeit am Buch Esra begonnen, die freilich komplizierter ist (16­20). Die Septuaginta, Vorlage der Vetus Latina, hat zwei Esra-Bücher, eine wichtige Edition hat Robert Hanhart 1974 vorgelegt (17). Erste Vorbereitungen zum Buch Tobit traf Jean-Marie Auwers. Auch für dieses Buch spielt der für das Buch Ruth wichtige »Complutensis« (VL 109) eine große Rolle, die Lage ist jedoch »plus complexe« (21). Jean-Claude Haelewyck gibt Einblick zur Edition des Buches Esther nach Erscheinen der 2. Lieferung 2004, über die ThLZ 130 [2005], 1210 f. bereits zustimmend berichtet hatte. Die Tübinger Emerita Eva Schulz-Flügel plant die Textverarbeitung für das Buch Ecclesiastes »nach dem Abschluß der Canticum-Edition« (31). Man darf also zunächst einmal auf die Fortsetzung der Canticum-Edition hoffen, deren 1. Lieferung 1992 erschienen war.

Über ihre ersten Vorbereitungen zum Johannes-Evangelium berichten D. C. Parker und Philipp Burton (Birmingham) im Rahmen des Verbum-Projekts (33­35). In die Vorbereitungen zur Apostelgeschichte gibt Wilhelm Blümer (Mainz) konkrete Einblicke: »Die lateinische handschriftliche Überlieferung der Kapitel 1 bis 6 wurde in Beuron von Herrn Stanjek kollationiert und die Kollationsbögen von insgesamt 70 Handschriften nach Mainz übersandt« (36). In den Jahren 1995­1998 hat Uwe Fröhlich drei einleitende Lieferungen zum altlateinischen Text des 1. Korintherbriefes vorgelegt, seine Arbeit wird von Jeff Kloha (St. Louis) fortgesetzt ­ ebenfalls im Rahmen des Verbum-Projekts (37­41). Roger Gryson stellt das Erscheinen eines Kommentars zur Apocalypse von Tyconius Ende 2007 in Aussicht (47). Hugo Eymann schloss eine zweisprachige Ausgabe der Schriften des Eutropius für die Fontes Christiana ab, die »auch der Arbeit an der Vetus Latina zum Vorteil gereichen soll« (51). Darüber hinaus kündigt er die 2. Lieferung für den Vetus-Latina-Text des Römerbriefes an (54).

Man freut sich über die vielen Arbeiten und Pläne, exakte Termine für den Abschluss werden freilich kaum genannt.