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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1015–1018

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hübner, Reinhard M.:

Titel/Untertitel:

Der paradox Eine. Antignostischer Monarchianismus im zweiten Jahrhundert.

Verlag:

Mit einem Beitrag von M. Vinzent. Leiden-Boston-Köln: Brill 1999. XVIII, 332 S. gr.8° = Supplements to Vigiliae Christianae, 50. Lw. Euro 131,00. ISBN 90-04-11576-5.

Rezensent:

Wolfram Kinzig

Eine Reihe von fünf zusammenhängenden Studien des Münchener emeritierten Patrologen Reinhard M. Hübner hat in den vergangenen 15 Jahren unter Spezialisten zu einer rélecture der Theologie an der Wende vom 2. zum 3. Jh. geführt. Doch waren diese Studien zu weit verstreut, um von einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, bis sie H.s Schüler Markus Vinzent in einem Band zusammengefasst und um einen eigenen Beitrag ergänzt herausgegeben hat. Gleichwohl handelt es sich nicht einfach um einen Wiederabdruck: H. hat den einzelnen Aufsätzen ausführliche Ergänzungen zur Seite gestellt.

Die Untersuchung zu den »Ignatianen und Noët von Smyrna« war 1997 im ersten Heft der »Zeitschrift für antikes Christentum« nur gekürzt publiziert worden und liegt nun auf über 70 Seiten in vollständiger Fassung vor. Man wird dem in der Materie nicht so bewanderten Leser empfehlen, zunächst mit dem Vorwort und dann mit der letzten Studie zum christlichen Gottesglauben im 2. Jh. von 1996 einzusetzen, in der die theologiegeschichtlichen Folgerungen aus den vorangegangenen Detailuntersuchungen gezogen werden, bevor er sich an das Studium der komplexen Beweisführungen H.s begibt.

Erst in dieser Zusammenschau entfaltet die These H.s, die an ältere Erklärungsversuche der protestantischen Dogmengeschichtsschreibung des 19. Jh.s (Ferdinand Christian Baur, Friedrich Loofs, Adolf von Harnack u. a.) anschließt, ihre eigentliche Wirkung. Sie läuft ­ vereinfach gesagt ­ darauf hinaus, dass der modalistische Monarchianismus in Kleinasien, Rom und Nordafrika nicht etwa als häretische Abweichung vom orthodoxen mainstream der letztlich zum Trinitätsdogma hinführenden Logostheologie anzusehen ist, sondern im Gegenteil die Normaltheologie darstellte (die auch einige »Logostheologen« vertraten), während »die später selbstverständliche und als apostolisch dargebotene Lehre von Vater und Sohn und Geist als drei real unterschiedenen Wirklichkeiten oder Personen« als die eigentliche Neuerung zu gelten habe, die »zunächst nur von einer dünnen Schicht weniger Apologeten vertreten« worden sei (30 f.). Oder noch deutlicher: Es zeige sich, »daß der Glaube an eine göttliche Dreiheit ein Produkt späterer Entwicklung ist und jedenfalls die Hauptmasse der Christen und die überwiegende Mehrzahl der Theologen von Hermas an bis zu Kallist in irgendeiner Form am monarchianischen Gottesbekenntnis festhielt ­ sichere Ausnahmen sind allein die Gnostiker, Justin und Tertullian, keineswegs sämtliche ðLogostheologenЫ (XIV). Trinitarisches Denken beginnt nach H. im Westen in gewissem Sinne mit Tertullian, im Osten hingegen ernsthaft erst mit Markell von Ankyra. Die Auseinandersetzung mit diesem bei Apolinarius von Laodicea und Basilius führt dann zur »klassisch werdenden Trinitätslehre« (210 f.). Die monarchianische Theologie hingegen erlischt wegen ihrer inhärenten theologischen Schwäche (Patripassianismus) »in dieser Form allmählich im Westen. Das bisher allgemeine Dogma wird zur Häresie, die unter dem Namen des ðSabellianismusÐ in der weiteren Geschichte der Kirche bekämpft wird« (236). Damit sind ­ mindestens in römisch-katholischem Kontext ­ schwer wiegende theologische Fragen aufgeworfen, vor allem die nach der Kontinuität zwischen der (auf der »Logostheologie«) basierenden späteren Trinitätstheologie und der Lehre des Neuen Testaments.

Ursprung und Kronzeuge für den Monarchianismus ist für H. Noët von Smyrna, dessen Theologie, folgt man Hippolyt, durch seinen Schüler und Diakon Epigonus in Rom verbreitet wurde und dort zur Schulbildung führte. Von Rom wurde diese Theologie dann durch Praxeas nach Karthago »exportiert«, wie uns Tertullian bezeugt. Nimmt man Noët zum Maßstab, sei der Monarchianismus kein Produkt einer »naiven« Gemeindefrömmigkeit, wie vielfach behauptet, sondern »Ausdruck einer im höchsten Maße reflektierten Theologie« (so 13). Unter »Monarchianismus« versteht H. dabei »die Glaubensüberzeugung, nach der in Jesus Christus der einzige Gott, der Schöpfer Himmels und der Erde, als Erlöser des Menschen auf Erden erschienen ist« (VIII). Noët hob den Monarchianismus gewissermaßen auf das Niveau einer église savante, er habe »das Glaubensbekenntnis seiner großkirchlichen Zeitgenossen präzis formuliert« (233).

Nun sind wir allerdings über die Theologie Noëts allein durch die Refutatio Hippolyts unterrichtet (VIII,19,3; IX, 10,9­12; X,26; X,27,1 f.), Schriften von ihm selbst sind nicht erhalten, das Hippolyt zugeschriebene Werk Contra Noëtum ist in der vorliegenden Form nach Auffassung H.s und anderer ein Produkt des 4. Jh.s. Doch hat H. die grundsätzliche Zuverlässigkeit des Berichtes Hippolyts zu erweisen gesucht. Dabei glaubt er u. a. in IX,10,9 f. Reste einer antignostischen Glaubensregel Noëts identifizieren zu können, die nicht vor 178­180 zu datieren sei und bei Melito, den Ignatianen, Irenäus, Tertullian und den Petrusakten nachgewirkt habe, wobei Melitos Ostertheologie in ihrem Verhältnis zu Noët eine eigene Studie gewidmet ist. Damit wäre die Regula fidei Noëts die früheste fassbare Glaubensregel überhaupt, entstanden aus der Auseinandersetzung mit den Valentinianern.

Als wäre das noch nicht aufregend genug, setzt H. seine Grundtexte auch noch zu dem Briefkorpus des Ignatius von Antiochien in Beziehung. Dabei geht er von der Annahme aus, dass die Ignatianen um 165­175 verfasst worden sind. Zu dieser Spätdatierung war er durch das Ignatius-Buch Robert Jolys gelangt; später wurde sie durch weitere Untersuchungen seines Schülers Thomas Lechner untermauert. H. sucht zu beweisen, dass die Ignatianen die Theologie des Noët voraussetzen und wie diese antignostisch zu verstehen sind.

Eine verspätete Rezension wie die vorliegende hat den Vorteil, dass man bestimmte Forschungsdiskussionen aus einer gewissen Distanz überblicken und in ihrer Tragweite nüchterner abschätzen kann. Auch wenn H.s intrikate Beweisführung hier nicht im Einzelnen überprüft werden kann, seien doch wenigstens einige Punkte angedeutet, an denen m. E. die weitere wissenschaftliche Diskussion ansetzen sollte. Mir scheint zum einen, H. habe gewisse formale Ähnlichkeiten von Texten für die Frage inhaltlicher Verwandtschaft tendenziell zu hoch veranschlagt. Dies gilt insbesondere für die rhetorische Figur der Antithese. Sie ist im sog. asianischen Stil der Zweiten Sophistik ein gängiges Mittel, um Aussagen zuzuspitzen und so den Zuhörern auf einprägsame Weise zu plausibilisieren. H. verkennt dies nicht. Gleichwohl werden bei ihm die Antithesen, die Hippolyt als Pointen des Noët mitteilt, unter der Hand zum Argument für einen Stil, der für eine bestimmte Theologie, eben den Monarchianismus, typisch sei, weil sich auf diese Weise der Gegensatz zu den Valentinianern besonders gut zum Ausdruck bringen lasse. Ich bin auf Grund meiner Leseerfahrung mit frühbyzantinischen Predigten deutlich skeptischer.

Antithetische Argumentationen begegnen hier auf Schritt und Tritt, das Spiel mit dem Paradox ist geradezu ein Markenzeichen des epideiktischen oder panegyrischen Stils namentlich in Osterhomilien, bei dessen Verwendung dann die Prediger auch vor theopaschitischen Aussagen nicht zurückschrecken, um das Geheimnis der Inkarnation, Passion und Auferstehung hervorzuheben (vgl. z. B. Asterius, hom. 2,10; 8,10; Leontius von Konstantinopel, hom. 8 [CPG 7891], Z. 109 ff. [ed. Datema/Allen, S. 262] = hom. 1[6],4 [ed. Aubineau S. 374, Z. 16 ff.]; Ephraem, Sermo de passione salvatoris [CPG 4025], ed. Konstantinos G. Phrantzoles, ŒOÛðԘ ÊÚ·ðÌ ÙÔÜ ýÚԘ öÚÁ·, Bd. VII, Thessaloniki 1998, p. 36, Z. 14 und 37, Z. 11 f.; ferner Ps.-Greg. Nyss., In annuntiationem [CPG 3214], ed. C. Datema, The Acrostic Homily of Ps. Gregory of Nyssa on the Annunciation. Sources and Structure, OCP 52 [1987], S. 41­58, hier: 57, Z. 151 ff. mit der zu Grunde liegenden Quelle [Ps.-Proklos]) usw. ­ traditionsgeschichtliche oder gar quellenkritische Folgerungen lassen sich daraus m. E. nicht ohne weiteres ziehen. Mit anderen Worten reicht die Beobachtung theologischer Antithesen für weitergehende Schlussfolgerungen hinsichtlich literarischer Abhängigkeiten nicht aus.

Ich stimme zum anderen mit H. ganz darin überein, 1. dass es falsch wäre, die intellektuelle Qualität der Theologie Noëts unterschätzen zu wollen. Möglicherweise zutreffend ist auch 2. seine formgeschichtliche These, dass in ref. IX,10,9 f. die älteste Glaubensregel vorliegt, von der wir wissen, auch wenn mir nicht wirklich deutlich ist, was H. darunter versteht. Schließlich wird man 3. die Verbreitung seiner Gedanken vor allem in Rom (Zephyrin, Kallist) und Karthago (Praxeas) höher als bisher einstufen müssen.

Bisweilen hat es aber den Anschein, als wolle H. ­ verglichen mit bisherigen Darstellungen der Theologiegeschichte des 2. Jh.s ­ den Spieß einfach umdrehen und nun den Monarchianismus gegen die Logostheologie ausspielen. Doch so einfach geht das aus verschiedenen Gründen wohl nicht. Sein Versuch, Justins Logoschristologie zur eigentlichen Neuerung zu erklären und Justin damit eine Außenseiterposition zuzuweisen, ist in dieser Radikalität schon deswegen einseitig, weil der Apologet in seinem Dialog mit Tryphon eine sehr flexible, schriftorientierte Lehre von Jesus Christus vertritt, die sich im Ganzen nicht ohne weiteres auf eine Logoschristologie reduzieren lässt (vgl. z. B. 34.61 usw.). Ferner kann sich die Logoschristologie traditionsgeschichtlich mindestens bis auf das Johannesevangelium berufen (das nicht monarchianisch umgedeutet werden sollte), ist also keineswegs eine völlige Neuerung, wie H. unterstellt, sondern dürfte möglicherweise bis in das 1. Jh. zurückreichen. Schließlich scheint mir der Nachweis der literarischen Abhängigkeit der Ignatianen (wie übrigens auch der meisten anderen Autoren) von Noët aus den oben angedeuteten Gründen nicht geglückt zu sein. Das bedeutet zunächst nicht, dass die Spätdatierung des ignatianischen Korpus nicht richtig ist ­ aber sie müsste anders begründet werden. Wohl kann man aber sagen, dass Noëts Theologie nicht so in die Breite gewirkt hat, wie H. dies postuliert. Man wird also ­ gegen H. ­ eher von einem Mit- und (denkt man an Hippolyt) auch Gegeneinander ausgehen als mit Prioritäten argumentieren.

Markus Vinzent schließlich untersucht in seinem abschließenden Beitrag die Verwandtschaft der unter den Titeln Kerygma Petru und Doctrina Petri bei Klemens von Alexandrien und Origenes (in Rufins Übersetzung) überlieferten Textfragmente und ihr Verhältnis zu Ignatius, Smyr. 3,1 f. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Fragmente einer einzigen Schrift entstammen, somit Kerygma Petru und Doctrina Petri identisch sind und letzterer Titel einfach als freie Übertragung des ersteren durch Rufin anzusehen ist. Die Annahme der Existenz einer didaskalia Petru (der Titel ist erst seit dem 6. Jh. belegt) sei hingegen ohne Anhalt in den ältesten Quellen. Die Schrift war antimarcionitisch ausgerichtet und dürfte »einige Zeit nach der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts« anzusetzen sein. In jedem Falle hat sie »als eine Vorlage für die Ignatianen gedient«, was die Richtigkeit von deren Spätdatierung ebenfalls bestätigt (286).

Auch wenn ich H. nicht in allem folgen kann, möchte ich doch der großen philologischen wie theologischen Leistung, die in diesem Buch vorliegt, meinen Respekt nicht versagen. Sie regt dazu an, die bekannten Texte unter ungewöhnlichen Fragestellungen neu zu entdecken.