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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1013–1015

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

B>Floryszczak, Silke:

Titel/Untertitel:

B>Die Regula Pastoralis Gregors des Großen. Studien zu Text, kirchenpolitischer Bedeutung und Rezeption in der Karolingerzeit.

Verlag:

Studien zu Text, kirchenpolitischer Bedeutung und Rezeption in der Karolingerzeit. Tübingen: Mohr Siebeck 2005. X, 444 S. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 26. Kart. Euro 69,00. ISBN 3-16-148590-4.

Rezensent:

Katharina Greschat

Für das westliche Mittelalter war die im ausgehenden 6. Jh. entstandene Regula Pastoralis des Mönchspapstes Gregor des Großen von erheblicher Bedeutung. Seine Überlegungen zu den Anforderungen an die kirchlichen Amtsträger, zu ihren Aufgaben und Pflichten entfalteten in den verschiedenen Klerusreformen der nachfolgenden Zeit eine enorme Wirkung. Doch erst in den letzten Jahrzehnten bemüht sich die Forschung auf der Basis der maßgeblich von Bruno Judic verantworteten Textausgabe der Sources Chrétiennes intensiver um das Verständnis dieser, vor allem gegenüber der anhaltenden Diskussion um die Echtheit der Dialoge, zu Unrecht ein wenig vernachlässigten Schrift Gregors des Großen. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass mit der in Bonn bei Wilhelm Geerlings angefertigten Dissertation von Silke Floryszczak jetzt eine Untersuchung vorliegt, die sich in einem ersten Hauptteil der Interpretation des Werkes als solchem (7­275), dann aber auch in einem zweiten Hauptteil seiner Rezeption in der Karolingerzeit widmet (277­403).

F. setzt mit einer ausführlichen Untersuchung zu Begriff, Bedeutung und Gattungsbestimmung von regula ein und stimmt Claude Dagens zu, dass Gregor analog zu den monastischen Regeln mit der Regula Pastoralis einen Leitfaden zur Unterweisung für Kirchenführer geschrieben habe. Aus seinem Widmungsbrief an den coepiscopus Johannes geht hervor, dass dieser Gregor dafür getadelt habe, der Last des pastoralen Amtes entfliehen zu wollen. Dieser Tadel bildete für den soeben zum Papst erhobenen Gregor offenbar den Anlass, sein Bild vom kirchlichen Amtsträger auch in Auseinandersetzung mit der Oratio de fuga sua des Gregor von Nazianz zu zeichnen, die er im Prolog zum eigentlichen Hauptteil im dritten Buch explizit nennt. Neben der Oratio, die Gregor in der lateinischen Übersetzung des Rufin (Apologeticus) vor Augen stand, benutzte er sicherlich auch andere Quellen, auch wenn sie sich im Einzelnen nur schwer nachweisen lassen, weil Gregor gewöhnlich die von ihm übernommenen Gedanken sehr frei formuliert. In ihrer Interpretation folgt F. dem von Gregor vorgegebenen Aufriss der Regula Pastoralis und bespricht zunächst die Eignung des Amtsanwärters, der zu einer Machtposition aufsteigt, und anschließend die Lebensführung des Amtsinhabers. Im dritten Buch wird dann mit der praedicatio dessen Hauptaufgabe beschrieben, um abschließend auf die Kontemplation einzugehen (111­177).

Zwar betont F. schon in ihrer Besprechung des ersten Buches die Bedeutung der Christologie für den kirchlichen Amtsträger und verweilt etwas länger bei Gregors hochinteressanter Deutung der Leviratsehe (Dtn 25,5­10) in RegPast I 5, wonach der praedicator als Bruder des gestorbenen kinderlosen Christus an dessen Stelle tritt und die zurückgelassene Frau, die für die ihres Hauptes beraubte Kirche steht, in legitimer Weise beherrschen und ihr Nachwuchs verschaffen muss (115­117). Doch statt nun den rector oder praedicator mit Gregor als den Stellvertreter Christi und als lebendiges Haupt seiner Kirche zu verstehen, bietet F. einen summarischen Durchgang durch die Regula Pastoralis. Kleinere Abschnitte zur Argumentationsstruktur, d.h. vor allem zu Themen, die im Verlauf der Regula Pastoralis wieder aufgegriffen werden, zu Sprache und Stil, zu häufig wiederkehrenden Begriffen, zu Bildlichkeit und Motivik und zum Umgang mit der Bibel schließen dieses Kapitel ab, das kaum neue Erkenntnisse bringt, sondern lediglich Bekanntes zusammenträgt. Wie wenig es F. am Herzen liegt, zeigt auch, dass sie eine Zusammenfassung dieser Ergebnisse weder für erforderlich noch für sinnvoll hält (229). Damit hat sie jedoch die Chance vertan, die im Folgenden formulierte und ganz und gar zutreffende These, Gregor gehe es vor allem darum, die kirchlichen Amtsträger im Hinblick auf die von ihnen auszuübende Herrschaft zu unterweisen, noch deutlicher herauszuarbeiten. Anschaulich und mit großer Sachkenntnis beschreibt sie die Fülle an Aufgaben, die den Bischöfen in spätjustininianischer Zeit zuwuchsen, und weist nach, dass Gregor mittels gezielter Personalpolitik die Schlüsselstellen des Episkopats mit Kandidaten aus seinem Umfeld besetzen konnte. Doch bleibt Gregors Konzept einer von Gott zur Bekämpfung der Sünde eingesetzten hierarchischen Herrschaft, das den praedicator als das Haupt der Kirche sieht, der durch sein Tun und durch seine Verkündigung für die Besserung der Untergebenen verantwortlich ist, zu unscharf konturiert. Dass er sein Amt nach dem Vorbild Christi, der sich selbst um der anderen willen erniedrigte und demütig wurde, um sie zu Gott zurückzuführen, ausüben soll, wird nicht erwähnt. Mit Peter Brown versteht zwar auch F. die condescensio als Schlüsselbegriff für die Machtausübung der praedicatores, kommt aber nicht auf seine christologische Fundierung zu sprechen. Insofern kritisiert sie von einem modernen Gemeindeleitungsverständnis aus Gregors Vorstellung von Hierarchie und vom kirchlichen Amtsträger: »So sind besonders die pädagogischen Methoden, die der Seelsorger bei der Unterweisung und im erzieherischen Umgang mit den Gläubigen anwenden soll, aus heutiger Sicht auf ihren christlichen Rückhalt zu hinterfragen. Auch das Menschenbild, das Gregor vom Gläubigen zeichnet, ist kritisch zu beleuchten. Letztendlich betont es die Unmündigkeit und Unfreiheit des Menschen, um eine hierarchische Struktur, bei der die Kirche an der Spitze steht, zu untermauern« (270). Doch sie weiß auch, dass diese Folgewirkungen von Gregor nicht intendiert waren, und betont, dass sich jede herrschende Elite seiner Konzeption des rector bedienen konnte, was nicht zuletzt die breite Wirkung der Regula Pastoralis im Mittelalter erklärt, der sich F. im zweiten Hauptteil der Arbeit zuwendet.

Dass sie sich dabei ganz auf die karolingische Zeit konzentriert, ist gut begründet. Ausgehend von den Bemühungen des Bonifatius um eine karolingische Kirchenreform fragt sie danach, welche Bedeutung der Regula Pastoralis unter den gegenüber der spätjustinianischen Ära deutlich veränderten Parametern beigemessen wurde, die den fränkischen König als rex und sacerdos für das corpus christianorum verantwortlich machten. Die sorgfältige Analyse der karolingischen Synodalbestimmungen kommt zu dem Ergebnis, dass die Regula Pastoralis maßgeblich neben der Bibel, den Canones und der für die Mönche geltenden Regula Benedicti stand und das Amtsverständnis der Bischöfe leiten sollte, die nun allerdings nicht mehr weltliche und geistliche Aufgaben miteinander zu verbinden, sondern sich allein der cura animarum zu widmen hatten. Interessanterweise untersucht F. auch die karolingische Spiegelliteratur, die sich an weltliche Große richtet, und stellt fest, dass der Begriff des rector offen dafür war, auch den Herrscher als christliche Führungsfigur zu zeichnen, die als solche auch für das geistliche Wohl der Untertanen verantwortlich ist.

F.s Untersuchung leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Regula Pastoralis und insbesondere zu ihrer Wirkungsgeschichte, wobei allerdings das Spezifische an Gregors Konzeption vom Amtsträger, der in der Nachfolge Christi zwischen vita activa und vita contemplativa steht und aus Sorge um seine Nächsten auch weltliche Herrschaft ausüben muss, etwas zu undeutlich bleibt. Es wäre deshalb zu wünschen, dass die hier besprochene Arbeit den Anstoß für die weitere Beschäftigung mit dieser zu lange vernachlässigten Schrift Gregors des Großen gibt.