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Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1011–1013

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sampley, J. Paul [Ed.]:

Titel/Untertitel:

Paul in the Greco-Roman World. A Handbook.

Verlag:

Harrisburg-London-New York: Trinity Press International (Continuum) 2003. XIV, 690 S. gr.8°. Lw. £ 40,00. ISBN 1-56338-266-0.

Rezensent:

Jens Schröter

Ziel des Handbuchs ist es, den griechisch-römischen Kontext des paulinischen Wirkens in seinen verschiedenen Facetten vorzuführen. Paulus wusste sich als Jude zu Heiden gesandt, wollte das Evangelium also in einem nicht-jüdischen Kontext vermitteln. Hierzu machte er in vielfältiger Weise von Kategorien griechisch-römischen Denkens Gebrauch und bewegte sich in von griechisch-römischen Traditionen geprägten Lebenswelten.

Der Band enthält 21 Beiträge verschiedener Autoren, die jeweils einen bestimmten Aspekt des Gesamtthemas behandeln. Ihr Aufbau folgt einem viergliedrigen Schema: Teil I, auf dem das größte Gewicht liegt, ist der Erläuterung des Gegenstands in der griechisch-römischen Welt gewidmet, Teil II untersucht seine Funktion in den Paulusbriefen, die zumeist sehr kurz gefassten Abschnitte von Teil III weisen auf weitere Vorkommen in den paulinischen und deuteropaulinischen Briefen hin, und Teil IV enthält eine Bibliographie mit Hinweisen auf einschlägige Untersuchungen aus der althistorischen und theologischen Forschung. Die Literaturauswahl ist dabei allerdings stark, wie leider immer häufiger festzustellen, an der englischsprachigen Forschung orientiert (eine rühmliche Ausnahme stellt hier der auch ansonsten sehr instruktive Beitrag von Peter Lampe dar).

Das Profil des Bandes sei anhand einiger Beispiele skizziert: Der Beitrag von Duane F. Watson (»Paul and Boasting«) ist dem Thema des Selbstruhms gewidmet, mit dem sich antike Popularphilosophen gelegentlich befasst hatten und das bei Paulus vor allem in der Auseinandersetzung mit seinen Konkurrenten in 2Kor 10­13 wichtig wird. Plutarch hatte das Selbstlob als eine prinzipiell unangemessene, beschämende Angelegenheit bezeichnet, insbesondere wenn es auf Kosten anderer geschieht. Tolerierbar sei Selbstlob dagegen dann, wenn es dazu diene, sich in unglücklichen Umständen nicht bemitleiden zu lassen, und stattdessen dabei helfe, eine derartige Lage zu überwinden, aber auch, wenn es zur Verteidigung der eigenen Ehre eingesetzt werde. Dem negativen Eindruck des Selbstlobs könne dadurch begegnet werden, dass es mit dem Lob der Götter und der Zuhörerschaft sowie mit dem Zugeständnis kleinerer eigener Schwächen durchsetzt werde. Das Selbstlob des Paulus in 2Kor 10­13 konnte daran gemessen als im Rahmen der antiken Rhetorik grundsätzlich akzeptabel betrachtet werden, denn Paulus setzt es zur Verteidigung gegen Vorwürfe und damit zur Rettung seiner Ehre ein. Das Spezifikum dieses Selbstlobs ist seine theologische Basis: Wie Paulus mit Bezug auf Jer 9,22 f. deutlich macht, muss jedes Rühmen ein solches im Herrn sein (2Kor 10,17; vgl. 1Kor 1,31). Seinen Selbstruhm in 2Kor 11­12 bezeichnet er gleichwohl als »töricht«, weil die Korinther ihn dazu gezwungen hätten, sich mit seinen Gegnern zu vergleichen und sich seiner Herkunft zu rühmen. Paulus zeige damit, dass er mit den Konventionen für legitimes und illegitimes Rühmen, die in popularphilosophischer und rhetorischer Tradition (Quintilian) entwickelt worden waren, vertraut war. Sein Selbstruhm gründet jedoch in seinem Verständnis als Apostel Jesu Christi. Deshalb sieht er auch keinen Anlass, sein Selbstlob durch Techniken, wie sie Plutarch empfiehlt, zu mildern. Zudem macht er, entgegen der Konvention, seine Schwächen ausdrücklich zum Inhalt des Rühmens.

David L. Balch (»Paul, Families, and Households«) fragt nach den Verhältnissen, in denen die Menschen in den von Paulus aufgesuchten Städten lebten. Er räumt zunächst ein, dass der archäologische Befund dieser Städte wenig ergiebig ist. Diese Lücke lasse sich jedoch z. B. durch die Grabungen in Pompeji, Herculaneum, Pergamon und auf Delos füllen. Dabei kann er auf eigene Vorarbeiten, etwa auf das gemeinsam mit Carolyn Osiek publizierte Buch »Families in the New Testament« (1997), zurückgreifen, bezieht darüber hinaus aber auch neue Grabungsergebnisse aus den genannten Orten ein. Wenn in den Paulusbriefen oder in der Apg Personen erwähnt werden, bei denen sich die frühen christlichen Gemeinden versammelten (Lydia, Prisca und Aquila, Philemon oder Gajus), können die größeren Häuser mit Atrium aus Pompeji einen Eindruck von der Größe und Ausstattung derartiger Häuser vermitteln. Wichtig sei auch, dass Wohnhäuser in römischer Zeit eine grundsätzlich andere Funktion besaßen als in der Gegenwart: Wesentliche Teile des öffentlichen Lebens spielten sich in diesen Häusern ab, ihre Funktion lasse sich deshalb mit unserer Vorstellung von »Privathäusern« nicht erfassen. Die in Pergamon und auf Delos ausgegrabenen Häuser zeigen die Tendenz zur Vereinheitlichung des Baustils in römischer Zeit: Häuser waren oft um einen gemeinsamen Innenhof gebaut und hatten einen großen Speiseraum, in den man unmittelbar vom Hauseingang gelangte. Des Weiteren wirft Balch einen Blick auf die Bereiche Sexualität, Bildung und Mähler in griechischen bzw. römischen Familien. Für die paulinische Stellung zum Alltagsleben im griechisch-römischen Kontext bietet sich naturgemäß der 1. Korintherbrief an. Balch zeichnet die hier von Paulus entwickelten Positionen in den für die Korinther vorauszusetzenden Verständnishorizont ein. Dieser Teil ist allerdings wenig profiliert. Er bringt den Konflikt zwischen den vor jüdischem Hintergrund zu interpretierenden Haltungen des Paulus zu Fragen der Sexualität und der Teilnahme an heidnischen Kultmählern nur unzureichend zum Ausdruck.

In einem äußerst instruktiven Artikel befasst sich L. Michael White mit der Rolle des pater familias innerhalb der griechisch-römischen Sozialstruktur und deren Bedeutung für die paulinische Mission (»Paul and Pater Familias«). Der pater familias spielte als Vorstand und oberste Autorität des Hauses (nicht nur der Familie) eine überaus wichtige Rolle innerhalb der griechisch-römischen Gesellschaftsordnung. Er war auch in die Belange von Stadt und Land involviert, etwa durch die Bekleidung öffentlicher Ämter oder die finanzielle Unterstützung von Festen oder Spielen. Im römischen Haus war der Platz des pater familias im Atrium, wo sich der öffentliche Teil des Hauslebens abspielte und der Hauskult zelebriert wurde, bzw. im Triclinium, wo die abendlichen Mähler stattfanden. In den Paulusbriefen, wie auch in anderen griechischen Texten, werden die Ausdrücke »Herr« und »Vater« zur Bezeichnung des pater familias verwendet. Für die paulinischen Gemeinden spielt er vor allem als Vorstand der Häuser eine Rolle, in denen die Gemeindeversammlungen stattfanden. Bemerkenswert ist, dass es sich dabei auch um eine mater familias handeln kann: Mit Phöbe, Cloë, Prisca, Euodia und Syntyche begegnen gleich mehrere Frauen, die in den paulinischen Gemeinden herausgehobene Stellungen innehatten. Paulus akzeptiert die führende Rolle von pater bzw. mater familias auch in den Gemeinden, er ist zudem von ihrer finanziellen Unterstützung abhängig, wie vor allem Phil 4,10­20 zeigt. Sein gelegentliches Insistieren auf finanzieller Unabhängigkeit könnte deshalb auch zu den Spannungen geführt haben, die sich vor allem in 2Kor bemerkbar machen. Der deutlichste Fall, wo Paulus in die Autorität eines pater familias eingreift, ist derjenige des Sklaven Onesimus im Philemonbrief. Paulus kann die Rolle des pater familias auch metaphorisch verwenden und für seine eigene Rolle gegenüber den Gemeinden beanspruchen, so vor allem in 1Kor 4, wo er sich als »Vater« der korinthischen Gemeinde bezeichnet.

Weitere Artikel behandeln z. B.: »Paul and Rhetorical Composition« (C. Forbes), »Paul and Friendship« (J. T. Fitzgerald), »Paul, Games, and the Military« (E. Krentz), »Paul, Patrons, and Clients« (P. Lampe), »Paul, Shame, and Honor« (R. Jewett), »Paul and Slavery« (J. A. Harrill) oder »Paul, Virtues, and Vices« (T. Engberg-Pedersen).

Das Buch wartet mit reichem Material literarischer, archäologischer und soziologischer Art auf, durch das die Welt der paulinischen Briefe und Gemeinden erschlossen wird. Die Breite der behandelten Themen gibt zudem einen eindrucksvollen Überblick über die Erforschung der griechisch-römischen Welt zur Zeit des Paulus. Der Band eignet sich nicht zuletzt deshalb für Paulusseminare, weil er diese Themen auf überschaubarem Raum behandelt. Manche Artikel hängen inhaltlich eng zusammen und überschneiden sich gelegentlich (etwa zu Familie/ Lebenswelt/Sexualität/Bildung, zur Sozialstruktur der römischen Gesellschaft oder zur Rhetorik der paulinischen Briefe). Eine Gliederung in thematische Teile hätte deshalb der Übersichtlichkeit des Bandes gedient. In etlichen Beiträgen stehen die Informationen aus dem I. Teil recht unverbunden neben den Ausführungen zu Paulus im II. Teil. Hier hätte man sich eine intensivere Auswertung des Materials im Blick auf das Verständnis der paulinischen Theologie gewünscht.