Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2006

Spalte:

1008–1010

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sadananda, Daniel Rathnakara:

Titel/Untertitel:

The Johannine Exegesis of God. An Exploration into the Johannine Understanding of God.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2004. XIV, 356 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 121. Lw. Euro 98,00. ISBN 3-11-018248-3.

Rezensent:

Michael Labahn

Beim Blick auf die Auslegungsgeschichte des Johannesevangeliums fällt auf, dass Untersuchungen zur Theo-logie des vierten Evangeliums zu Gunsten der Christo-logie ein Schattendasein führen.

Bedenkt man aber, dass das vierte Evangelium der Klärung der Relation von Vater und Sohn beachtliche Gedanken widmet, so nimmt man dankend zur Kenntnis, dass mit der bereits von 1997 stammenden Dissertation ein weiteres Werk zum Thema des johanneischen Gottesverständnisses neben der auslegungsgeschichtlich orientierten Studie von T. Larsson (God in the Fourth Gospel, 2001) und der Arbeit von M. M. Thompson (The God of the Gospel of John, 2001) erschienen ist ­ wenig erfreulich ist, dass beide Studien nicht in die überarbeitete Druckfassung der Dissertation eingearbeitet wurden; ebenso wenig die Studien in Semeia 65 (God the Father in the Gospel of John, 2001). Leider ist auch weitere neuere Literatur nur sehr marginal nachgetragen, was exemplarisch das Fehlen der Kommentare von Moloney, Schenke, Schnelle und D. Moody Smith, aber auch wichtiger Monographien zu unterschiedlichen Abschnitten (z. B. M. Lang, M. Asiedu-Peprah, O. Schwankl oder K. Scholtissek) betrifft.

In elf Kapiteln einschließlich Einleitung und Zusammenfassung erschließt S. die johanneische »Auslegung Gottes« unter der Leitfrage: »Does the Fourth Evangelist write Christology or Theology?« (1) In Auseinandersetzung mit dem, was er als »christomonism« in den »young missionary churches« ausmacht, legt er seine These dar: »The Fourth Gospel in fact reflects a soteriological/theological struggle of a community for an authentic identity« (5): Diese Debatte wird nach außen wie nach innen geführt und zielt auf eine glaubhafte Christologie im Einklang mit der johanneischen Theologie. S. macht damit deutlich, dass er mit einer komplexen Konfliktgeschichte und mit differenten theologischen Konzepten im Spiegel des vierten Evangeliums rechnet. Re-Formulierung und Interpretation der johanneischen Theologie enthalten ein Potential zum Zerwürfnis in der Gemeinde (8). Wenn S. hier dem Konfliktmodell von J. L. Martyn folgt, wäre die Auseinandersetzung mit der Kritik an diesem Zwei-Stufen-Schema zu wünschen gewesen; jedenfalls ist zu Recht strittig, dass der Aposynagogos der hermeneutische Schlüssel zur johanneischen Erzählung ist.

Trotz der programmatischen diachronen Ausgangshypothese arbeitet S. vorwiegend auf der synchronen Ebene des redaktionellen Textes; diese Analysen werden durch begriffs- und motivgeschichtliche Analysen erweitert, die das JohEv vorwiegend im alttestamentlich-jüdischen Kontext verorten. Rückschlüsse auf Traditionen werden meist auf Grund von Kontextanalysen, nicht durch eine sprachlich orientierte Scheidung von Tradition und Redaktion vollzogen. Die Beobachtungen werden verschiedentlich mit dem Schema von Martyn interpretiert, wobei es bei der Interpretation von 5,17 ff. überraschend nur gestreift, für Joh 3,1 ff. zum Schlüssel wird.

Die Exegese widmet sich Texten der Passions- und Auferstehungsgeschichte (Ausgangspunkt: 20,28) sowie Joh 5,17­30; 8,12­59; 10,22­39; 17,1­26; 1,1­18; 3,1­21; 4,1­42 und den Parakletsprüchen 14,16 f.26; 15,26; 16,7b­11.12 f. Bereits die Analyse des Thomas-Bekenntnisses zielt auf eine Interpretation, die die göttlichen Aspekte der johanneischen Christologie zu Gunsten der theozentrischen Grundthese S.s in Frage stellt.

Ausgehend vom Personalpronomen mu (mein) wird das Bekenntnis zu einer persönlichen Stellungnahme (18; vgl. 44: »confession of joy for God¹s vindication of His Son«), die noch dazu Ausdruck defizitären Zeichenglaubens sei (40 f.). Anders als in den Überlegungen von S. kann Joh 20,28 erzählstrategisch als ein exemplarisches Bekenntnis des impliziten Lesers zu Jesus in Antwort auf Passion und Auferstehung verstanden werden. Das mu steht für das pro me der auch bei S. herausgearbeiteten Heilsrelevanz des Todes Jesu. Allerdings sei das Lamm nach S. Symbol des Gehorsams und ausschließlichen Gotteshandelns, was aber nicht überzeugt, da es (nicht Gott, wie S. meint: 30) die Sünden des Kosmos aktiv trägt (1,29).

Nach S. ist die johanneische Theologie vor allem durch Momente des »self-emptying« Gottes und durch sein Verhältnis zu anderen Individuen bestimmt: Die theologischeGrundbestimmung, die S. hier vornimmt, ist, dass Gott »reveals Himself in relationships« (116): »He is God in relation to His creation« (275). Von hier aus wird die Christologie entworfen, aber so, dass sie deutlich als »sub-ordinate christology« bestimmt wird (285; vgl. 281), in der Jesus weniger als der Sohn, sondern vielmehr als »Agent« in »absolute dependence on God« dargestellt wird (280). »Vater« ist für S. lediglich ein Titel »denoting the nature of God« und eine Metapher »to explain the relationship of the man Jesus of Nazareth with God« (174; s. a. seine Überlegungen zu monogenes, 201). Dass S. in dieser Interpretation wichtige Aspekte johanneischer Theologie aufnimmt, vor allem die Zuwendung zur Welt in der Gestalt Jesu, und diese neu interpretiert, macht die Studie reizvoll; die These von S. droht aber die bei Johannes herausgestellte besondere Einheit von Vater und Sohn aufzulösen, wenn sie lediglich als Metapher der Zuwendung Gottes zur Welt begriffen wird. Zudem schlagen die Konzeption der Präexistenz des Logos, der Inkarnationsgedanke und die Bezeichnung Jesu als Gott den johanneischen Jesus so auf Gottes Seite, dass die Bezeichnung subordinatianisch der johanneischen Verhältnisbestimmung von Gott und Jesus nicht gerecht wird.

Zu Illustration der Thesen S.s seien einige Ergebnisse seiner Exegese angeführt. Der vierte Evangelist vermeidet nach S. Ditheismus dadurch, dass in Joh 5,16 ff. nicht Handlungsidentität, sondern Gott in Jesus als dem Sohn in einem Prozess seines »self-emptying« (64 ff. u. ö.) handelt, seine Macht an ihn delegiert und so die jüdischen Erwartungen eines kommenden Menschensohns erfüllt. Jesus ist das Geschenk Gottes, das diese Selbsthingabe Gottes an die Welt symbolisiert (250). Auch die Ich-bin-Worte, deren Bezug auf die alttestamentliche Selbstoffenbarung Gottes betont wird, sind lediglich Ausdruck von »the claim that God Himself appears in the man Jesus« (96) ­ in diesem Sinn also kein »ich bin es«, sondern ­ wenn diese Formulierung erlaubt ist ­ ein »er ist es«, und zwar in seiner soteriologischen »intention«, die Vorbilder in der Offenbarung durch Abraham, Mose und die Propheten habe (116). Joh 10,30 wird zu Recht in enger Verwandtschaft mit 5,17 ff. gedeutet: »the self-emptying phenomenon that enables him [den vierten Evangelisten; M. L.] to balance both the Father¹s greatness and the Son¹s dependence« (130). Dem korreliert die wechselseitige In-Existenz von Vater und Sohn. Die Antwort des Glaubens, so entnimmt es S. Joh 3,16 f., besteht in einem Prozess der Selbstentleerung, der auf Gott bezogen ist und in dem ewiges Leben ist (229). Diese Interpretation bezieht S. auf die soziale Wirklichkeit der johanneischen Gemeinde, die so ihren Aposynagogos verstehen kann (229).

In Bezug auf den Prolog arbeitet S. eine Logos-zentrierte Tradition heraus (V. 1.3­5.9.11.14a­c.e.16), die durch 1,2.14d.18 theozentrisch orientiert wird (163); auch in den Parakletsprüchen unterscheidet S. eine traditionelle christozentrische Konzeption von der theozentrischen der Redaktion. Das alte Problem von 1,17 löst S. durch die Zuschreibung an eine kirchliche Redaktion (207). Auf der Seite des Evangelisten ist der Logos als »Gott« lediglich »mythological personification« seines Wortes und damit Bestimmung des Verhältnisses von Gott und seiner Offenbarung (179); späterhin bezeichnet er den Logos als »relational face of God« (216), also als Relation zu Jesus oder durch die Schöpfung zu den Menschen. So bezeichnet er die Inkarnation auch als »fullness of Revelation« (217). Ein Ergebnis ist die Schöpfung einer neuen eschatologischen Gemeinde, zu der Gott als Geist seine Nähe aufrecht erhält, wie sie besonders der Interpretation von Joh 4,22 ff. entnommen wird.

Schon auf Grund der eingangs erwähnten Forschungslage gebührt der Studie ihr Platz in der Forschung zur johanneischen Tradition; die Auslegungen sind herausfordernd und nötigen zu kritischen Rückfragen, wie sie in dieser Rezension nur exemplarisch vorgebracht werden konnten. S. entwickelt seine These nicht ohne Einseitigkeit, wie sie m. E. angesichts des Textbefundes problematisch ist. Es stellt sich die anspruchsvolle Aufgabe, zusammen zu denken, dass es nach Johannes (a) nicht zwei Götter ­ Gott, den Vater, und Jesus ­ gibt und dass (b) Jesus mehr als nur ein Agent Gottes ist. Bei der Bewältigung dieser Fragestellung wird sich die Auseinandersetzung mit den durch S. gestellten Fragen und Thesen als fruchtbar erweisen.